Seit Jahren wird darüber diskutiert, wie das Urheberrecht an die Gegebenheiten des digitalen Zeitalters angepasst werden soll. Von einer Lösung ist man heute entfernter denn je.
"Endlich fliegen die Fetzen" (Michel Reimon)
Eine Welle von Kampagnen rauscht durch Netz und Medien: »Kunst hat Recht«, »Mein Kopf gehört mir«, »Wir sind Urheber«, »Wir sind auch Urheber« und so weiter. Eine Künstler-Allianz von Sven Regener bis Peter Turrini beschimpft »pickelige Mittelschichtspiraten« und die Dolme von Anonymous veröffentlichen die privaten Daten von Unterzeichnern einer Urheberrechtspetition. Künstler gegen Publikum, das ist Brutalität. Und es ist natürlich falsch, aber das wissen nach dem Durchatmen eh alle. Man braucht einander nicht nur, man liebt sich ja auch. Grundsätzlich. Die Härte des Konflikts zeigt nur, wie Medien halt funktionieren. Wie Aufmerksamkeit entsteht und wächst. Unterm Strich ist das großartig: Urheberrecht und Finanzierungsmodelle für Kultur im digitalen Zeitalter, das ist seit den 90ern ein Nerd-Thema. Viel zu lange hat es nur eine Minderheit interessiert, jetzt reden endlich Massenmedien und Medienmassen darüber. Endlich fliegen die Fetzen. Der Konflikt entzündet sich an der Widersprüchlichkeit zweier Ziele, die wohl die Meisten unterscheiden können: Maximaler kreativer Output und maximale Verbreitung von Kultur und Wissen. Leider widersprechen sich diese beiden Ziele in einer Welt, in der die Kreativen auch Geld verdienen müssen. Jeder Vorteil auf einer Seite zieht einen Nachteil auf der anderen mit sich, es gibt keine perfekte Lösung. Und es gibt bedeutende Nebenwirkungen: Digitale Kontrollmechanismen eignen sich hervorragend zur Überwachung auch in anderen Bereichen. Da geht es plötzlich nicht »nur« um Kultur und Wissen, sondern auch um demokratische Grundrechte. Dazu kommt noch eine politisch einflussreiche Industrie, die um ihr Überleben kämpft – weil sie ein Produkt anbietet, das vielleicht nur wenige Jahrzehnte der Menschheitsgeschichte »industriefähig« war. Wie die perfekte Lösung aussieht? 1. in der Mitte zwischen den Extremen und daher 2. für niemanden perfekt und 3. ist sie nie von Dauer. Die Organisation der Informationsgesellschaft ist ein Problem, das nie mehr »gelöst« werden wird. Wir brauchen einen langen Atem. Willkommen in der Zukunft. Michel Reimon, 40, Journalist, Autor und grüner Abgeordneter im Burgenland. Hat den Roman #incommunicado über den Kampf ums Urheberrecht geschrieben: reimon.net/incommunicado.
"Weniger Kohle in ACTAs, SOPAs, PIPAs und Kunst-hat-Recht-PR" (Lena Doppel))
Ich gebe viel Geld für urheberrechtlich geschützte Inhalte aus, monatlich sicher bis zu 200 Euro. Dieses Geld erreicht so gut wie keinen deutschsprachigen Urheber. Warum? Ich konsumiere diese Inhalte ausschließlich digital. Ich finanziere die BBC (iPlayer Abo), bezahle monatlichen Obolus an den O’Reilly Verlag für die digitale Bibliothek Safari Books Online und sponsere AMC und HBO für »Mad Men« bzw. »Game Of Thrones«. Musik kaufe ich über iTunes, Filme borge ich mir auch dort aus. Ich abonniere Videos von Lynda, lasse in manchen Monaten 50 Euro und mehr bei Amazon Kindle und ich habe mehrere (»Papier-« hoho!) Zeitschriften zu den Themen Webdesign, Musik und Lifestyle über Zinio abonniert. In den Jahren der wachsenden Digitalisierung meines Medienkonsums hat man mir zusätzlich konsequent »abgewöhnt“«, deutschsprachige Inhalte zu konsumieren. Wieso? Ich besitze schon 4K Bücher, 1K CDs und 0,5K DVDs und ich weiß nicht mehr, wo ich das Zeug hinstellen soll, also kaufe ich nur mehr digital. Und digitales Deutschsprachiges war einfach nicht verfügbar. Ich bin keine geübte Downloaderin (»Game Of Thrones« SE02 ist ein Notfall, das kann man nicht mal in den USA legal downloaden). Ich bin so »sozialisiert«, dass ich mir lieber Bezahl-Content reinziehe. Weil ich gut bin? Nein. Nur bequem und nicht arm. Langsam gibt es jetzt die ersten deutschsprachigen Angebote. Trotzdem fällt mir auf: Ich verweigere noch immer. Deutschsprachige Kindle-Bücher des Suhrkamp-Verlags kosten z.B. 1 Cent (!) weniger als ihre Papierausgabe. Nicht mit mir. Deutsche Verwerter haben für mich einfach zu lange gewartet, oder eigentlich andersrum: Ich habe auf sie viel zu lange warten müssen. Und zu allem Überfluss darf ich mich seit Kurzem auch noch als Teil der »Gratiskultur-Netzcommunity« beschimpfen lassen. Also schreib ich den Urhebern, den Verwertern und ihren Industrien ins Stammbuch: Bitte weniger Kohle in ACTAs, SOPAs, PIPAs und »Kunst hat Recht«-PR buttern und mehr in die Entwicklung legaler digitaler Angebote. Dann klappt’s vielleicht auch wieder mit den Konsumenten. Lena Doppel, 44, beschäftigt sich beruflich und privat sehr intensiv mit der digitalen Welt. Als Unternehmerin entwickelt sie digitale Strategien für ihre Kunden und unterstützt bei deren Umsetzung.
"Für die Freiheit der Schöpfer" (Nikolaus Kraft)
Das Urheberrecht befreite einst den Kreativen vom Diktat des Mäzenatentums. Die Freiheit des Schöpfers ist unverändert aktuell: Wer sein Leben auf Dauer dem Schaffen kreativer Inhalte verschreibt, soll Herr seiner Schöpfung und kein rechteloser Bittsteller sein. Das digitale Zeitalter lebt mehr denn je von kreativen Inhalten. Das Märchen von der »digitalen Brotvermehrung« zieht aber nicht: In der digitalen Welt zählt jeder Klick. Wer urheberrechtlich geschützte Werke – also etwas anderes als Wissen, Information und Fakten – ohne Erlaubnis des Schöpfers nutzt und damit anonym, in großem Stil und ohne einen Cent zu bezahlen Klicks und Traffic gewinnt, beutet den Kreativen aus. Und lacht sich häufig in der Luxusvilla ins Fäustchen. Es wäre viel gewonnen, wenn sich alle Lager zu Folgendem bekennen: 1. Der Kreative soll selbst über Schicksal und Verwertung seiner Werke entscheiden. Ob ein Anpassungsbedarf des Urheberrechts besteht, ist zu diskutieren (Stichworte: Fair Use, Urhebervertragsrecht). Der Kreative muss gestärkt, nicht geschwächt werden. 2. Der Kreative soll seine Rechte in der Praxis auch wirklich durchsetzen können. Dass ihm zu diesem Zweck möglich und erlaubt sein muss, den zunächst anonymen Rechtsverletzer auch wirklich zu ermitteln, liegt auf der Hand. Nikolaus Kraft, 38, ist Rechtsanwalt, Vertreter der österreichischen Anti Piraterie Organisation (VAP) und Mitbegründer der Internationalen Gesellschaft für Musikwirtschaftsforschung.
"Balance zwischen Interessen herstellen" (Peter Tschmuck)
Die digitale Revolution hat die Musikschaffenden als Träger von Urheber- und Leistungsschutzrechten ins Zentrum eines neuen Wertschöpfungsnetzwerks gerückt. Grundsätzlich können heute alle Künstler bzw. ihr Management versuchen, die Rechte selbst zu verwerten. Dazu bedarf es einer juristischen und wirtschaftlichen Grundkompetenz sowie spezieller Schutzmechanismen im Vertrags- und Urheberrecht. Kurz gefasst, es braucht in Österreich ein Urhebervertragsrecht, in dem die Exklusivität von Vereinbarungen auf Ausnahmefälle beschränkt wird und keine langfristigen oder gar unbefristeten Lizenzen erteilt werden können. Auf dieser Basis könnte dann ein modulares Urheberrecht aufbauen, das es den Urhebern im Sinn der schon existierenden Creative Commons-Lizenzen überlässt, zu entscheiden, in welchem Umfang und mit welchen Befugnissen sie Nutzungsbewilligungen erteilen wollen. Es bedarf zudem der radikalen Verkürzung von Schutzfristen und der Einführung von Fair-Use-Bestimmungen, wie sie z.B. im US-amerikanischen Copyright existieren, um vor allem das derivative Werkschaffen zu unterstützen. Und schließlich braucht es neue Vergütungsmodelle, wie z.B. eine Musik-Flatrate, die neue Einkommensmöglichkeiten für die Musikschaffenden bietet, aber auch private Musiknutzer entkriminalisiert, wenn sie untereinander digitale Musikfiles austauschen. Ein Urheberrecht im digitalen Zeitalter muss also die Balance zwischen den legitimen Interessen der Urheber, Rechteverwerter und privaten Nutzer, die immer öfter auch selbst kreativ Schaffende (Stichwort: Prosumer) sind, herstellen. Peter Tschmuck, 41, ist Professor für Kulturbetriebslehre am Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft (IKM) der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Musikwirtschaftsforschung und der Ökonomie des Urheberrechts.
Die Fronten haben sich verhärtet. Auf der einen Seite machen immer mehr Künstler mobil, die darauf aufmerksam machen, dass ihre althergebrachten Einnahmequellen im Internet zu versiegen drohen. Sven Regener, Sänger von Element Of Crime, polterte kürzlich in einer Spontantirade im deutschen Radio, die sogenannte Gratiskultur sei nichts anderes, »als dass man uns ins Gesicht pinkelt und sagt: ›Euer Kram ist nichts wert. Wir wollen das umsonst haben.‹ Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.«
Auf der anderen Seite stehen Menschen, die die Informationsfreiheit im Netz bedroht sehen. Und zwar von staatlicher Seite, wo laufend neue Ideen entwickelt werden, wie illegalem Filesharing beizukommen sei: Vom Sperren des Internetzugangs für Wiederholungstäter wie etwa in Frankreich bis zur Verwendung gespeicherter Vorratsdaten zur Ausforschung von Urheberrechtsverletzern. Da werden schwere Geschütze zum Schutz der Künstler aufgefahren, die gewaltige Kollateralschäden verursachen.
Interessanterweise kocht die Diskussion medial zu einem Zeitpunkt hoch, in dem die Piratenpartei starken Zulauf hat und das vermeintliche Böse ein Gesicht bekommt. Dabei vertreten jene, die die Piraterie im Namen tragen, eine differenzierte Sichtweise. Sie sprechen sich zwar für eine Entkriminalisierung des privaten, nichtkommerziellen Filesharing aus, haben aber durchaus Vorschläge, wie die Rechte der Urheber gestärkt werden sollen. Weil die Arbeit der Künstler und auch die Informationsfreiheit etwas wert sind.