EAs Loot-Shooter kann auch Spaß machen, steht aber für zu vieles, was an der Games-Industrie nervt.
Es trifft keinen Unschuldigen, aber der große Grant, der über EAs vermeintlichen Blockbuster »Anthem« hereingebrochen ist, zeugt von viel aufgestauter Unzufriedenheit, an der auch andere Publisher fleißig mitgearbeitet haben. Wieder ist da ein Spiel als eierlegende Wollmilchsau angekündigt worden, als Innovationsträger und Fantasy-Epos – um letztendlich als stumpfer Loot-Shooter am Markt zu erscheinen, der halt gar nicht so aussieht, wie die beeindruckenden Trailer der PR-Inszenierung.
Die Hoffnung wäre wohl kleiner gewesen, wäre da nicht Bioware für den Titel verantwortlich. Dem Studio hinter der erzählerisch starken »Mass Effect«-Reihe und den »Dragon Age«-Spielen hätten viele gewünscht, nach der Niederlage von »Mass Effect: Andromeda« wieder einen Hit zu landen. Und gerade deshalb war wohl die Enttäuschung besonders groß, als sich die Story von »Anthem« als lauwarmer Aufguss von Altbekanntem entpuppte. Ganz so schal, wie es manche Kommentatoren aussehen lassen, sind die Dialoge zwar nicht, aber nach Überraschungen und Mitreißendem darf hier nicht gesucht werden. Und wenn das Spiel nicht einmal mehr so tut, als hätten die Dialog-Entscheidungen irgendeinen spürbaren Einfluss, ist das auch nur wieder die neue Spitze auf einem Eisberg der Ernüchterung, den die großen Publisher mit Hingabe pflegen, statt sich in der Indie-Szene wieder einmal ein paar Tipps und Tricks abzuholen, wie man packende Geschichten erzählt.
Dass »Anthem« über einige Stunden dann doch ein Stück weit Spaß macht, liegt in erster Linie am unterhaltsamen Kampfsystem: Die 3rd-Person-Perspektive, die Flugfähigkeit und die kombinierbaren Waffen ergeben einen Werkzeugkasten, mit dem einige Zeit freudvoll experimentiert werden kann. Und wenn sich bald der zweite und später auch der dritte und vierte Kampfanzug freischalten lassen und damit zwischen den Missionen quasi die Charakterklasse gewechselt werden kann, verlängert das die Phase der zufriedenstellenden Unterhaltung.
Aber schon während das Kämpfen noch Spaß macht und die Spielwelt ab und zu noch aus einem neuen Blickwinkel neue Schönheit entfaltet wird klar, dass hier die Loot-Spirale nicht greift. Da ist zu wenig spürbare Weiterentwicklung. Die neuen Waffen schauen aus und verhalten sich wie die alten. Und schon bald ist alles gesehen und probiert und »Anthem« geht die Luft aus.
Der eigentliche Grant richtet sich gegen die Logik des großen Spielemarktes, die sich immer offensichtlicher an vermeintlichen Monetarisierungs-Strategien orientiert und mehr Enthusiasmus in die PR-Maschinerie steckt, als ins eigentliche Spiel. Die Leidenschaft für Videospiele ist »Anthem« kaum mehr anzumerken. Und was die Sache besonders frustrierend macht, ist die Vermutung, dass bei Bioware viele Menschen mit dieser Leidenschaft arbeiten, denen mit fortschreitender Entwicklung mehr und mehr die Zügel aus der Hand genommen wurden.
»Anthem« ist bereits für PC und Konsolen erhältlich.