Über das Befreiende an der Reduktion, den hoffnungslosen Sprung ins Lasso und die verkorkste Situation heimischer Indie-Bands – A Life, A Song, A Cigarette im Interview anlässlich des Erscheinens ihres neuen Albums.
A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
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A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
A Life, A Song, A Cigarette (© Erli Grünzweil)
Für die sechste Ausgabe unserer Reihe Arts & Craft – bei der wir gutes Bier und gute Musik zusammenbringen, weil sich die beiden einfach bestens vertragen – haben wir A Life, A Song, A Cigarette in ihrem Studio und Proberaum besucht. Der Anlass: ihr viertes Album. Produziert von Stefan Deisenberger (selbst Musiker, u. a. bei Naked Lunch und Nowhere Train), ist es als sanftes Ausrufezeichen zu verstehen: „All That Glitters Is Not Gold“ ist atmosphärisch dicht, behutsam inszeniert, aber gleichzeitig luftig, hat etwas zu erzählen und greift einem dabei ans Herz.
Auf ihren fünften Mann mussten Daniel Grailach (Schlagzeug), Lukas Lauermann (Cello, Keyboard), Stephan Stanzel (Gesang, Gitarre) und Hannes Wirth (Gitarre) bei unserem Gespräch verzichten. Nach einem Interviewmarathon am Vortag fiel Martin Knobloch (Bass) krankheitsbedingt aus. Der Rest der Band gab sich entspannt – und erfreut ob des großen Interesses sowie der gelungenen Zusammenarbeit mit Produzent Stefan Deisenberger.
Wie bei eurem letzten Album habt ihr euch auch bei „All That Glitters Is Not Gold“ relativ lange Zeit gelassen.
Daniel: Es sind zwar auch dieses Mal wieder vier Jahre vergangen, aber beim letzten Mal ist es mir viel mehr so vorgekommen, dass es ewig lang gedauert hat. Weil wir das Album damals eigentlich viel schneller aufgenommen und abgemischt haben – inklusive Mastern war das in nicht ganz einem Jahr erledigt.
Lukas: … und jetzt waren es fast zweieinhalb Jahre.
Hannes: Zum ersten Mal war es so, dass wir ohne fertige Songs ins Studio gegangen sind.
Stephan: Drei Ausnahmen hat es gegeben, aber der Rest ist erst hier entstanden.
Hannes (zeigt quer durch den Raum): In dem Kammerl da drüben sitzt jetzt der Deisenberger.
Auf den wollte ich eh zu sprechen kommen. Im Begleittext zum Album heißt es, er hat euch mit den Worten „Hoit’s eich amoi owa!“ immer wieder „freier atmen lassen“. Könnt ihr das erläutern?
Stephan: Wir sind mit Ideen gekommen und das Erste, was er gesagt hat, war: „Spielt’s das einmal halb so schnell.“ Mir ist das vor allem beim Singen aufgefallen, dass ich jetzt ruhiger singe und nicht so gehetzt klinge.
Lukas: Das, was man spielt, reduzieren – darum ist es ihm gegangen. Er hat die Dichte dann darüber geholt, dass viel mehr Instrumente zum Einsatz gekommen sind – irgendwelche Keyboard-Sachen, wo halt nur zwei Töne passieren oder so; die machen das Album dann trotzdem relativ breit vom Sound.
Daniel: Wir haben auch noch nie jemanden so machen lassen wie ihn.
Lukas: Wir haben uns da schon voll drauf eingelassen und wir haben auch darauf vertrauen können – also weil es eben auch über einen so großen Zeitraum ging –, dass es da jemanden gibt, der den Überblick hat, und dass das am Ende auch noch alles zusammenpasst.
War diese Reduktion für das aktuelle Album ein logischer Entwicklungsschritt?
Daniel: Ich glaub schon, dass es eine gewisse Logik hat, dass man reduzierter wird. Am Anfang, wenn man die Band frisch beisammen hat, spielt mal jeder, zeigt, was er kann. Irgendwann kristallisieren sich dann die Rollen heraus. Man weiß, welchen Part jeder in der Band musikalisch über hat.
Hannes: Das hat der Deisenberger erkannt und hat dann jeweils die Stärken jedes einzelnen gefeaturet – reduziert auf genau das. Jeder sonstige Firlefanz stand nie zur Diskussion. Und die Dichte hat es dann gekriegt durch x Spuren. Das war halt echt so Basteln im Studio und Zuschauen, wie der Song wächst, wenn jetzt da noch das Klavier dazukommt und dort noch eine Gitarrenspur. Es macht schon auch viel aus, dass das hier (zeigt in den Raum) uns gehört. Dass wir da einfach reinkönnen – geht schon, hallo, gemütlich. Und nicht auf die Uhr schauen müssen, weil wir das Studio nur gemietet haben, so und so viel Geld dafür zahlen und bis morgen Mittag alles fertig sein muss. Den Stress hatten wir zum Glück nicht.
Ihr schafft es in den Texten des Albums recht gut, aktuelle Entwicklungen aufzugreifen – von der Flüchtlingssituation bis hin zu den Auswüchsen der Kapitalismus. Wie politisch seid ihr als Band?
Stephan: Wir wollen nicht als Moralapostel agieren, allerdings möchte man doch das verarbeiten, was einen momentan beschäftigt. Das können natürlich private als auch politische Themen sein. Ins letzte Halbjahr des Entstehungsprozesses des Albums fielen unter anderem eben auch die Grexit-Diskussion sowie die erste große Flüchtlingsbewegung nach Mitteleuropa. Einige von uns haben sich dabei auf unterschiedliche Art und Weise engagiert.
Hannes: Mich freut am meisten, wenn Menschen ihre Empathiefähigkeit nicht verloren haben – wenn sie dann auch noch Gäste unserer Shows sind, noch mehr. Ohne Empathie keine Politik.
Eure Musik ist von Melancholie geprägt, gleichzeitig hat sie etwas Lebensbejahendes – ein Widerspruch?
Hannes: Wenn du keine Hoffnung mehr hast, kannst du auch gleich ins Lasso springen.
Stephan: Melancholie und Lebensbejahung sind für mich unmittelbar miteinander verwoben. Du kannst nicht eines ohne das andere haben.
„All That Glitters Is Not Gold“ – fandet ihr das als Titel einfach schön oder gibt es einen Bezug zu Shakespeare, von dem dieses Zitat stammt?
Stephan: Zu allererst finden wir den Namen phonetisch spannend. Ob Shakespeare oder der griechische Dichter Äsop dahintersteckt oder ob es einfach ein abgewandeltes Led-Zeppelin-Zitat ist, darf dann jeder und jede für sich selbst entscheiden. Grundsätzlich finden wir es aber schon wichtig, einen Blick hinter die Fassade zu werfen, Dinge zu hinterfragen.
Daniel: In diesem Sinne ist das schon ein immer gültiges Zitat.
Auf dem Album gibt es ein Update zum Thema Simmering, das lange deine Heimat gewesen ist und über das du schon einmal einen Song geschrieben hast, Stephan. Handelt es sich da nun um eine Hassliebe oder einfach um eine unerwiderte Liebe?
Stephan: Ich denke, ich werde wohl noch ein paar Lieder brauchen, bis ich das weiß. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Ich bin gern bei meinem Lieblingswirten im Elften, dem Gasthaus Stern, und zum Beispiel am Friedhof der Namenlosen, und ich habe auch Familie dort.
Daniel: Was ist schon Heimat? Ich lebe zwar schon seit 20 Jahren in Wien und in der aktuellen Wohnung seit bald zehn Jahren, aber für meinen dreijährigen Sohn ist Wien und diese Wohnung viel mehr Heimat als für mich, und das klarerweise rein aus dem Bauch heraus. Ich stamme eigentlich aus Kärnten, dort würde ich allerdings auch nicht meine Heimat verorten. Am ehesten sind wir Europäer, denk ich.
Stephan: Heimat ist sowieso ein schwieriger Begriff. Ich kann mich an den unterschiedlichsten Orten wohl fühlen.
Daniel: Und auch wieder nicht.
Auch in anderen Stücken geht es um Orte oder so etwas wie Heimat bzw. Zuhause. Es kommen zum Beispiel Hamburg und Griechenland vor.
Stephan: Hamburg ist mit Abstand meine liebste deutsche Stadt, das liegt wohl auch am Hafen und an der musikalischen Vergangenheit dieses Ortes. In Griechenland war ich schon so an die 20 Mal, je kleiner oder „ursprünglicher“ die Insel umso besser – auch wenn man natürlich die daraus resultierenden Probleme der dort ansässigen Bevölkerung nicht verklären darf. Bei „Intercity 69“ habe ich versucht mit Hilfe einer Zugfahrt eine Brücke zwischen den zwei Orten zu schaffen. Der Song entstand auch zur Zeit der Spannungen zwischen Merkel / Schäuble und Tsipras / Varoufakis, wobei ich mich auf keine der beiden Seiten schlagen wollte. Zugfahren ist für mich ein Sehnsuchtsgefühl, hätte ich den Text ein Jahr vorher geschrieben, wäre der Zug eventuell von Belgrad nach Lissabon gefahren.
Hannes: Dort, wo ich lebe und mich wohlfühle – das geht Hand in Hand –, ist meine Heimat. Ich nenne das dann mein Zuhause. Das könnte überall auf dieser Welt sein, Wien ist für mich ein Idealfall.
Im Pressetext zum neuen Album wird auch die Frage angesprochen, ob ein viertes Album wie ein Debüt sein kann. Wie darf man das verstehen?
Lukas: Es geht da wohl darum, ob die klangliche Veränderung beim aktuellen Album eine Art Neustart ist.
Daniel: Ich meine, es ist für uns schon ein ganz besonderes Album – dass das mit dem Deisenberger so gut hingehauen hat, konnte man nicht vorhersehen. Wir sind extrem zufrieden mit dem, was rausgekommen ist. Es hat eigentlich schon angefangen, als wir damals zu Wohnzimmer Records gegangen sind. Das Feedback auf die ersten drei Songs war damals schon: „Voll super!“ Und bei jedem Song, den wir nachgeschickt haben, dann wieder. Mittlerweile glauben wir, dass es denen wirklich taugt. Es dürfte uns wirklich etwas Gutes gelungen sein und das wird halt erst jetzt langsam spürbar. Aber die Arbeit selbst hat einfach so viel Spaß gemacht, dass es schon ein Neustart war – mit einem Produzenten zusammenarbeiten, so wie wir uns das vielleicht immer schon gewünscht haben, aber es sich bis dato nie ergeben hat. Und endlich einmal ein Album ohne Kompromisse – ganz ehrlich.
Lukas: Die Entscheidung, wieder ein Album zu machen, hat es schon gegeben. So quasi: Man will es noch mal wissen. Auch mit dem Anspruch, dass man das erste Video wirklich fertig hat, wenn es Zeit dafür wäre. Also dass man so Sachen als Promo auch vor dem Album rechtzeitig hinkriegt. Und das dann auch jeder dran arbeitet, dass das hinhaut.
Wenn man als Band schon mehr als zehn Jahre aktiv ist, was will man da noch? Welche Pläne oder Ziele hat man da?
Stephan: Rainer (Krispel; Anm. d. Red.) hat das im Pressetext schön formuliert: eine Band, die immer da ist, sich aber nicht ständig aufdrängt. Ich glaub, wir sind einfach gute Freunde geworden. Das ist mehr wie eine Beziehung als wie eine Band. Es ist nicht im Raum gestanden, dass wir uns auflösen.
Lukas: Irgendwie hat jeder von uns fünf nach wie vor das Bedürfnis, dass wir zusammen Musik machen.
Daniel: Ich glaub, wir haben einfach befunden, dass noch nicht alles gesagt ist.
Stephan: Das sag ich jetzt auch noch übrigens.
Daniel: Vielleicht war’s auch, dass das dritte Album nicht so gut angekommen ist oder nicht so gehört wurde – das gibt’s ja nicht, wir wollen es auf jeden Fall noch einmal wissen.
Ist das Level, das ihr erreicht habt, eines, auf dem es euch taugt weiterzumachen? Oder gibt es eine konkrete Vorstellung von so etwas wie Erfolg?
Stephan: Das ist schwierig zu sagen. Natürlich würden wir es annehmen, wenn mehr passiert.
Lukas: Es stimmt auf jeden Fall, dass es uns auf dem Level auch taugt, Konzerte zu spielen und so, aber wir haben jetzt auch als Band kein Ziel formuliert.
Daniel: Ich hab auch keine Ahnung, was man sich erwarten darf. Also die Verkaufszahlen sind selbst bei großen Acts jämmerlich. Es gibt nur ganz wenige, die da herausstechen. Aber was ist ein ernsthaftes, erreichbares Ziel? Was wir schon als Ziel haben, ist es, möglichst viele gute Konzerte zu spielen. Das ist etwas, das wir auch selbst in der Hand haben.
Hannes: Und wenn wir uns weiterhin gut verstehen und uns nicht trennen, dann wird es vielleicht noch eine fünfte Platte geben.
Stephan: Ich glaub, das mit der Trennung wird nicht mehr passieren. Das verflixte siebente Jahr haben wir schon längst hinter uns.
Lukas: Was ja schon auch ein schöner Erfolg ist: dass wir uns noch immer aushalten … Obwohl wir uns so gut kennen. (Alle lachen.)
Ihr macht ja alle nebenbei recht viele Sachen, die auch mit Musik zu tun haben. Könnt ihr davon leben?
Hannes: Lukas schon, aber wir haben alle noch andere Jobs.
Stephan: Das geht sich nicht aus. Das ist sich auch bei Naked Lunch nicht ausgegangen – und wenn die nicht davon leben können … Ich mein, bei Wanda und Bilderbuch funktioniert es wahrscheinlich.
Hannes: Jetzt grad schon …
Lukas: Weil ich teilweise den Vergleich hab: Das Genre ist gagenmäßig aus irgendeinem Grund komplett im Arsch. Für eine fünf-, sechsköpfige Band gibt es Gagen, die man in anderen Genres – sei es World oder Jazz oder Klassik – für zwei Musiker bezahlt. Das ist ein anderes Publikum, das für ein Konzert dann gerne 20 Euro oder mehr ausgiebt.
Stephan: Wenn du für 600 Euro mit Tontechniker zu siebent samt Bus-Ausborgen nicht spielst, gibt es drei, vier andere, die das gerne machen.
Lukas: Und oft geht es Veranstaltern halt auch darum, dass irgendwas passiert, und nicht unbedingt darum, dass genau diese eine Band spielt.
„All That Glitters Is Not Gold“ erscheint am 29. Jänner 2016 bei Wohnzimmer Records. A Life, A Song, A Cigarette sind am 12. Februar im Vinzenz Pauli in St. Pölten, am 25. Februar in der Cinezone in Krems, 4. März in der Red Box in Mödling und am 11. März im Theater Akzent in Wien live zu sehen. Weitere Konzerttermine sind in Planung.
Das Craft Bier Fest Linz findet am 8. und 9. April 2016 zum zweiten Mal in der Tabakfabrik statt. Weitere Termine für 2016 folgen in Kürze.
Diese Ausgabe von Arts & Craft ist in Kooperation mit Brauwerk Wien entstanden. Im Rahmen der Reihe waren wir auch schon bei MOTSA, Konea Ra, Kids N Cats, Elektro Guzzi und Zanshin zu Gast.