Sechs MB groß war das Programm von IBM für die Mondlandung. Das reicht heute nicht einmal mehr für einen Urlaubsschnappschuss. Individuelle, kollektive Erinnerungen und technologische Rahmenbedingungen sind das Thema der Ars Electronica "Total Recall".
»Erinnerungskultur« ist ein entnazifizierter Begriff. Im brav aufarbeitenden Deutschland bedeutet dies, dass man gemeinsam mit diesem Begriff keine Sätze mehr bilden darf, in denen nicht mindestens ein KZ erwähnt wird. In Österreich bedeutet es schlicht, dass der Begriff praktisch nicht mehr benutzt wird und wenn, dann von den falschen Personen. In den Erinnerungen des Einzelnen sammelt sich das ganze Leben. Viel zu oft ist diese Erinnerung leider auf kitschige Reproduktionen reduziert. Bei der Beschäftigung mit kollektiver Erinnerung gehen staatliche Kunst, Kultur und Erinnerungsstätten mit hohen Subventionen ihrer staatlichen Erinnerungsaufgabe nach. Mit einer Verknüpfung der beiden beschäftigt sich kaum jemand und wenn es einzelne Projekte einmal tun, dann ist es gleich ein Alleinstellungsmerkmal. Die Wiener Autorin Michaela Taschek zu Beispiel schreibt zu fremden privaten Fotos vom Flohmarkt fiktive Texte, welche sich wiederum stark an kollektiven Erinnerungen einer vergangenen Epoche orientieren. Im großen Rahmen wird dieses weite Feld nun von der Ars Electronica aufgegriffen. Das diesjährige Thema ist dort die Entwicklung individueller, kollektiver und technischer Rahmenbedingungen von Erinnerungen unter dem Titel »Total Recall – The Evolution of Memory«.
In der Tiefe graben
Ich erinnere mich an die Liebe, wir erinnern uns an das Dritte Reich, die NSA erinnert sich an beides und außerdem daran, dass du heute die selbe Unterhose anhast wie gestern. Das technische Element spielt in der Gleichung der Erinnerungskultur immer dominanter mit. Die Ars Electronica versucht daher, alle Ebenen der Erinnerung (besser im Englischen: Memory) zu verknüpfen und stellt Fragen wie: Wird es ein Menschenrecht auf Vergessen geben? Welche Erinnerungspolitik werden wir pflegen? Welche sind die aktuellen Projekte und Visionen, um das menschliche Kulturerbe zu speichern und für die Nachwelt zu erhalten, welche Methoden werden in Zukunft dafür zum Einsatz kommen? Kann man eine verlässliche Speicherung nicht nur für Jahrhunderte, sondern für Jahrtausende überhaupt bewerkstelligen, und warum wollen wir das eigentlich?
Es wird zu diesen Themen interdisziplinäre Symposien, Expertengespräche und natürlich die Arbeiten zahlreicher Künstler zu sehen geben. Einer dieser Künstler und gerade jener, der sich explizit nicht mit dem Thema »Erinnerung« beschäftigt, ist der diesjährige »Featured Artist« HR Giger.
Die Ars Electronica erinnert sich an die eigenen Jugendjahre
1979 fand die erste Ars Electronica statt. Im selben Jahr lief der erste Teil von »Alien« in den Kinos an und HR Giger wurde zum kontinentaleuropäischen Gott der Sci-Fi und Technologie-Kunst. Noch über zehn Jahre später hat er nachfolgende Medienkünstler wie Monochrom inspiriert. Erinnerung ist keines der zentralen Themen Gigers. Außer des großen Namens dürfte er also auch zur Pflege der Erinnerungskultur über Medien und Technologie der frühen 80er-Jahre eingeladen worden sein. Das ist schön, denn man bekommt den Eindruck, dass der Begriff auf diese Weise neu und produktiv besetzt wird.
Die »Ars Electronica« beschäftigt sich in Linz vorab und hinterher, aber vor allem zwischen 5. und 9. September mit Erinnerung unter dem Titel "Total Recall". Mehr Infos unter: http://www.aec.at