Das Ende der Menschheit

Mit Neill Blomkamps "Chappie" und Alex Garlands "Ex Machina" ruft das Kinojahr 2015 frühzeitig das filmgeschichtsträchtige Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine auf den Plan. Cyberpunk René Descartes lässt grüßen.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

"Now we are stopping at a robot", erklärt der Taxifahrer strahlend seiner Kundin Lady Gaga auf der Rückbank, "because in South Africa we call a traffic light a robot!" Wir befinden uns in einem Musikvideo des südafrikanischen Rap-Duos Die Antwoord, in einem heruntergekommenen Viertel irgendwo in Südafrika, wo Ninja und Yo-Landi einst das Rappen erlernt haben. Hier hat 2009 der ebenso in Südafrika gebürtige Neill Blomkamp in seinem Spielfilmdebüt am Rande von Johannesburg ein Slum erschaffen, das ausschließlich von extraterrestrischem Leben besiedelt wird, dem sogenannten "District 9".

Nun fokussiert Blomkamp in seinem aktuellen Film nicht etwa auf einen leblosen Apparat wie eine Ampel, sondern auf einen Roboter namens Chappie und haucht diesem menschliche Züge ein. An dessen Seite stellt er seine Landsleute Ninja und Yo-Landi, welche in die Rolle von Gangstern schlüpfen, die den Roboter entführen und ihm die Welt des Thug Life näher bringen. Alles genügend Gründe für ein reizvolles Kinospektakel – doch "Chappie" sollte nicht bloß als Sci-Fi-Komödie abgetan werden. Indem Blomkamp seinem Roboter eigenständiges Denken und Fühlen zuschreibt, knüpft der Filmemacher an eine traditionsreiche gesellschaftskritische Science Fiction-Strömung an.

Wie auch schon "District 9" basiert "Chappie" auf einem Kurzfilm Blomkamps – "Tetra Vaal" aus dem Jahr 2004 zeigte einen Roboter mit hasenohrartigen Antennen, welcher zur Unterstützung der Exekutive durch die Straßen Johannesburgs streift, um für Recht und Ordnung zu sorgen. Elf Jahre später sind die Ohren geblieben, die Persönlichkeit von Chappie ist aber stark ausgebaut worden. Seit seinem Durchbruch hat sich der aufstrebende Filmemacher der Wechselwirkung zwischen Menschen und nicht humanen Lebensformen verschrieben. Sind in "District 9" noch insektoide Mutationen außerirdischer Art Ursache für die fortschreitende Entmenschlichung des Protagonisten, so basiert diese im Folgewerk "Elysium" auf einer maschinellen Symbiose, welche Matt Damon zum Cyborg werden lässt.

Gleich bleibt Blomkamps Konstruktion einer Zweiklassengesellschaft als Rahmen des Plots – während in "District 9" die Aliens die Rolle der unteren Schicht übernehmen, ist es in Elysium der auf dem mittlerweile nicht mehr lebenswerten Planeten Erde zurückgelassene, weniger wohlhabende Teil der Weltbevölkerung, dessen Alltag durch den Einsatz kompromisslos programmierter und gefühlskalter Roboter strukturiert wird.

Chappie denkt und fühlt

In "Chappie" nimmt diese Rolle schließlich der namensgebende Roboter selbst ein. Problematisch wird das dadurch, dass Chappie – ebenso wie Blomkamps bisherige Protagonisten – denken wie auch fühlen kann. Ein solch konstruiertes Dilemma zieht sich wie ein roter Faden durch die Filmgeschichte der Roboter und Androiden und wird dabei immer wieder zur dystopischen Zukunftsvorhersage hochstilisiert.

Bereits Fritz Lang erschuf in seinem Epos "Metropolis" aus dem Jahr 1927 die Figur eines Maschinenmenschen innerhalb eines rigiden Zweiklassensystems, bestehend aus Oberschicht und Arbeiterklasse. Philip K. Dicks in den 60ern erschienener Klassiker "Do Androids Dream Of Electric Sheep?" war schließlich ein Vorläufer, in dem künstliche Intelligenzen in humanoiden Körpern selbst Teil der Klassengesellschaft werden.

Böse Roboter

Der Science Fiction-Autor William Gibson legte 1984 mit "Neuromancer" den Grundstein der Cyberpunk-Bewegung. Nahezu parallel wird Dicks Androiden-Parabel durch Ridley Scott verfilmt und der bis dato wohl prägnanteste Film zum Thema – "Blade Runner" – erscheint. Spätestens jetzt hat sich René Descartes Ausspruch "Ich denke also bin ich" in seiner Doppelbödigkeit in der Popkultur manifestiert. Auf die Cyberpunk-Bewegung der frühen 80er folgen unzählige Werke.

Film wie Literatur sind von einer düsteren und maschinell symbiotischen Stimmung geprägt – weit weg von einer steril designten und moralisch weniger verfänglichen Galaxie wie der von "Star Wars", welche sich noch Ende der 70er aufgetan hat. Natürlich hat es zu dieser Zeit auch Roboter gegeben, welche nicht ihre eigene Existenz hinterfragt und somit in eine Sinnkrise gestolpert sind.

Den Metall-Cowboys aus "Westworld" (1973) etwa werden keine empathischen Fähigkeiten zugesprochen. Sie sind lediglich Resultat einer dekadenten Entertainment-Gesellschaft, was schlussendlich zwar nicht ganz zur oft zitierten Roboterapokalypse, aber immerhin zum Ausnahmezustand in einem US-Vergnügungspark führt. Doch der komplett entmenschlichte und bösartige Roboter, Android oder Cyborg wird schließlich zum weniger attraktiven Modell. Ein Trend, dem nicht nur der "Terminator" im Laufe seiner Entwicklung entgegenblicken muss. Wesentlich spannender ist die steigende Identifizierung mit der künstlichen Intelligenz.

Gute Roboter

Diese Richtung verfolgen auch Werke der 2000er Jahre. Allen voran Steven Spielbergs "A.I." (2001), aber auch Pixar liefert mit "Wall E" einen sehenswerten Beitrag dazu ab. Das äußere Erscheinungsbild – die Differenzierung zwischen Blechmann und Androiden – spielt dabei scheinbar eine geringere Rolle als in den 80ern, wo gerade die durch das nicht mehr unterscheidbare Äußere entstehende Paranoia in der Gesellschaft zentrales Thema ist. Weder Wall E noch Chappie brauchen eine humanoide Hülle, um liebenswerte Protagonisten zu sein. Schließlich nimmt Spike Jonze den haptischen Körper ganz aus dem Spiel und erzeugte 2014 mit "Her" die bisher wohl realistischste Zukunftsdystopie.

So einfach lässt sich ein einziger gültiger Trend dann aber doch nicht herauskristallisieren. Denn neben "Chappie" liefert das aktuelle Kinojahr mit "Ex Machina" noch einen weiteren Kandidaten aus dem Metier, welcher den klassischen Androiden wieder auf die Bühne bringt. In seinem Regiedebüt konfrontiert Alex Garland, Drehbuchautor von "28 Days Later" und "Sunshine", einen jungen Programmierer mit der erschütternden Menschlichkeit eines weiblichen Androiden, moralische Dilemmas vorprogrammiert. Man könnte meinen, Garland gibt Jonzes Samantha den Körper, den sie verdient, und lässt so das Täuschungsspiel der 80er Jahre ein weiteres Mal aufleben.

Descartes pragmatischer Ansatz des Denkens wird in Garlands Konstruktion eines Beziehungsdreiecks, welches den Androiden einschließt, einmal mehr in einem Gefühlskarussell zugespitzt. Auch das reizvolle Spiel mit der Angst vor dem Verlust der menschlichen Souveränität aufgrund technologischen Fortschritts dürfte seit der Blütezeit des Cyberpunk offenbar an nichts an Faszination eingebüßt haben, hat doch erst im vergangenen Dezember Stephen Hawking von seiner Furcht gesprochen, indem er meinte: "The development of full artificial intelligence could spell the end of the human race".

"Ex Machina" war bereits in britischen Kinos zu sehen. In den USA und Deutschland läuft er im April an. Ein Starttermin für Österreich steht noch nicht fest. "Chappie" läuft bereits in heimischen Kinos. Filmstart von Avengers – Age Of Ultron ist 23. April.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...