Auf back to the future die Uhr gedreht – Die Stadt muss autofrei werden

Eine Stadt ohne Autos ist unvorstellbar. Die klima­zerstörenden Industrie­produkte bestimmen, wie wir uns im öffentlichen Raum verhalten, wie wir uns durch ihn bewegen und sogar wie er von Grund auf gestaltet ist. Wie ist es zu dieser absurden Situation gekommen? Was wird dagegen unter­nommen? Warum müssen wir dringend noch viel mehr tun?

© Nina Ober / www.ninaober.at (Foto: Adobe Stock)

»Aus’m Weg, heast«, schreit mich der Autofahrer hinter mir an, als ich mit meinem Rennrad die Tauber­gasse hinunterfahre, schön in der Mitte des Fahr­streifens, denn ich möchte keinesfalls in die Tram­schienen des 9ers gelangen – man lernt ja aus Erfahrung. Ich schreie zurück: »Wohin aus’m Weg, Oida?« – am Rand, gleich neben den Schienen gibt es nämlich nur noch eine Parkspur aus Pflaster­steinen. Eh fesch, aber auch beschissen und gefährlich zum Radfahren. Der Mann schreit und hupt die ganze Straße lang weiter und schneidet mich dann beim Abbiegen. Ich muss eine Voll­bremsung hinlegen. So stehe ich auf der Hernalser Hauptstraße, umringt von parkenden und fahrenden Autos, und wünsche mir in diesem Moment, dass alle Autos aus dieser Stadt verschwinden.

Ich gebe zu, ich war auch schon vor diesem Ereignis kein Autofan, und so wie es sich für meine links­versiffte Schicht gehört, lege ich den Großteil meiner Wege mit dem Rad, der U-Bahn oder zu Fuß zurück. Wie die meisten meiner Friends besitze ich nicht einmal ein Auto. Doch obwohl wir damit nicht alleine dastehen – nur etwas mehr als ein Drittel aller Wiener*innen besitzt einen PKW –, ist es unbestritten, dass das Stadtbild in europäischen Großstädten auch 2023 noch immer von Autos bestimmt ist. Es ist eine – sozusagen autokratische – Herrschaft der Stärkeren und Schnelleren.

Radfahrer*innen und Fuß­gänger*innen gehören dabei leider buch­stäblich zu den an den Rand gedrängten Verkehr­steilnehmer*innen. In Zahlen gegossen bedeutet das, dass in Wien laut dem statistischen Jahrbuch 67 Prozent der Straßenfläche parkenden und fahrenden Autos zur Verfügung stehen, den Rest teilen sich baulich getrennte Tram­strecken, Gehsteige und Fahrrad­wege, wobei gekenn­zeichnete Fahrrad­wege nur etwa ein Prozent der Gesamt­verkehrs­fläche ausmachen. Dieser ungleichen Flächen­aufteilung steht entgegen, dass in Wien fast drei Viertel aller Wege entweder mit öffentlichen Verkehrs­mitteln, mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden.

Luxus für alle

Unsere kleine Rechnung führt sehr schnell zur Grundsatz­frage: Wie konnte es so weit kommen, dass sich Autos derart integral in unser Stadtbild reingefressen haben – von der Blechlawine am Gürtel jeden Morgen über zugeparkte Innen­stadt­gassen bis hin zur kompletten Flächen­verplanung mit Einkaufs­zentren und Einfamilien­haus­siedlungen in der Peripherie, die aus­schließlich mit dem Auto erreichbar ist? Wie ist das nur passiert? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Auto vom Luxusgefährt der Reichen zum Verkehrsmittel der Wahl für die gesamte Bevölkerung gewandelt hat. Im Jahr 1950 gab es in Österreich laut WKO etwa 50.000 zugelassene PKWs, etwas mehr als zehn Jahre später, 1962, hatte sich diese Zahl auf ca. eine halbe Million PKWs mehr als verzehn­facht. 40 Jahre später hatte sich die Zahl abermals verzehn­facht und pendelte sich bei fünf Millionen ein.

Spätestens in den 1970ern, mit dem Ausbau der Straßen, Auto­bahnen und Tunnels bis in das letzte Bergtal und dem diametral verlaufenden Rückbau der Schienen­strecken, wurde die motorisierte Zukunft Österreichs besiegelt. Mein Groß­vater war bei dieser Entwicklung übrigens in erster Reihe dabei, als Straßen­polier im südlichen Nieder­österreich und in der Steiermark. Stolz hat er immer von den Sprengungen erzählt, die notwendig waren, um breite Serpentinen­straßen in die voralpinen Berge zu knallen. Das Auto war jetzt mehr als nur ein bequemes Verkehrs­mittel, es wurde zum Kulturgut, zum Symbol der öster­reichischen Moderne nach dem Krieg. Das bäuerlich dominierte Land wurde bezwungen – zersprengt – und es wurde Platz geschaffen für die Verbindung zwischen den sich zersiedelnden Dörfern. Auf alten Familienbildern lacht mir meine Groß­familie entgegen, in bunten Hemden und dunklen Sonnen­brillen schauen sie zu siebt aus einem kleinen VW Käfer heraus, bereit für den sonntäg­lichen Ausflug zum Hof der Verwandtschaft.

Auch in Wien wurde in den 70ern – neben dem U-Bahn-Bau – der Bau der Autobahnen vorangetrieben. Nun konnte man mit der Donauufer­autobahn A22 und der Südost­tangente A23 innerhalb Wiens mit Höchst­geschwindigkeit von Favoriten nach Donaustadt kommen. Esra Özmen, eine Hälfte des Hip-Hop-Duos Esrap, erzählt in einem Interview im Musik­magazin Skug, wie sie in ihrer Kindheit in Wien als ganze Familie mit dem Firmen­auto des Vaters durch die Gegend gefahren sind. Manchmal auf Familien­besuch und manchmal einfach zum Spaß. Das Auto war ihr erweitertes Wohn­zimmer, ein Rauskommen aus der engen 25-Quadratmeter-Gastarbeiter*innen­wohnung. All das ist das Auto seit 50 Jahren kulturell: österreichisch und migrantisch, Arbeiter*innenklasse und bürgerlich, männlich, aber auch feministisch; es ist FPÖ und ÖVP. Aber auch und vor allem SPÖ. Was das Auto allerdings nicht ist, ist grün.

Der Bau der Südosttangente A23 wurde 1970 begonnen. 1993 wurde der letzte Abschnitt fertiggestellt. Im Bild der Stand 1978. (Foto: MA 13 – Landesbildstelle Wien)

Das Klima sagt Nein

Spätestens seit Anfang der Nullerjahre ist der Weltöffentlichkeit klar, dass das Treib­haus­gas Kohlenstoff­dioxid (CO₂), das auch von Autos ausgestoßen wird, maßgeblich, nämlich zu 25 bis 30 Prozent zum Klima­wandel beiträgt. Erst diesen November verlautbarte UN-Chef António Guterres, dass sich die Erde, wenn wir so weiter­machen wie bisher, um ganze drei Grad erwärmen werde. Derzeit beschlossene und noch nicht umgesetzte Maß­nahmen bringen nur eine Ver­besserung um 0,1 Grad. Wir sind also auf direktem Weg zu einer Erwärmung um 2,9 Grad. Damit verfehlen wir das Ziel von 1,5 Grad, auf das sich alle großen Industrie­nationen der Welt 2015 in Paris geeinigt haben, bei Weitem.

Das liegt daran, dass die meisten Länder ihre selbst­gesteckten Klimaziele nicht einhalten. Österreich ist eines dieser Länder. Zwar fehlt es auch hierzulande nicht an Positions­papieren, die vorsehen, dass die durch den motorisierten Individual­verkehr verursachten Emissionen bis 2040 um die Hälfte reduziert werden sollen, aber mit der Umsetzung ist das etwas anderes, wie offizielle Zahlen belegen. Diesen zufolge hat sich in Wien der Anteil der Wege, die mit dem Auto oder dem Motorrad zurückgelegt werden, in den letzten zehn Jahren nur unerheblich von 28 auf 26 Prozent verringert. In Graz gab es im gleichen Zeitraum zwar eine Senkung um sechs Prozent­punkte, aber von einem weit höheren Niveau, von 46 auf 40 Prozent. Man muss kein Mathegenie sein, um zu verstehen, dass die für 2040 gesteckten Ziele, den Anteil des motorisierten Individual­verkehrs auf 15 Prozent (Wien) beziehungs­weise 20 Prozent (Graz) zu verkleinern, kaum zu erreichen sind, wenn die Städte Mobilität nicht von Grund auf neu denken.

Die autofreie Stadt

Deutlicher formuliert bedeutet Mobilität neu denken, sich zu überlegen, wie man Autos Schritt für Schritt aus den Städten bringen kann, bis nur noch ein Bruchteil davon übrig bleibt, der sogenannte essenzielle Verkehr – also Rettungs- und Feuerwehr­fahrzeuge, Umzugs­wagen, Kranken­transporte und dergleichen. Das ist die Grundidee der autofreien Stadt, in der es keine Privatautos mehr gibt und deren Bewohner*innen fast aus­schließlich nachhaltige Verkehrs­mittel nutzen. Bislang ist keine Großstadt dieser Welt völlig autofrei. Aber auch in österreichischen Städten wird mittlerweile mit ver­schiedenen Konzepten experimentiert, die auf eine schrittweise Verdrängung des Autos als Verkehrs­mittel abzielen. Einige dieser Experimente werden sogar weiterverfolgt.

Eine Strategie ist dabei die Koexistenz von Auto, Rad und Fuß­gänger*innen. Die seit zehn Jahren voran­schreitenden Begegnungs­zonen bringen Gehsteig, Radweg und Straße auf dasselbe Niveau und sehen vor, dass alle Verkehrs­teilnehmer*innen dieselbe Verkehrs­fläche benutzen können. Um die Sicherheit aller gewähr­leisten zu können, darf in einer Begegnungs­zone dabei nur Schritt­tempo gefahren werden. Das wohl berühmteste Beispiel für eine solche Zone in Österreich ist die Mariahilfer Straße, die 2015 unter starkem Protest von ÖVP und FPÖ, der Laden­besitzer*innen und anfangs auch der Bevölkerung verkehrs­beruhigt wurde. Einige erinnern sich dabei vielleicht an die Memes von kreuz und quer stehenden verbrannten Autos als Symbol dafür, wie chaotisch und apokalyptisch es dann bald auf der Mahü zugehen werde. Mittlerweile hat sich die Haltung der Bewohner*innen und auch der Geschäfts­treibenden grundlegend geändert. Die Begegnungs­zone Mariahilfer Straße ist ein stadt­planerischer Erfolg, nicht zuletzt dank Verkehrs­stadträtin Maria Vassilakou, gegen die sich ein großer Teil der damaligen Kritik richtete.

© Nina Ober / www.ninaober.at (Foto: Adobe Stock)

Auch in Innsbruck und Graz entstehen Begegnungs­zonen, zum Beispiel in der Grazer Zinzendorf­gasse und in Innsbruck am Bozner Platz. Dort standen die Geschäfts­treibenden übrigens von Anfang an hinter der Begegnungs­zone und gingen sogar auf die Straße, als das Projekt aus Kosten­gründen ins Wanken geriet. Beispiele, bei denen die Öffentlich­keit zunächst kritisch, aber später zustimmend ist, belegen auch, dass es Vorstöße aus der Politik braucht, um die Utopie der autofreien Stadt überhaupt erst denkbar zu machen. Ansätze wie Begegnungs­zonen mit einer fuß­gänger*innen- und rad­freundlichen Gestaltung, in der nur wenige Park­plätzen und Ladezonen vorgesehen sind, zeigen, wie vielfältig die Nutzung des öffentlichen Raums sein kann, wenn er nicht mehr auf Autos ausgerichtet ist.

Es gibt aber auch Maßnahmen zur Verkehrs­reduktion, die in der Theorie gut klingen, in der Praxis aber Lücken aufweisen. Die Wohn­straße ist ein solcher Fall. Bei Wohn­straßen dürfen Autos nur zu- und ab-, aber nicht durchfahren. Wie in Begegnungs­zonen darf nur im Schritttempo gefahren werden und Kinder dürfen auf der Straße spielen. Im Prinzip ist das eine gute Idee, um den Verkehr aus den Neben­straßen wegzu­bekommen, sodass Nach­bar*innen die Straße auch als öffentlichen Raum des Zusammen­kommens nutzen können. In der Praxis werden die Wohn­straßen­schilder allerdings von den meisten Auto­fahrer*innen ignoriert und die Wohn­straße wird zur Durchfahrt genutzt. Das liegt zum einen an fehlendem Wissen um das Konzept der Wohnstraße, aber auch daran, dass sich die Fahrbahn oft nicht von einer normalen Straße unter­scheidet. Die Straße lädt außerdem meist nicht zum Verweilen oder Spielen ein.

Initiativen, die sich für eine bessere Nutzung oder sogar eine Erweiterung des Konzepts Wohnstraße einsetzen, gibt es allerdings. Mit dem sogenannten Super­grätzl in Favoriten ist die Bezirks­vertretung vorgeprescht und schafft zwischen Neilreich­gasse, Gudrun­straße, Leeb­gasse und Quellen­straße auf insgesamt 9,5 Hektar eine verkehrs­beruhigte Zone. Statt mittels öder Wohnstraßen­schilder wird der Durchzugs­verkehr hier mithilfe von modalen Filtern in Form von Stipfeln und Blumen­kisten gesperrt und auf die Hauptstraße zurückgeleitet. Gehsteig­vorziehungen und die Errichtung von Parkbänken sollen zudem zum Aufenthalt einladen, zusätzliche Bäume spenden Schatten und Abkühlung.

Die Konzepte für das Supergrätzl in Favoriten sehen Verkehrs­beruhigung nicht durch Schilder, sondern durch bauliche Maßnahmen vor. (Bild: EGKK Landschaftsarchitektur Schreiner Kastler)

Eine weitere erwähnens­werte Initiative ist der Verein Space and Place. In jahre­langen Verhandlungen mit der Bezirks­vertretung Rudolfsheim-Fünfhaus und der Magistrats­abteilung MA 28 hat Space and Place erkämpft, dass die Fahrbahn in der Markgraf-Rüdiger-Straße bemalt werden darf. Die bunte und spielerische Gestaltung mit Blumen soll dabei den Charakter der Wohn- und Spielstraße verdeutlichen und so den Auto­fahrer*innen als visuelle Hilfe­stellung – »mach mal langsam hier« – dienen. Space and Place setzt sich zudem für die Erweiterung des Wohn­straßen­bereiches im Nibelungen­viertel ein, wo bereits sieben Wohn­straßen nebeneinander liegen; zwei sollen noch dazukommen und gemeinsam ein ganzes verkehrs­beruhigtes Wohngrätzl bilden. In der Stadtpolitik ist das Anliegen auf »wohl­wollendes Interesse gestoßen«, wie der Verein auf seiner Website schreibt. Umgesetzt wurde bis jetzt aber nichts.

Die Beispiele Wohngrätzl Nibelungen­viertel und Markgraf-Rüdiger-Straße unterstreichen ein grund­sätzliches Problem der Mobilitäts­wende in den Städten: Sie dauert viel zu lange. Von der Idee über den politischen Aushandlungs­prozess bis zur konkreten Planung und Umsetzung können selbst bei kleinen Anpassungen wie der Bemalung einer Fahrbahn Jahre vergehen. Im schnell fort­schreitenden Klima­wandel sind das Jahre, die wir als Gesellschaft schlicht nicht haben. Die Verkehrs­statistik in Wien zeigt es gut: Die meisten der hier vorgestellten Maßnahmen zur Verkehrs­reduktion wurden schon vor Jahren gesetzt und trotzdem hat sich am Prozentsatz der mit dem Auto zurück­gelegten Wege kaum etwas geändert.

Autosubvention Parkplatz

»Das Autofahren muss noch um einiges unbequemer werden als die nachhaltige Alternative, mit der U-Bahn oder dem Rad zu fahren«, meint Verkehrs­experte Ulrich Leth von der Technischen Universität Wien dazu. Eine Maßnahme, die Leth in Wien für zentral hält, ist eine deutliche Preissteigerung bei den öffentlichen Parkgebühren. Dies würde die Auto­fahrer*innen überzeugen, ihr Auto in eine Parkgarage zu stellen, mit dem Effekt, dass die Wegzeit zur Garage mit eingerechnet werden muss. »All unsere Studien zeigen, dass Schnelligkeit und Komfort die wichtigsten Faktoren bei der Wahl des Verkehrs­mittels sind«, so Leth. Demnach seien die Leute bereit umzusteigen, sobald der öffentliche Verkehr bequemer und schneller ist, als mit dem Auto zu fahren, und sobald Zufußgehen und Radfahren sicherer werden.

Ulrich Leth, Verkehrsexperte, TU Wien (Foto: privat)

»Derzeit kostet das Parkpickerl in Wien nur 120 Euro, für einen Platz in einer privaten Garage bezahlt man diesen Preis pro Monat. Stell dir vor, du könntest dein Sofa für weniger als 30 Cent am Tag einfach auf der Straße stehen lassen und diesen öffentlichen Raum als Wohnraum beanspruchen. So etwas ermöglichen wir gerade mit dem Parkpickerl«, bringt Leth dabei die wichtige Verteilungs­frage ins Spiel, die ja auch bei den Wohn­straßen und Begegnungs­zonen eine mindestens ebenso große Rolle spielt wie die Klimafrage.

Weitere Potenziale gibt es bei neuen Stadtentwicklungs­gebieten in Wien. Dort, wo komplett neue Stadtteile errichtet werden, kann man die öffentliche Anbindung von Anfang an – sozusagen auf dem Reißbrett – steuern. Wie das etwa beim U-Bahn-Anschluss für die Wiener Seestadt geschehen ist. »Zusätzlich zur fuß- und radzentrierten Gestaltung, können außerdem Sammel­garagen errichtet werden, um die Autos von der Straße zu bringen«, ergänzt Leth. Enttäuschend findet er allerdings, dass gerade in der Seestadt der Anteil des motorisierten Individual­verkehrs nur im Wien-Schnitt und nicht besser ist. Denn die Seestadt ist als sogenannte 15-Minuten-Stadt konzipiert, in der die meisten Stationen des täglichen Lebens – also Einkaufs­möglichkeiten, Bildungs­einrichtungen, Ärzt*innen, Apotheke und Freizeit­einrichtungen – innerhalb von nur 15 Minuten zu Fuß erreichbar sind. Da sei noch viel zu tun und die Errichtung einer weiteren hochrangigen Straße, in Form der sogenannten »Stadtstraße«, würde nicht helfen. Der Bau dieser Verbindung zwischen Seestadt und Südost­tangente konnte durch die Besetzung von Aktivist*innen im Umfeld von »Lobau bleibt« zwar verzögert, aber nicht aufgehalten werden.

Gerade in der Debatte um die Lobau-Autobahn zeigt sich, dass die Mobilitäts­politik der Zukunft noch zu sehr im politischen Klientel­denken verhaftet ist, in dem auch Wähler*innen­schichten gegeneinander ausgespielt werden. Bürgermeister Michael Ludwig ließ etwa in der heißen Phase der Lobau-Proteste über die Medien ausrichten: »Es geht um ein Segment der Jugend, das schon eine Wohnung hat. Demonstranten, die die Mama mit dem Auto hinführt.« Ludwig verortet dabei Lobau-Demonstrant*innen in einem wohlhabenden Grünwähler*innen-Milieu, das vielleicht die Innenstadt­wohnung von den Eltern erbt und nicht, so wie die ärmere Schicht der Auto­besitzer*innen, in den geförderten Neubau am Stadtrand ziehen muss. Dieses Bild stimmt nur bedingt, zeigt sich doch, dass Bewohner*innen der Seestadt und der ganzen Donaustadt im Schnitt nicht zu den ärmsten Teilen der Gesellschaft gehören. Im Gegenteil: Es sind größtenteils junge Mittelschicht­familien, die dort hinziehen, um sich entweder den Traum vom Einfamilien­haus oder zumindest vom Wohnen im Grünen zu erfüllen. Diese Familien sind auch gleichzeitig die, die am ehesten ein Auto oder sogar zwei besitzen. Damit stellen sie auch jene Teile der Bevölkerung dar, die es zu überzeugen gilt, das Auto gegen eine Öffi-Jahreskarte zu tauschen.

Da viele Stadtpolitiker*innen, auch genau dieser Mehrheits­gesellschaft angehören, können sie sich genauso wenig wie ihre Wähler*innen die Utopie der autofreien Stadt ausmalen.

Obwohl die neuen Begegnungs­zonen und Wohngrätzl die Wohnqualität erhöhen und mehr Raum für Fuß­gänger*innen und Rad­fahrer*innen schaffen, zeigt sich, dass diese verkehrs­beruhigten Zonen viel zu punktuell sind, um die Verkehrs­mittelwahl grundlegend zu ändern. Vielmehr bräuchte es wohl verstärkt Maßnahmen, die darauf abzielen, das Autofahren unbequemer zu machen, wie höhere Park­gebühren und weniger verfügbare Parkplätze. Darüber hinaus wäre ein über die ganze Stadt abgestimmter Masterplan nötig, um Schritt für Schritt zu einer Stadt ohne privaten Autoverkehr zu kommen. In diesem Plan müssten noch viel größere Bereiche einer Stadt, also ganze Bezirke autofrei gemacht werden. In Wien könnte man etwa zuerst mit der autofreien Innenstadt anfangen und sich dann über die Innenbezirke nach außen arbeiten. Dass das nicht eine rein utopische Vorstellung ist, zeigen auch grün-schwarze Vorstöße aus 2020 zum autofreien ersten Bezirk. Daraus ist leider nichts geworden und seitdem hat sich die Idee auch nicht maßgeblich weiter­entwickelt.

Utopie denken lernen

Um aus dem Auto ein Relikt der Vergangenheit zu machen, braucht es schluss­endlich nämlich zuallererst ein anderes Denken. Dabei fällt neben politischen Akteur*innen auch Kultur­schaffenden eine bedeutsame Rolle zu. Ein solcher Beitrag für ein neues Denken ist z. B. »2050 – als die Autos die Stadt verlassen hatten«, ein Text vom Journalisten und Historiker Leo Kühberger, der einen »historischen« Stadt­spaziergang in Graz um 2020 rund um den Volksgarten beschreibt. Aus einer Zukunfts­perspektive schildert er, wie unvorstellbar vollgestopft mit Autos die Straßen damals waren. Wie laut und dreckig die Stadt war. Wie isolierend das Auto auf ihre Besitzer*innen wirkte. Und wie gut es ist, dass die Menschheit dieses Kapitel des motorisierten Individual­verkehrs um 2040 hinter sich ließ. Es liegt an uns, diese Utopien Realität werden zu lassen.

Ulrich Leth ist Mitbegründer der Initiative Platz für Wien, die über 57.000 Unterschriften für eine nachhaltige Verkehrs­entwicklung der Stadt gesammelt hat. Auf der Plattform Wir machen Wien können sich verschiedene Initiativen zudem vernetzen und koor­dinieren. »2050 – als die Autos die Stadt verlassen hatten« von Leo Kühberger ist auf Soundcloud verfügbar.

Offenlegung: Die Autorin ist Bezirksrätin für Links im sechsten Wiener Gemeindebezirk.

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