Hast du schon einmal die Geschichte von wirklich ALLEM in 7 Minuten gesehen? Die Leute von »Kurzgesagt« haben genau das gemacht. Dabei sind sie mit ihrem äußerst aufschlussreichen Videos im deutschen Sprachraum die absolute Ausnahme. Warum eigentlich?
Hinter dem Münchener Science Animation Vlog »Kurzgesagt« stecken Menschen, die sich als Informatik-Design-Kollektiv bezeichnen. Animatoren, Journalisten, Musiker, Programmierer. Sie haben eine Leidenschaft: Wissen so zu vermitteln, als würden wir tatsächlich das 21. Jahrhundert schreiben. In ihren animierten Videos zeigen sie uns, wie die Welt funktioniert. Nicht mit irgendwelchen Diagrammen, Zahlen und Fadesse vorne wie hinten. Sondern mit Fragen, die Menschen tatsächlich interessieren. In knackigen, farbenfrohen und relativ kurzen Videos erklären sie Dinge so, dass wir sie verstehen, gerne zuhören und dann hoffentlich auch merken.
Es muss nicht immer Porno sein
Bücher sind in den letzten Jahren irgendwie schwerer geworden. Man hat sich daran gewöhnt, im Netz nachzusehen. Wikipedia hilft. Aber Artikel dort sind oft lang und geben nicht immer die Antwort, die man sucht. Sie listen Wissen auf, aber sie erzählen nichts und erklären oft nicht überzeugend. Die Antwort heißt wie so oft Youtube. Selbst wenn all die Katzen- und Baby-Videos eher nicht dazu beitragen, dass die Plattform einen exzellenten Ruf hat, für die Passivität eines durchschnittlichen Menschenhirns ist Youtube ideal. Man muss dazu nur relativ ruhig sitzen, liegen oder rumhängen. Video an, Hirn irgendwie auch. Wenn es um Videos im Netz geht, müssen es eben nicht immer Videos von süßen Tieren und Pornos sein.
2009 wurde auf Youtube der Education Channel gelauncht. Zuerst fanden sich dort Inhalte von über 100 Universitäten auf einem Kanal mit den Kategorien »Primär- und Sekundärbildung«, »Universität« und »Lebenslanges Lernen«. Dass die Wegbereiter aus den Vereinigten Staaten kommen, liegt auch an der Art, wie Online-Lernen in den Alltag US-amerikanischer Universitäten eingebunden ist.
Teach Me, Baby
Nicht zufällig ist das Internet an Universitäten geboren worden. Im World Wide Web kann Wissen vernetzt und verkreuzt werden. Informationen sind für jeden abrufbar. Vor allem die großen, angesehenen US-Universitäten wie Harvard oder MIT stellten ihre Lehrveranstaltungen früh online. Aber auch Unternehmen witterten ihre Chance. Profitorientierte Onlinekurse wie Coursera oder Udacity wurden gegründet. Video kann nun aber eigentlich mehr leisten.
Der ehemalige Finanzanalytiker Salman Khan etwa stellt mit seiner nicht-kommerziellen »Khan Academy« für mittlerweile 1,7 Mio. Abonnenten kostenlosen Zugang zu Bildung bereit. Mit einem einfachen Grafik-Tablet kritzelt er mathematische Formeln auf ein virtuelles, schwarzes Brett und erklärt dabei ganz locker, was er gerade macht. Und die Leute lieben es. Es müssen also nicht unbedingt aufwendige Videos gedreht werden, um Massen zu begeistern. Auch die Talks der TED-Konferenzen können kostenlos angesehen werden. Keine Frage, auch sie sind äußerst erfolgreich. Vor allem deren lokale Ableger – TEDx – wurden dabei immer wieder für ihre pseudowissenschaftlichen Vorträge und ihre Fortschrittsfrömmigkeit kritisiert.
Dass sich in den USA und im UK trockene Wissenschaft auch außerhalb der traditionellen Medien stärker verbreitet, liegt auch an der Medienlandschaft, kommentiert Oliver Lehmann, Vorsitzender des österreichischen Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten. Wenn große Blätter wie New York Times, Wall Street Journal und Washington Post – die sogenannten Legacy Media – sparen müssen, fallen Wissenschaftsressorts oft als Erste weg, vor allem bei kleineren Medien, die nicht dieser Legacy angehören. Wissenschaftsexperten müssen also auf andere Ressorts umsteigen, werden Lehrende oder Presseleute von Forschungseinrichtungen, so Lehmann. Das führte dazu, dass sich in den USA und Großbritannien eine Blogger-Sphäre etabliert hat – und dazu gehört auch Youtube.
»Warum Karbon eine Schlampe ist«
Dort zählen neben Glaubwürdigkeit natürlich vor allem Klicks. Graue Vorträge und angestaubte Texte eher nicht. Die USA schaffen es besonders gut, in jedem Bereich ihre Celebrities zu kreieren. Das ist in der Wissenschaft nicht anders. Auf Youtube hat man im Idealfall ein bisschen Humor, viel Fachwissen und zeigt, dass man auch »Star Trek«, »Herr der Ringe« oder Kim Kardashian kennt. Wie die VlogBrothers Hank und John Green von »Crash Course«. Die zwei Brüder präsentieren uns Biologie und Physik mit Analogien wie »Warum Karbon eine Schlampe ist«.
Diese Videos sind nun ganz unterschiedlich gemacht. Die Monologe vor der Kamera werden mit Archivmaterial aufgepeppt (besonders bei Geschichts- und Kulturthemen), mit Fotos oder alten Karten. Interviews mit Experten gehen ebenso durch wie Experimente, die natürlich sehr effektvoll sein können, garniert mit Nahaufnahmen und Zeitlupen. Am eindrucksvollsten und gleichzeitig am aufwendigsten sind Animationen oder Zeichnungen. Gute Musik dazu, schon hat man etwas Herzeigbares. Ein einfacheres Rezept gibt es aber wohl nicht. Ein einprägsamer Titel, eine eigene Story, eigener Stil und Charme und nicht zu viel Respekt vor den universitären Gepflogenheiten sind wohl am wichtigsten.
Welche Vorteile Videos gegenüber einer gewöhnlichen Lehrveranstaltung haben? Man kann Pause drücken, zurückspulen, eigene Listen anlegen, natürlich immer wieder darauf zugreifen und bekommt unmittelbare visuelle Eindrücke. Nachteile? Viele Videos sollen Spaß machen und sind deshalb nicht unbedingt zum Lernen geeignet. Zudem ist nicht sicher, ob das Gesagte auch wirklich dem entspricht, was in der Wissenschaft als gesichert gilt. Dafür gibt es die Möglichkeit Feedback zu geben – dadurch können die Macher ihren Content optimieren.
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