Extrem leer und unglaublich nah

Vor zwei Jahren konnte King Krule gerade noch verhindern, zum Gesicht einer ganzen Generation zu werden. Heute singt er wunderbare Lieder von Liebe und Hass, vom Aufbäumen und Scheitern, von Hoffnung und Ratlosigkeit. Ein durch und durch britisches Debüt.

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Zwei Jahre ist es jetzt her, seit sie versucht haben, Archy Marshall seine Persönlichkeit zu nehmen. »Sie« – das waren keine feindlichen Agenten, keine skrupellosen Manager oder finstere Gestalten. Niemand wollte Marshall etwas Böses. Es waren wohlmeinende Journalisten und Blogger in New York, Berlin und London, die begeistert über ihn schrieben. Und dabei aus dem schmalen, 16-jährigen Briten etwas machten, das er nicht war und nie sein wollte.

Doch eins nach dem anderen. Mittlerweile ist Archy Marshall 18 Jahre alt und besser bekannt unter dem Namen King Krule. Seine Songs geistern bereits seit drei Jahren durchs Netz, Ende August erscheint sein mit Spannung erwartetes Debüt »6 Feet Beneath The Moon«. Man darf davon ausgehen, dass es sehr, sehr erfolgreich sein wird.

2011 gab es bereits eine erste selbstbetitelte EP. Kurz vor dem Release gab Andy Marshall dem musikalischen Leitmedium Pitchfork in New York ein Interview. Zum gleichen Zeitpunkt brannten in London gerade nach einem tödlichen Polizeieinsatz die Straßen. Marshall äußerte Verständnis für die Wut der Jugendlichen – es sei besser, als wenn nichts passierte. Musikmedien stürzten sich darauf. Plötzlich hatten die London Riots und die Generation dahinter ein künstlerisches Gesicht. Ein hagerer Allerwelts-Ginger, dessen Werk die Frustration und Hoffnungslosigkeit widerspiegelte. Eine medienwirksame Mischung aus Jimi Hendrix und Benno Ohnesorg, der man ihre britische Herkunft nicht nur anhörte, sondern auch noch auf 100 Meter ansah. Das alles wurde schnell zuviel. Und es passierte etwas, das bei Minderjährigen gelegentlich vorkommt: Marshalls Mutter schritt ein. Sie nahm ihren Sohn erstmal weitgehend aus der Öffentlichkeit, die eben oft nicht nur Rampenlicht, sondern auch Schussbahn ist.

Jugendliches Gefühlsbad

Zwei Jahre später sitzt Marshall in einem Hotelzimmer in Amsterdam und gibt Interviews. Die Erlaubnis seiner Mutter braucht er dafür nicht mehr. Doch eine wirklich überzeugende Erklärung für die Geschehnisse von damals hat er immer noch nicht. »Ich bin aus London, die Riots waren in London. Es war halt einfach, da eine Verbindung zu ziehen.« Das ist zweifellos wahr. Und gleichzeitig eine ziemliche Untertreibung. Es gibt schon Gründe, warum man King Krules Musik mit der »Lost Generation« der Insel assoziierte. Zunächst mal ist sie durch und durch britisch. Nicht nur, aber vor allem durch Marshalls Stimme. Er singt seine Texte nicht und spricht auch die Worte nicht wirklich aus. Genau wie Jamie T oder Mike Skinner spuckt er die Silben eher, rotzt sie auf den Asphalt, wo sie dann liegenbleiben und ein temporäres Hindernis bilden. Man kann ihnen nur ausweichen oder in sie hineintreten. Diese schnodderige, grauenhafte, wunderbare Art zu sprechen, die einen immer gleichzeitig zu einem Bier einlädt und Prügel androht, lässt sich vielleicht imitieren. Erlernen lässt sie sich nicht.

Aber das ist nicht das Einzige. King Krules Musik transportiert darüber exakt die Gefühle, die Innenstadt-Intellektuelle Jugendlichen aus der Vorstadt zuschreiben. Die Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Wut; das ständige Aufbäumen, Scheitern und die daraus folgende Betäubung. »6 Feet Beneath The Moon« ist still und gleichzeitig unfassbar intensiv. Lethargisch und aufschreiend – extrem leer und unglaublich nah. Selten war der Hass so tiefgehend, die Liebe so ehrlich, die Ratlosigkeit umfassender. Archy Marshall führt den Hörer durch höchste Höhen und tiefste Tiefen – oftmals sogar alles in einem Song. Man muss sich nur den Text von »Out Getting Ribs« anschauen. Es beginnt mit den wunderbaren Zeile »Hate runs through my blood, what matters are words in love«, um dann in den ebenso flehenden wie fatalistischen Chorus »Don’t break away, I waste away« überzugehen. Auch King Krule selbst sieht Gefühle als das zentrale Element, um sich seiner Musik zu nähern. Sie sei eben sein Ventil. Welches Gefühl eigentlich am präsentesten in seiner Musik sei? »Wut. Wobei… eigentlich auch Liebe, Hass, Freude, Ratlosigkeit. Aber vor allem Wut.«

Bild(er) © Windish Agency; Jamie James Medina
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