The Gap traf Julia Franz Richter, aktuell in Günter Schwaigers Spielfilmdebüt »Der Taucher« zu sehen, zum Gespräch über den kollektiven Umgang mit Gewalt, literarische Vorbilder und zukünftige Pläne.
Lena (Julia Franz Richter) macht gerade die Matura, will hinaus in die Welt, will Animationskünstlerin werden. Sie will aber auch ihre Mutter Irene (Franziska Weisz) vor dessen Ex-Mann Paul (Alex Brendemühl) beschützen, ist dieser doch Gewalttäter, den Irene angezeigt hat. »Der Taucher« (Regie: Günter Schwaiger) verhandelt das Thema familiäre bzw. männliche Gewalt aus vier unterschiedlichen Perspektiven (ebenso zu sehen: Dominic Marcus Singer), ist Thriller wie zugleich Erinnerung daran, wie alltäglich Gewalt ist, und zeigt, wie Menschen mit Trauma umgehen. Julia Franz Richter, spielt aktuell in »Die Physiker« (inszeniert von Claudia Bossard) am Schauspielhaus Graz, begeisterte schon in Filmen wie »L’Animale« von Katharina Mückstein, stand ebenso bereits beim »Tatort« und in der Serie »Trakehnerblut« vor der Kamera. The Gap traf die Schauspielerin zum Interview.
Was hat dich an der Rolle interessiert?
Zuerst hat mich diese Mutter-Tochter-Beziehung interessiert und auch, wie dabei eine Art Umkehr von Fürsorge und Verantwortung stattfindet.
Welche Herausforderungen gab es bei diesem Projekt? Wie seid ihr an das Thema herangegangen?
Vor dem Dreh waren wir bereits auf Ibiza. Das war besonders wichtig, da wir uns vorher noch nicht kannten und es einer gewissen Intimität bedarf. Der Drehort selbst war auch eher klein und eng und wir mussten im Vorfeld einiges klären. Ich habe zuvor auch noch in Salzburg eine Dame vom Gewaltschutzzentrum getroffen und habe mich erkundigt, wie die Situation in Österreich für Frauen, die von Gewalt betroffen sind, ist, und vor allem welche häufig auftretenden Muster es gibt.
Wie war das Zusammenspiel mit den anderen SchauspielerInnen? Wie konntest du auch den Bezug zu den beiden männlichen Darstellern finden?
Mit Dominic war es leichter, da wir uns zuvor schon kannten, wir haben »L’Animale« zusammen gedreht und wir waren ebenso gemeinsam in der Schule, daher hatten wir bereits diese Form von Vertrautheit. Mit Alex hatte ich nur eine gemeinsame Szene, aber das war eigentlich gut, da ich so viel in die Figur hineinprojizieren konnte.
Wie würdest du deine Figur und ihre Beziehung zu ihrer Mutter charakterisieren?
Auf der einen Seite ist Lena unglaublich mutig und offen der Welt gegenüber, auch sehr wach, durch dieses Trauma, das sie mit ihrer Mutter erlebt hat, ist sie immer auf der Hut, sie will ihre Mutter beschützen. Sie sieht immer jede Situation als Gefahr. Es ist eine Umkehr des Mutter-Tochter-Verhältnisses. Gleichzeitig sieht man auch die Notwendigkeit ihrer Emanzipation. Die Insel, die ja auch ein hermetischer Ort ist, bedingt es ja, dass sie hinausgehen will, dass sie sich nicht von einer autonomen Zukunft abbringen lassen will.
Alle Figuren haben ja einen künstlerischen Background. Wie denkst du, gehen diese in ihrer Kunst unterschiedlich mit ihrem Schmerz um?
Das fand ich auch am Drehbuch spannend, dass es eben keine Milieu-Studie ist, so nach dem Motto, dass nur in prekären Situationen Gewalt vorkommt. Auch in bildungsnahen Familien kommt Gewalt vor. Wenn man Traumata indirekt erlebt hat, fragt man sich natürlich: Woher kommen diese Ängste? Das kann auch ein Motor für Kunst sein.
Die Animationsfiguren hast du aber nicht gemacht, oder?
Es gibt eine Künstlerin aus Madrid, die mir einen Workshop gegeben hat. Sie hat mich gebrieft und sie hat auch die fertigen Figuren gemacht. Das hat aber etwas total Meditatives. Man verändert immer eine Kleinigkeit, es hat so einen Rhythmus, der mich total runtergebracht hat.
Siehst du Ähnlichkeiten zu dieser Figur und zu Carla, die du in »L’Animale« gespielt hast. Meiner Ansicht nach sind beide Figuren welche, die eine gewisse Moral vertreten.
Das ist total spannend, diese Beschreibung höre ich zum ersten Mal. Lenas Moral entsteht aus einer gewissen kindlichen Angst, ihre Mutter beschützen zu wollen. Wenn ich über die Frage nachdenke, dann sehe ich schon, dass beide Figuren auch andere ermächtigen wollen, mutig ihren Weg zu gehen und zu sich zu stehen. In dem Film geht die Tochter manchmal Schritte für die Mutter. Sie hat Mut, die die Mutter noch nicht hat, sie lebt ihr etwas vor. In der Beziehung der beiden zeigt sich eine gewisse Utopie und ebenso die Tatsache, dass man auch von Jüngeren lernen kann, dass sich eine Art Heilung einstellen kann.
Da gibt es ja dieses Zitat im Film: »Weißt du, was mir am meisten Freude macht? Dass du viel stärker bist als ich.« Der Film zeigt ja weiters diese unterschiedlichen Arten, um mit Gewalt und Trauma umzugehen. Mutter und Tochter versuchen, ihr Leben neu zu ordnen, die Mutter studiert wieder, die Tochter ist ebenso gerade auf dem Weg erwachsen zu werden. Der Vater wiederum scheint nur wenig Problembewusstsein zu haben und der Sohn bemüht sich zwar, aber kann nur schwer bestimmte Muster zurücklassen.
Wenn man sich Statistiken ansieht, merkt man schnell, dass Menschen, die Opfer von Gewalt werden, tendenziell ebenso zu Gewalt neigen und eventuell zu Tätern werden. Ich bin einerseits immer froh, wenn Filme nicht allzu offensichtliche Messages haben, da ich es auch mag, mit Fragen nach Hause zu gehen und nicht mit Antworten, andererseits glaube ich es schon, dass in der Utopie zwischen Mutter und Tochter das Potential birgt, sich von Gewalt zu lösen und einen Umgang damit zu finden. Gleichzeitig liegt es auch darin, dass Mutter und Tochter miteinander reden, dies können Vater und Sohn nicht wirklich, sie verdrängen es eher. Im Kollektiven wie im Individuellen setzt sich ein Trauma fest. Durch das Schweigen hat das Trauma mehr Möglichkeit, sich einzunisten. Das wird bei der Geschichte von Vater und Sohn aufgezeigt. Der Sohn hat gar keine Möglichkeit, aus dieser Spirale hinauszukommen.
Wie war die Zusammenarbeit mit Günther Schwaiger? Es ist ja sein erster Spielfilm, zuvor realisierte er Dokumentationen wie etwa »Martas Koffer«.
Er hat eine sehr genaue Vorstellung davon, wie er die Geschichte erzählen will. Daher war die Vorarbeit sehr akribisch, wir haben oft über die Rolle gesprochen und darüber, was dieser Ort bedeutet. Wir hatten eben auch die zwei Probewochen, auch ein ziemlicher Luxus, das hat man beim Fernsehen meistens nicht. Gerade, wenn man so einen Film dreht, mit einem heiklen Thema, da ist es wichtig, sich mit dem Team einzuspielen, sonst könnte ich mich als Schauspielerin auch nicht so öffnen. Günther hat sich schon lange mit dem Thema auseinandergesetzt. Vom Casting bis zum Dreh lag etwas mehr als ein Jahr, aber wir hatten einfach immer wieder Kontakt, haben gesprochen. Das war auch gut, vor allem, wenn ich anderer Meinung war, konnte ich meine Bedenken ihm gegenüber gut aussprechen.
Interessant fand ich ebenso diesen Umstand der Insel als Ort. Eine Insel ist ja immer ein Sehnsuchtsort, zugleich kann es aber auch ein Gefängnis sein. Das ist ähnlich wie mit Beziehungen – man sehnt sich danach, aber zugleich können sie auch einengen oder gar Ort von erlebter Gewalt sein. Von einer Insel kann man ebenso nicht so schnell weg. Wie habt ihr beim Dreh die Insel erlebt? Wie hat sie euer Arbeiten beeinflusst?
Davor habe ich eher in der Stadt oder in der Nähe einer Stadt gedreht, daher war es für mich bei diesem Dreh, der ja gänzlich auf der Insel stattfand, schon anders. Sonst kommt man nach dem Dreh nach Hause, ist in seiner gewohnten Umgebung. Auf Ibiza war es toll, weil man drei oder vier Wochen total in der Geschichte drinnen ist. Ich hatte vor und nach dem Dreh auch viel Zeit für mich. Ich habe das als unglaublich befreiend empfunden, weil man sich für den Film vier Wochen verschreiben konnte. Im Sommer ist Ibiza ein Tourismus-Ort, es gibt viele Partys, im Sommer sind 40 000 bis 50 000 mehr Leute dort als sonst. Aber es ist auch ein Ort, an dem es viele unglaublich tolle verlassene Plätze gibt. Es hat auch so etwas Mystisches bekommen, diese ganzen verlassenen Hotels und die Clubs. Ibiza sieht zuweilen aus wie eine schräge Geisterstadt. Der Ort, der so von Wasser umgeben ist, das kann ja, wenn man es so interpretieren will, für das Unterbewusstsein stehen.
Ich wollte ohnehin noch über die Tauch-Szenen reden, auch ich habe diese als Metapher für das Unterbewusstsein und für Verdrängung gesehen. Wie war das, diese Szenen zu drehen?
Leicht gefallen sind mir diese Szenen nicht, wobei ich auch gestehen muss, dass ich gar nicht richtig tauchen musste. Für die tiefergehenden Szenen gab es dann Tauch-Doubles. Je weiter man hinuntertaucht, desto dunkler wird es. Ich denke mir nun nicht, dass ich demnächst unbedingt tauchen gehen muss. Ich hätte viel zu große Angst davor, nach einiger Zeit unter Wasser Panik zu bekommen. Es ist ja eine große Sache beim Tauchen, wenn man Angst bekommt und dann zu schnell nach oben kommen will, dass man Probleme mit dem Druckausgleich bekommt.
Habt ihr euch beim Dreh selbst Gedanken darüber gemacht, wie der Film wirken soll?
Über den Inhalt haben wir natürlich viel gesprochen. In den letzten vier Jahren ist ja die Anzahl an Frauenmorden sehr gestiegen, fast über das Doppelte. Das zeigt ja, wie präsent das Thema ist. In Spanien haben sie einen besseren Weg gefunden, um mit diesem Thema umzugehen, die Exekutive und die Legislative sind da besser geschult. Sie haben auch eine bessere Gewaltprävention, diese funktioniert ja in Österreich noch nicht so besonders gut, da gibt es noch große Mängel. In Österreich werden Frauen, die Gewalterfahrungen gemacht haben, zwar weiter zu Institutionen geführt, aber bei Männern, die als Gefährder gelten, denen wird quasi nur eine Broschüre in die Hand gedrückt. In Spanien ist es das Angebot für von Gewalt betroffene Frauen niederschwelliger, es wird schneller ein Betretungsverbot ausgesprochen. Mein Wunsch ist: Der Film soll für alle relevant sein, es gibt kein Zielpublikum, da das Thema uns alle betrifft. Wir müssen einen kollektiven Diskurs darüber führen und schauen, dass Thema nicht an den Rand gedrängt wird. Die Medien und deren Berichterstattung sind hier natürlich auch in die Verantwortung zu nehmen. Bei vielen Morden heißt es dann in der Zeitung: »Beziehungsdrama«. Aber nicht alle berichten über den Zusammenhang zwischen einem patriarchalen System und dass manche Männer Frauen als Besitz betrachten und welche Rolle Misogynie dabei spielt. Das sind keine »Beziehungsdramen«, sondern diese Taten finden innerhalb eines gewissen Systems statt. Es finden oft auch einfache Erklärungen und Kausalketten Eingang in die Berichterstattung: Schöne junge Frau, die ihren Mann verlassen will oder hat, dieser wird eifersüchtig und bringt sie um. So einfach ist es nicht.
Nun möchte ich gerne noch ein bisschen über dich sprechen. Du hast ja einige Zeit Komparatistik studiert und meintest einmal in einem Interview, dass du gerne Geschichten erzählst. Gibt es Vorbilder für dich?
Ich bin zu gewissen Vorbildern – etwa aus der Literatur – erst nach meinem Studium gekommen, zum Beispiel Ingeborg Bachmann oder Virginia Woolf. Die habe ich während meines Studiums erstaunlicherweise gar nicht so viel gelesen, sondern eher Thomas Bernhard. Sowohl am Theater als auch und in der Literatur finde ich auch Elfriede Jelinek spannend, bei Lyrik und kurzer Prosa gefällt mir Ingeborg Bachmann, ihre Kurzgeschichten haben mich sehr beeinflusst. Bei Theaterarbeiten kommt es auch immer wieder vor, dass ich in anderen Texten ihre Texte bemerke.
Ist es beim Schauspielern auch so, dass man durch die Auseinandersetzung mit Figuren und Geschichten einen anderen Blick auf Literatur bekommt? Du spielst ja auch gerade etwa in »Die Physiker«?
Claudia Bossard, die das Stück inszeniert hat, ist eine großartige junge Regisseurin, die auch total sprachaffin ist und in diesem Dürrenmatt, der ja eigentlich sehr thesenhaft funktioniert, hat sie auch noch einen Kolonalisierungs-Diskurs eingebaut. Da merke ich schon, dass natürlich ein gewisser Background nicht schadet. Das Komparatistik-Studium zuvor war mir teilweise etwas zu theoretisch, da hat mir der Raum gefehlt, in dem ich das praktisch anwenden könnte. Nun wiederum merke ich, dass mir die Theorie beim Spielen etwas fehlt. Mir macht es total Spaß, an Texten zu arbeiten, auch an welchen, die nicht so leicht sind, wo man sich erst so reinbeißen muss. Da ist es auch toll, Referenzen zu haben, eben weil ich dieses Studium damals zumindest begonnen habe.
Du arbeitest am Theater, hast in »L’Animale« mitgespielt, bist ebenso in der Serie »Trakehnerblut« involviert, das sind ja alles unterschiedliche Projekte. Was hat dich in den letzten Jahren bei deiner Arbeit besonders berührt und vorangebracht?
»L’Animale« auf jeden Fall, das war – gemeinsam mit dem »Tatort« – meine erste Filmerfahrung. Und dann war einfach die Arbeit mit Katharina (Mückstein, Anm. d. Red.) toll, weil sie inhaltlich sehr stark angebunden arbeitet, aber auch Freiheit zulässt. Ich konnte meinen Teil zu dieser Geschichte beitragen, sie hat mir Vertrauen geschenkt. Das war sowohl mit Katharina als auch mit Sophie (Stockinger Anm. d. Red.) eine spannende Arbeit und ich habe wahnsinnig viel gelernt. Ich mochte auch den Film. Bei Filmen kann es ja so sein, dass die Form sich noch sehr ändert, beim Theater ist es ein ständiger Prozess, von dem man als Schauspielerin auch währenddessen mehr mitbekommt. Beim Theater hat man mehr ein Gefühl dafür, was sich da gerade entwickelt, es gibt nicht diese Distanz, die es beim Film gibt. Bei »L’Animale« war es so, dass ich ihn eineinhalb Jahre später gesehen habe und da hat sich meine Wahrnehmung während des Drehs und das Resultat, also der fertige Film, sehr gedeckt. Das fand ich sehr schön.
Gibt es für dich sonst viele Unterscheide zwischen der Arbeit am Theater und beim Film?
Ich finde, der Raum macht einen sehr großen Unterschied. Kino und Theater sind eben Räume, in die man geht, wo man sich auf eine Geschichte einlässt. Beim Theater gibt es eine andere Auseinandersetzung mit Sprache und auch mit dem Körper, das geht es zum Teil sehr ins Abstrakte, man bedient sich anderer Mittel – das macht mir auch sehr viel Spaß. Ich liebe es auch, ins Absurde zu arbeiten und vom Realismus wegzukommen. Und dass es natürlich beim Film/Fernsehen viel schwieriger, denn diese Möglichkeiten zur Überhöhung – da muss die Setzung schon ganz klar sein. Im Theater hat man schon auch mit Texten zu tun, die eine andere Form haben, die gebunden sind, im Fernsehen geht es mehr in die Alltagssprache.
Mit welchen Themen würdest du dich noch gerne im Rahmen deiner Arbeit auseinandersetzen?
Wir haben in München einmal gemeinsam mit der Autorin eine Arbeit gemacht: »Children of Tomorrow«. Das war eine relativ partizipative Arbeit, bei der wir SchauspielerInnen in den Textentwicklungsprozess miteinbezogen wurden. Da ging es um Fürsorge und das hat bei mir ein Interesse für dieses Thema geweckt. Mich interessieren also Projekte, die beleuchten, wie man in unserer Gesellschaft mit Fürsorge umgeht und was das bedeutet – vor allem auch innerhalb eines feministischen Diskurses. Ich hätte auch Lust, mehr in Richtung Komödie zu gehen, weil es eine andere Form ist, bei der man sehr scharf und präzise arbeiten muss. Ich sehe auch selten wirklich gute Komödien. Tragödien sind auf eine Art wirklich leichter zu spielen, ich weiß auch nicht, warum. Auf jeden Fall hätte ich Lust, mich an eine Komödie heranzutasten.
»Der Taucher« ist seit 29.11.2019 in den österreichischen Kinos zu sehen. Von Gewalt betroffene Frauen können sich anonym und kostenlos an die Frauenhelpline unter 0800 222 555 wenden.