Seit ich Vitamin D nehme, geht es besser

Es gibt Umstände, die sich nicht unbedingt optimal auf ein Interview auswirken. Zum Beispiel, wenn man nicht ausgeschlafen ist. Und noch dazu schlecht vorbereitet. Vor allem, wenn die Gesprächspartner Naked Lunch heißen.

Die Kärntner Band Naked Lunch, die gerade ihr neues Studioalbum »All Is Fever« veröffentlichte, sah über die Unzulänglichkeiten hinweg. »Du scheinst mir nicht gerade motiviert zu sein«, stellte Herwig Zamernik kurz vor Interviewbeginn fest. Ich bin sicher, er würde jetzt lieber woanders sein und nicht hier auf einer Kaffeehauseckbank liegen: Bandscheibenvorfall. Oliver Welter und Stefan Deisenberger schauen indessen fünf Minuten lang meinem Kampf mit dem Aufnahmegerät zu. »Das piepst ja, wie wenn man etwas beim Hometrainer einstellt«, kommentiert Deisenberger trocken. Und als das Gerät dann endlich aufnimmt und die erste Frage gestellt ist, fällt es auch schon wieder aus …

The Gap: Also, wo brennt’s?

Welter: Nachdem ich mir Dinge ziemlich gut merke, kann ich sagen, dass das nicht die Frage ist, die du vorhin gestellt hast.

Stimmt: Euer neues Album heißt »All Is Fever«. Fieber deutet meist auf Entzündungen hin, aber ist auch wichtig für den Heilungsprozess. Wo brennt’s überall?

Welter: Geht ja wohl!

Zamernik: (zu Welter) Jetzt sag’ schon, wo‘s brennt!

Welter: Nun, der Titel unseres Albums ist sehr bewusst gewählt und stand schon sehr früh fest. Und ja, der Begriff des Fiebers schlägt um sich. Ich merke das bei mir persönlich, bei meinem näheren Umfeld und natürlich auch im großen, globalen Prozess, dass es Zeit für Veränderungen ist. Wir liegen alle irgendwie krank darnieder und wir werden hoffentlich genesen rausgehen. Es herrscht zurzeit eine Haltlosigkeit. Ganz wenige wissen, wohin sie sich bewegen sollen, wie es weiter geht, und was es für Möglichkeiten gibt. Hat sich mein Lebensmodell als richtig herausgestellt, oder ist es ein Scheißdreck? Und wenn es scheiße ist, was wäre die Alternative dazu? Das sind die Fragen, die den Alltag beherrschen.

Klingt ein wenig nach Midlife-Crisis?

Zamernik: Ja genau, haha.

Welter: Gut möglich, kann durchaus sein. Dann benenne es so. Da habe ich kein Problem damit. Das ist nämlich überhaupt nicht so, aber wenn das deine Interpretation ist, ist es schon in Ordnung, es ist mir einerlei.

Ich wollte ein wenig provozieren.

Welter: Du hast den Fehde-Handschuh geschmissen, ich nehme ihn gerne auf.

Brennt’s auch innerhalb der Band noch?

Welter: Wir haben als Band ganz viele Prozesse durchlebt. Ich finde, dass man das Feuer, das man über die Jahre selbst entfacht hat, auch schüren muss.

Ihr habt zuletzt zum Film »Universalove« und der Theaterfassung von Franz Kafkas »Amerika« zwei Soundtracks gemacht. Beeinflussten diese Konzeptarbeiten die Herangehensweise ans neue Album?

Welter: Es ist wohl eine unbewusste Form der Beeinflussung. Bei den Soundtracks ist man Teil einer Idee, eines großen Gedankens, den man nicht selber ausformulieren muss. Das hat etwas sehr Schönes. Die Arbeit an einem eigenen Album, die nicht einer Idee von außen geschuldet ist, ist was anderes. Man geht weiter an seine Grenzen. Man lotet einfach mehr aus.

Ist man befreiter bei der Arbeit?

Welter: Natürlich ist man befreiter. Wenn man Kafka vertont, ist Kafka das Korrektiv. An dem kommt man nicht vorbei. Bei »All Is Fever« sind wir das einzige Korrektiv und das macht die Sache nicht unbedingt einfacher.

Zamernik: Es macht es sogar schwieriger, weil wir ein hartes Korrektiv sind. Und man dann mitunter aneinander kracht.

Schlagt ihr euch gegenseitig noch die Köpfe ein?

Welter: Im übertragenen Sinne schon. Es ist eine Form des Arbeitsprozesses. Köpfe einschlagen im besten, aber auch im schlimmsten Sinne, machen wir bis zum Exzess.

Zamernik: Aber Köpfe einschlagen sagen wir nicht mehr dazu. Wir sind ja, wie du festgestellt hast, in der Midlife Crisis. Wir nennen das jetzt Diskurs.


Ihr lebt und arbeitet ja in Kärnten. Habt ihr eine Art Hassliebe zu diesem … ja was ist Kärnten eigentlich?

Welter: Man sieht, in der Benennung tut man sich schon schwer. Du kannst ruhig »dieser schreckliche Flecken Erde« dazu sagen. Und ja, ich kann »Hassliebe« unterschreiben. Ich spüre Verbundenheit und – auch wenn ich früher nie gedacht hätte, jemals so zu reden – es ist auch Heimat. Und der Begriff »Heimat« steht uns genauso zu wie dem rechten Gesocks. Den will ich denen nicht einfach so überlassen.

Zamernik: Unsere Herkunft ist zumindest jedem Journalisten eine Frage wert. Bei einer Band aus dem Burgenland oder der Steiermark ist das nicht so.

Deisenberger: Ich bin fein raus, ich komme aus Oberösterreich.

Wie oft wird die Frage gestellt?

Welter: Von 50 Interviews 47 Mal. Und es ist mühsam, weil man immer wieder erneut um Worte ringt, da es einfach keine Erklärung dafür gibt, was da vor sich geht. Am Montag ist es schön, am Dienstag aber schon wieder unerträglich.

Was hält euch dort?

Welter: Es gibt aber auch eine konzentrierte Form der anderen Kräfte dort. Und die sind sehr nahbar. Es ist alles sehr klein, überschaubar und das hat durchaus seine Qualitäten. Wenn man will, kann man einen Kapazunder wie Josef Winkler täglich vor Ort treffen und mit ihm Kaffee trinken.

Zamernik: Josef Winkler muss übrigens auch in jedem Medium über Kärnten referieren.

Worüber referiert ihr mit Josef Winkler beim Kaffee?

Welter: Wir sind gut befreundet mit ihm. Also über alles. Er setzt dann aber meistens zu seinen Tiraden an, und wir hören zu.

Und ihr schwingt keine Tiraden?

Welter: Doch, aber er will sie nicht hören.

Zamernik: Weil er findet, dass seine Tiraden besser sind.

Sprecht ihr auch über die Möglichkeit, von dort wegzugehen?

Welter: Uns hat es ja bereits in die Welt gezogen und wir sind zurückgekehrt (kurze Pause). Josef Winkler sagt zum Beispiel oft: Warum soll ich nach Berlin Mitte ziehen? Oder auf den Prenzlauer Berg? Da habe ich ja nur Jasager um mich herum. Aber die Trafikantin hier, bei der ich jeden Tag meine Zeitung kaufe, die findet mich voll scheiße. Aber ich mag das und brauch das.

Wie reagiert ihr, wenn euch jemand scheiße findet?

Welter: Mit dem muss man leben. Es geht einem aber immer mehr am Arsch vorbei. Und grundsätzlich gilt: Jede Form der Rezeption ist gut.

Und wenn eure Trafikantin das neue Album scheiße findet?

Welter: Da würde ich mich sehr darüber freuen, dass sie das überhaupt zur Notiz genommen hat. Ich würde sagen: Super, Sie wissen ja, was ich mache. Jeden Tag komme ich hier herein und ich dachte immer, Sie meinen ich bin der Hausmeister von nebenan – der bin ich aber gar nicht, haha.

Zamernik: (richtet sich auf). Ahh. Mir ist heiß. Ich glaub ich hab Fieber.

Welter: Wenn Menschen unseren Alters Fieber haben, dann ist das die Midlife Crisis.

Zamernik: Endlich wieder sitzen. (Studiert die Packungsbeilage eines Medikaments). Hier steht, dass man vom Gähnen Krämpfe kriegen kann, wusstest du das?

Nein. (Pause. Blättern in den Notizen.)

Zamernik: So, jetzt weißt du nicht mehr weiter, stimmt’s?

Doch. Ich bin mir nur nicht sicher, ob die Frage, die ich hier aufgeschrieben habe, gut ist. Liebe, Freundschaft, Trennung, Tod. Die großen Themen nehmt ihr auch auf »All Is Fever« wieder auf.

Welter: Das hast du richtig verstanden. Und damit finden wir uns schon im traditionellen Kreis der Popkultur wieder. Es sind ein paar Stücke drauf, die sich explizit mit der Liebe beschäftigen. Ein paar mit Verlust. Ein paar mit Trennung und natürlich auch welche mit Auflösung. Das sind eben die archaischen Themen seit Anbeginn der Popmusik.


Im Pressetext zu eurem Album steht: »Kein Aber, kein smartes Relativieren, keine erbärmliche Ironie.« Was ist an Ironie so erbärmlich?

Hier streikt das Aufnahmegerät wieder. Bis der Fehler behoben ist, vergehen sechs Minuten. Antworten gibt es trotzdem.

Stefan Deisenberger erklärt, dass Naked Lunch in Songs immer wieder versucht haben, ironisch zu sein – es hat aber nie funktioniert. Darum lässt man es bleiben. Oliver Welter, wirft mit »Ironie ist die Waffe der Schwachen« ein Zitat von George Bernhard Shaw ein. Herwig Zamernik teilt diese Meinung nicht und verweist auf die aufklärende Wirkung gut gemachter Satire. Einig ist man sich, dass man sich den großen Gefühlen nur ohne Spott nähern kann. Das wird mit zunehmender Erfahrung einfacher, weil einem nichts mehr peinlich ist. Welter erzählt, als er einmal zu einem Konzert nach London geflogen ist und die Gitarre vergessen hat.

Ansonsten: Es rächt sich, wenn man zu wenig Fragen ausgearbeitet hat. Welter widmet sich daher zunehmend der Lektüre einer Zeitschrift. Deisenberger schaut ihm dabei zu. Zamernik schmerzt sichtlich der Rücken. Einmal liegt er auf der Eckbank, dann sitzt er wieder. Die Interview-Situation kippt.

Welter: Ein bisschen zerrissen kommt mir das ganze Interview vor.

Zamernik: Erinnert mich ein wenig an den Helge Schneider-Sketch, in dem er einen Mikrofonausfall simuliert.

Deisenberger: (deutet auf die Zeitschrift, die Welter liest) Schau, der Gerard Depardieu. Das ist wohl der Depp des Jahres. Gemeinsam mit dem Baumgartner.

Welter: Baumgartner? Wer ist das jetzt wieder?

Dieser Red Bull-Dosenmann.

Deisenberger: »Baumgartner, wer ist das?«, das gefällt mir.

(zu Welter) Entschuldigung, ich hab deinen Baumgartner-Witz nicht sofort verstanden.

Welter: Ja, das hab ich gemerkt und bin jetzt auch nicht deswegen näher darauf eingegangen.

Zamernik: Soll das jetzt wirklich ein Teil des Interviews sein? Baumgartner?

Deisenberger: Ich warte auf die nächste Frage. Ich ruhe in mir.

Welter: (liest gerade einen Artikel über »Django Unchained«) Das Pferd vom Waltz in Django heißt Fritz. Das ist gut. Haha. Wir könnten uns auch über Quentin Tarantino unterhalten. Frag mich nach meinen fünf Lieblingsfilmen von ihm!

Sag an?

Welter: 1. Pulp Fiction. 2. Inglorious Basterds; 3. Kill Bill 2; 4. Kill Bill 1; und 5. Reservoir Dogs.

Deisenberger: Warst du eigentlich weg gestern?

Nein, ich hab mir euer Album bis drei Uhr in der Früh angehört.

Zamernik: Wegen uns warst du so lange auf!? Frag endlich was!

Eure Singleauskoppelung »The Sun« erinnert mich die ganze Zeit an etwas, ich weiß aber nicht was?

Deisenberger: Manche sagen, es klingt nach »The Winner Takes it All« von Abba.

Welter: (zu Deisenberger) Du kannst nicht auf einen implizierten Plagiatsvorwurf eine Antwort geben?

Deisenberger: Ich war ja mit dem Satz noch nicht fertig, lass mich das gerade rücken.

Zamernik: Aus der Scheiße kommst du nicht mehr raus.

Ich kann die Frage auch umformulieren: Euer Song »The Sun« erinnert ein wenig an »The Winner Takes it All« von Abba?

Deisenberger: Die besten Lieder dieser Welt kommen einem immer als erstes bekannt vor.

Zamernik: So nächste Frage bitte. Ist dir sonst noch was aufgefallen?

Zwei, drei Mal hab ich an die Beatles denken müssen.

Welter: Ich mag ja gerne Zitate. Und es gibt den schönen Satz, leider weiß ich nicht mehr von wem: »Einen Beatles-Song zu schreiben, in dieser Form der Kunst gilt es sich jeden Tag neu zu üben.«

Unlängst hab ich wo gelesen: »Die Beatles wollten deine Hand halten, die Stones aber deine Stadt anzünden.« Wollt ihr noch etwas anzünden – jetzt im Herbst eures Lebens?

Welter: So eine Frage traust du dich sicher nur uns stellen. Wenn der 49-jährige Tarantino da jetzt sitzen würde. Der würde wohl antworten: »Have a look at this!« (macht einen Faustschlag in die Luft).

Deisenberger: Ich muss sagen, ich habe neuerdings immer mehr Angst vorm Tod.

Was macht man dagegen?

Deisenberger: Mir geht es besser, seit ich Vitamin D nehme!

Zamernik: Wahnsinn. Das muss eigentlich der Titel dieses Interviews werden. »Mir geht es besser, seit ich Vitamin D nehme!«

Deisenberger: 80 Prozent der Nordeuropäer haben Vitamin-D-Mangel, hab ich unlängst gelesen. Man fühlt sich wirklich besser, wenn man es nimmt.

Kapseln oder die Oleovit-Tropfen?

Zamernik: Oleovit? Das kriegen ja nur die Babys.

Nicht nur. Bei Schuppenflechte oder Hautauschlägen kriegen es auch Erwachsene.

Welter: Unterhaltet euch ruhig weiter über Vitamin D. Ich geh jetzt. (Steht auf, geht.)

Zamernik: (zu Welter) Du nimmst das natürlich nicht. Du willst ja, dass es dir schlecht geht.

»All Is Fever« von Naked Lunch erscheint am 01. Feber via Tapete Records.

Zum Artikel über die Kärntner Kulturpolitik und Freunderlwirtschaft geht es hier entlang.

Bild(er) © Ingo Pertramer
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