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Seit er in den 50ern die Bananenarbeiter Jamaikas besang, ist Harry Belafonte eine Zentralgestalt afroamerikanischer Popkulturgeschichte – und schon lange vor Bono der Inbegriff des Popstars als Politsprachrohr. Die Viennale widmet dem 84-jährigen Aktivisten, Entertainer und Schauspieler ein Tribute.

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Harry Belafonte hat einen dieser Songs gesungen, den jeder kennt und von denen mindestens genauso viele meinen, sie im Wortlaut mitsingen zu können. In seinem Fall handelt es sich um »Day-O«, besser bekannt als »The Banana Boat Song«. »Day-o, day-ay-ay-o / Daylight come and he wan’ go home / Day, he say day, he say day, he say day, he say day, he say / day-ay-ay-o / Daylight come and he wan’ go home«. Ursprünglich stammt der Song aus der jamaikanischen Folklore, entstand nach dem Zweiten Weltkrieg und erzählt von Arbeitern, die nächtelang Bananen auf ihre Körper laden, um sie zu den Schiffen im Hafen zu schleppen (»Lift six-foot, seven-foot, eight-foot bunch«). Dort zählt der Chef die Bananen ab und errechnet entsprechend den Lohn – »Come, Mr. Tally Man, tally me banana; daylight come and me wan‘ go home«.

König des Calypso

Harry Belafonte wächst erst in Jamaika, dann in Harlem auf und kommt selbst aus einer Familie von Feldarbeitern. Der Song ist nicht zufällig gewählt. Belafonte, dem Entertainer, sind Solidarität und die Forderung nach Gerechtigkeit schon früh ein Anliegen. Als er den Song Mitte der 50er Jahre interpretiert, setzt er auf eine tropisch-beschwingte Verbindung von Melodie und Rhythmus, welche die erdrückenden Arbeitsumstände vergessen machen soll. Empowerment verpackt in einer musikalischen Metapher, die überraschenden Erfolg verspricht: In seiner Version vermischt er das afro-karibische Genre Calypso mit Folk, Jazz und Pop.

Sein Album »Calypso« (1956) begründet das Genre für die Massen, führt es in die Popkultur der 50er Jahre ein und macht Belafonte weltberühmt. Es erobert die US-Charts im Sturm und wird die erste Langspielplatte der Musikgeschichte, die sich über eine Million Mal verkauft. Zuvor steht Harry Belafonte bereits mit Charlie Parker und Miles Davis auf den Bühnen der New Yorker Clubs. Doch nun ist er plötzlich eine Pop-Ikone, der ruhmreiche »King of Calypso«. Songs wie »Jamaica Farewell«, das 1955 veröffentlichte »Matilda« oder eben »Day-O« werden zu weltweiten Schlagern. Zuletzt blitzte »The Banana Boat Song« übrigens 2010 als Sample in der wuchtigen Rap-Hymne »6 Foot 7 Foot« von US-Rapstar Lil Wayne durch die Charts. Der Ruf des mittlerweile 84-jährigen Königs findet also auch in zeitgenössischem HipHop seinen Widerhall.

Mit Hollywood gegen Rassismus

Die neue Doku »Sing Your Song« verfolgt den Musiker Belafonte und sein ausdrückliches politisches Engagement durch sechs bewegte Jahrzehnte. Im Mittelpunkt des Viennale-Tribute steht aber Belafontes Nebenkarriere als Schauspieler (und gelegentlicher Filmproduzent). Als solcher hat er auch an einigen politisch besonders bewegten Passagen des US-Kinos teilgehabt, zuvorderst am liberalen Hollywood-Problemfilm der 50er und dem Blaxploitation-Boom der frühen 70er Jahre. Begonnen hat die Schauspielerlaufbahn parallel zur musikalischen: Nach dem Einsatz bei der US-Navy im Zweiten Weltkrieg stößt der junge Handwerker Belafonte in Harlem auf das American Negro Theatre. Mit späteren Kollegen wie Marlon Brando, Walter Matthau oder Tony Curtis nimmt er Schauspielunterricht. Gleichzeitig mit der Jazz-Karriere in den frühen 50ern beginnt sein Aufstieg am Broadway und in Hollywood. Schon vor dem Durchbruch mit »Calypso« spielt er in Otto Premingers opulenter Musical-Tragödie »Carmen Jones« (1954) die männliche Hauptrolle neben der afroamerikanischen Schauspielerlegende Dorothy Dandridge. Sein wachsender Star-Status erlaubt ihm in der Folge auch kontroversiellere Filmrollen.

Zwei von ihm produzierte Genrefilme buchstabieren die alltägliche Erfahrung von Rassismus ungewöhnlich explizit aus: In »Odds Against Tomorrow« (1959) spielt Belafonte einen Bankräuber mit rassistischem Komplizen und verkörpert den ersten schwarzen Protagonisten in einem Film Noir. In »The World, The Flesh and The Devil« (1959) ist er als einer von drei Überlebenden einer weltweiten Nuklearkatastrophe immer noch rassistischer Ausgrenzung ausgesetzt. »I am an artist and I am not a politician. But like most Americans I have a great interest in the political and the economical destiny of my country. […] As a negro and as an American I have many questions.«

In den 60er Jahren wirbt Harry Belafonte für den damaligen Präsidentschaftskandidaten Kennedy, der die afroamerikanische Wählerschaft mit der Vision eines gerechteren Amerika für sich gewinnen will. Belafonte lässt Hollywood hinter sich und nutzt seine Popularität für die Bürgerrechtsbewegung. Er engagiert sich zunehmend und wird bis zu dessen Ermordung 1968 ein enger Freund von Martin Luther King. In die Kinos kehrt er erst in den 70ern wieder zurück, dafür umso effektvoller: In »Buck And The Preacher« (1972) reitet er als schießender Priester an der Seite von Sidney Poitier durch einen der wenigen Western mit schwarzen Protagonisten. Seinen Freund Marlon Brando parodiert er zwei Jahre später als Ghetto-Godfather in der Blaxploitation-Komödie »Uptown Saturday Night« (1974). 1984 produzierte er den legendären HipHop-Film »Beat Street«, ein Jahr später initiierte er gemeinsam mit Michael Jackson, Stevie Wonder und anderen Popstars das Benefiz-Projekt »We Are the World«.

Daneben tritt er unter anderem laut gegen die Apartheid in Südafrika auf, engagiert sich für die Menschenrechte und gegen Hunger in Afrika, von der Unicef wird er zum Botschafter des guten Willens ernannt. Es dauert abermals zehn Jahre, bis er wieder in Hollywood in Erscheinung tritt. Nach der 30er-Jahre-Gangster-Jazz-Hommage »Kansas City« (1996) von Robert Altman, wo Belafonte nocheinmal den bösen Boss gibt, wird es um seine Schauspielkarriere ruhiger.

Gehör verschaffen

In der Öffentlichkeit macht Harry Belafonte nun vor allem als scharfer Kritiker von sich reden. Die Sicherheitspolitik der Bush-Administration setzt er mit Gestapo-Methoden gleich, den Präsidenten nennt er den größten Terroristen, dessen Politik 9/11 erst provoziert hätte; die beiden schwarzen Minister Colin Powell und Condoleezza Rice bezeichnet er als Sklaven. 2011 tritt Harry Belafonte wieder in Erscheinung, um seine Berühmtheit in den Dienst der guten Sache zu stellen.

Der Tod seines Freundes Marlon Brando, welcher sich ebenfalls stark politisch engagierte, veranlasste den engagierten Weltbürger Belafonte dazu, entlang seiner eigenen Biografie die Geschichte vieler Kämpfer für globalen sozialen Wandel zu erzählen. Das Ergebnis ist die Dokumentation »Sing Your Song« (Regie: Susanne Rostock), die nicht nur das Leben des Entertainment-Aktivisten Belafonte zusammenfasst, sondern in Rückschau auf mehr als 60 Jahre politischen Protest auch Bewusstsein beim Publikum schaffen will. Denn der Anfang kann manchmal so simpel sein wie ein Song über Bananen.

Die Viennale 2011 (20. Oktober bis 2. November) würdigt Harry Belafonte mit einer Schau ausgewählter Filme, einschließlich der neuen Dokumentation »Sing Your Song«.

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