Für Anrainer*innen ist es Lärm, für Clubbesucher*innen guter Sound. Wer hat recht? Lässt sich beides vereinen? Mit welchen Konzepten sich Konflikte minimieren lassen und welchen Wert Veranstaltungslocations für eine Stadt haben, erklärt Martina Brunner, Co-Geschäftsführerin der Vienna Club Commission, in einem Gastbeitrag.
Neulich ist am Beispiel der Arena Wien ein alter Konflikt wieder hochgekocht: jener zwischen Venuebetreiber*innen und Anrainer*innen. Der Auslöser? Schall bzw. ab wann dieser als Lärm empfunden wird. Die Arena ist allerdings kein Einzelfall. Das Thema Lärm steht an erster Stelle der regelmäßig auftretenden Probleme. Das zeigen zumindest zahlreiche vom Pilotprojekt der Vienna Club Commission (2020 bis 2021) veröffentlichte Berichte. Ist es wirklich ein unausweichlicher Konflikt für Großstädte? Nein. Es gibt bereits unterschiedliche Lösungsansätze. Aktuell arbeitet die Vienna Club Commission in einer Fokusgruppe daran, bereits erfolgreich umgesetzte Lösungen zusammenzutragen und jene davon detailliert aufzubereiten, die für die Stadt Wien passen.
Relevant ist jedenfalls, den sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Wert von Veranstaltungslocations für eine Stadt wie Wien anzuerkennen – vor allem auf politischer Ebene. Denn die Politik entscheidet über die Flächenwidmung in der Stadt und darüber, wo neue Wohngebiete entstehen. Die bestehenden Locations und die dort auftretenden Schallemissionen müssten gewissenhaft bei der Wohnbauplanung mitberücksichtigt werden, um den Konflikt zwischen Betreiber*innen und Anrainer*innen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Dafür wurde der »VCC Radar« – eine interaktive Online-Karte, die Wiener Veranstaltungslocations nach unterschiedlichen Kriterien filterbar anzeigt – angelegt.
Städteplanung mit Vor-Sicht
Der darauf aufbauende Lösungsansatz ist das in Berlin und Sydney unlängst beschlossene Prinzip »Agent of Change«. In der Praxis heißt das: Werden Wohnungen gebaut (wie etwa in der Nachbarschaft der Arena) sind Immobilienentwickler*innen dazu angehalten, alle Vorkehrungen zu treffen, sodass sich bestehende Veranstaltungslocations nicht plötzlich mit Anrainer*innenbeschwerden konfrontiert sehen und ihr Programm wie gewohnt umsetzen können. Initiiert und bereits umgesetzt wurde das Prinzip im Londoner Stadtentwicklungsplan – mit dem Ziel, einem durch Gentrifizierung drohenden Clubsterben präventiv entgegenzutreten.
Doch die Probleme beschränken sich keinesfalls auf Neubauprojekte und nächtliche Lärmkonflikte werden auch nach dem Sommer 2023 nicht an Bedeutung verlieren. Denn von behördlicher Seite wird nun vermehrt wahrgenommen, dass der Verkehrslärm in Wien an neuralgischen Punkten (beispielsweise am Gürtel) in den vergangenen Jahren zumindest in der Nacht abgenommen habe und dadurch zuvor unproblematische Schallemissionen von Veranstaltungslocations nun von Anrainer*innen als störend empfunden würden. Dies führt zu neuen Auflagen und weiteren kostenintensiven (im fünfstelligen Bereich) Schallschutz- bzw. Akustikmaßnahmen für die dort ansässigen Clubs. Die finanzielle Verantwortung liegt dabei aktuell ausschließlich bei den Veranstaltungslocations.
Leistbare Umbauten
Hier setzt wiederum ein Lösungsansatz nach Berliner Vorbild an: ein »Wiener Schallschutzfonds«, der so ähnlich auch in Köln und Barcelona bereits umgesetzt und in München und Sydney geplant ist. Denn die Finanzierung dieser oftmals kostenintensiven Investitionen für Schallschutzmaßnahmen, ist für viele kleine und mittelgroße Veranstaltungslocations mit Fokus auf das künstlerisch-kulturelle Programm kaum selbst zu tragen. Immerhin arbeitete im Jahr 2019 nur ein Drittel der Clubs mit Gewinnen (siehe Bedarfserhebung der VCC 2020).
Um ausreichende Schallschutzmaßnahmen umzusetzen, läuft aktuell ein Open Call der Vienna Club Commission. Expert*innen und Unternehmen sämtlicher Branchen sind von der VCC zur Vorstellung bzw. Entwicklung von Lösungsansätzen zur Reduktion von Lärmemissionen aus und vor Veranstaltungslocations aufgerufen. Letztendlich wird es einen Mix aus einigen der vorgeschlagenen Lösungsansätze für Wien brauchen, damit Konzert- und Clubbesuche bei gutem Sound zukünftig möglich und konfliktarm bleiben können.
Martina Brunner ist Co-Geschäftsführerin der Vienna Club Commission und verantwortlich für deren inhaltliche Leitung. Die VCC ist eine kostenlose Service- und Vermittlungsstelle für alle Akteur*innen im Wiener Club- und Veranstaltungskontext.
Offenlegung: The-Gap-Mitherausgeber Thomas Heher ist in seiner Funktion als Co-Geschäftsführer der Vienna Club Commission für deren kaufmännische Leitung verantwortlich. Die VCC und The Gap teilen sich Büroräumlichkeiten.