Nach dem viel gefeierten »Immerjahn« erscheint demnächst der neue Roman der Schriftstellerin – und ehemaligen The-Gap-Autorin! – Barbara Zeman. Im persönlichen Porträt lassen wir ihre bisherigen Stationen Revue passieren.
Wenn man mit Barbara Zeman unterwegs ist, passiert immer etwas. Keine Ahnung, woran das liegt, aber so war es schon seit jeher. Es ist daher nichts Ungewöhnliches, wenn auf einmal ein dreibeiniger Dackel mit Zylinder am Kopf an einem vorbeihinkt. Oder man beinahe am Kühlergrill von einem Audi-Kombi landet, weil die Ampel ohne Vorwarnung von Grün auf Rot springt. »Tschuldigung, liebes Auto!«, haucht Barbara Zeman dann in Richtung Kfz und schwebt weiter über den Zebrastreifen. Da schweigt dann selbst die Hupe vom »lieben Auto«. Und das will was bedeuten auf der Wiener Ringstraße, wo üblicherweise bei der kleinsten verkehrstechnischen Widrigkeit wild getutet wird.
Wir sind schon lange befreundet. Zwanzig Jahre sind es wohl. Wir kennen uns aber noch länger. Das hat mit dem Nachtleben der späten Neunziger- und frühen Nullerjahre zu tun. Barbara, damals versehen mit blonden Dreadlocks, die ihr die Aura einer Podersdorfer Windsurferin verliehen, verdingte sich im Gürtel-Club B72 als Kellnerin. Unsere Kommunikation beschränkte sich allerdings auf das Bestellen und Bezahlen von Getränken und einmal einen Mini-Small-Talk über Linkshändigkeit, als ihr ein Tablett mit leeren Gläsern runterfiel. »Das passierte mir relativ oft«, kommentiert sie, darauf angesprochen, heute.
Dem Chef konnte es egal sein, das Lokal stand damals in seiner Hochblüte. Die Hütte brummte. An Gläsernachschub mangelte es nicht. Ob es noch immer so ist? Keine Ahnung, aber wahrscheinlich hat man schon sehr viel zu tun. Eine Anfrage, ob denn die ehemalige Mitarbeiterin, die demnächst mit »Beteigeuze« bei DTV ihren zweiten Roman veröffentlicht, für eine Story an ihrer alten Wirkungsstätte fotografiert werden dürfe, blieb jedenfalls unbeantwortet.
Kein Problem – denn – alte Weisheit aus den frühen Nullerjahren: Wenn im B72 nix los ist, geht man halt woanders hin. Zum Beispiel ins Flex. Im Lokal am Donaukanal, in jenen Tagen Dauergast auf den vorderen Rankingplätzen der besten Clubs Europas, arbeitete Barbara nämlich auch. An der Garderobe und hinter der Bar. Insofern ist das Flex ebenfalls ein guter Ort für Fotos. Und außerdem: »Der Donaukanal spielt eine wichtige Rolle in meinem neuen Roman.« Beiläufig erwähnt sie auch, wie sie zwischen dem Aufhängen von Jacken und Bierzapfen an einer hidden agenda tüftelte: »Ich wollte schreiben.«
Zwischenstation Journalismus
Journalismus war dafür der Lösungsansatz, The Gap der erste Schritt. Auch das Magazin hatte damals eine Hochblüte. Die Inserate brummten. An Redakteur*innennachschub mangelte es nicht. Ob es noch immer so ist? Naja, hier schreibt ein Freund über eine Freundin. »Als ich das Okay bekam, fürs Gap über Literatur zu schreiben, führte ich einen lauten Freudentanz quer durch meine Wohnung auf.«
Barbara Zeman hüpfte und tanzte dann wohl noch öfters durch ihr Apartment. Als freie Autorin dockte sie dann nämlich unter anderem bei Volltext, Falter, Best of Vienna und Presse an. Bei der Stadtzeitung City gab es gar eine Anstellung inklusive eigenem Schreibtisch. Parallel dazu wickelte sie ein Geschichtsstudium ab, das 2007 nach acht Semestern erledigt war: »Ich war eine Power-Studentin.«
Wenn hundert Menschen so einen Satz sagen, klingt er 99 Mal blöd. Bei Barbara nicht. Vielleicht, weil sie mehr meint, als das bloße Studium. Vielleicht, weil sie mit dem kurzen »Hihi«, das sie nachschiebt, dem Gesagten eine kleine Schabernackebene einzieht. Vielleicht, weil sie immer wusste, dass Journalismus nur eine Zwischenstation zur Schriftstellerin sein sollte …
Jetzt wäre eine gute Gelegenheit nachzufragen, wie sehr Zweifel an ihr nagten und ob sie jemals Angst hatte, es mit dem Schreiben nicht zu schaffen? Ob sie Sorge trug, im Altwiener Kaffeehaus, in dem sie einige Jahre als »Mädchen für alles« Tischtücher bügelte, Eierspeisen kochte und Ö1 hörte, picken zu bleiben? Die ganzen Intensivrecherchen in Bibliotheken und Museen für den Hugo? Prosaskizzen, Kurzgeschichten, Romane für die Würst’? Aber wozu derart pseudokritische Fragen stellen, die einzig den Sinn haben, Textfutter für den nächsten Absatz zu liefern? Deswegen an dieser Stelle ein Zitat, das sie vor Jahren einmal zwischen zwei Zigaretten, auf einer Steinstufe sitzend, in dem von ihr perfektionierten Flüsterpathos in die Welt hinausschickte: »Schreiben macht mich glücklich. Es ist mein Leben.«
Preise und Stipendien
Zu diesem Leben gehören spätestens seit 2012 – damals gewann sie den Literaturpreis Wartholz – Stipendien, Literaturwettbewerbe, Lesungen, Buchbeiträge und natürlich: Romanveröffentlichungen. Deren hat sie nun zwei auf ihrem Konto zu verbuchen. Vor fünfeinhalb Jahren erschien das Debüt »Immerjahn« bei Hoffmann und Campe. Die Story um einen schrulligen Milliardär, der seine riesige Sammlung an Kunstschätzen öffentlich zugänglich machen will und sich dabei zwischen Zweifel und Melancholie selbst aufarbeitet, war ein Überraschungserfolg bei Publikum und Kritiker*innen. Sechs Wochen nach dem Erscheinungstermin wurde bereits die dritte Auflage gedruckt. Eine Genugtuung für Barbara, der bei der Suche nach Verlagen oft gesagt wurde, wie wunderschön, aber leider auch komplex und daher kaum zu verkaufen ihre Texte seien. »Hihi.«
Nun folgt »Beteigeuze«. Mit einem Auszug aus dem Roman nahm sie 2022 am Bachmannpreis Teil. Der Text über eine Reise nach Chioggia samt dräuendem Beziehungsende dient nun als Prolog für die Geschichte der Ich-Erzählerin Theresa Neges. Diese trägt ein ganzes Universum im Kopf, das langsam zwischen Hallenbadboden und Sehnsucht nach Schwerelosigkeit zerbröselt.
Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, mehr über diesen Roman zu erzählen. Wer ist diese Ich-Erzählerin, die im grauen Mantel der Lieblingstante durch Wien flaniert? Mit dem Kopf immer in den Sternen? Oder besser: mit dem Kopf immer bei Beteigeuze, diesem sterbenden Roten Überriesen im Sternbild Orion, der noch in diesem Jahrhundert als Supernova explodieren könnte und im Buch als multimodale Metapher herhalten muss. Aber: Sperrfrist bis 15. August – Mariä Himmelfahrt. Deswegen an dieser Stelle ein Zitat aus der Marketingabteilung des DTV-Verlags: »Ein poetischer Roman, eigenwillig, bildschön in jedem Satz, mit einer Erzählerin, der man überall hin folgen möchte.« Aber bitte erst nach der Sperrfrist.
Vom Online-Leseklub …
Folgen wir stattdessen der Autorin. Das ist gar nicht so schwer, denn zu ihrem Leben gehört mittlerweile auch, Präsenz im Literaturbetrieb zu zeigen. Seit 2020 tut sie das mit »Der großartige Zeman Stadlober Leseklub«, den sie gemeinsam mit dem Schauspieler Robert Stadlober als digitale Veranstaltung gründete, denn: »Durch Corona fielen Leseveranstaltungen aus, ich wollte das irgendwie kompensieren. Und ich wollte dabei vor allem nicht alleine sein.« Das kunterbunte Format, das in einer scheuklappenlosen Bandbreite Lyrik, Prosa, Sachbücher und Graphic Novels quer durch alle Epochen vorstellt, von prominenten Vorleser*innen vortragen lässt und auch noch Musik unterbringt, traf einen Nerv. Ergo ging es bald vom digitalen Raum ins analoge Literaturhaus Wien, später für zehn Ausgaben ans Wiener Burgtheater und schließlich wieder zurück ins Literaturhaus. Dort hat der »Leseklub«, mittlerweile wieder in Originalbesetzung mit Robert Stadlober, seinen Heimathafen gefunden.
Und irgendwie auch Barbara Zeman, die andeutet, dass es nicht überall im Literaturbetrieb goutiert wird, wenn man als Schriftsteller*in an seiner Marke arbeitet und dabei mehr als nur das eigene Schreiben vermittelt. Ihre Antwort darauf: Gemeinsam mit Büchner-Preisträger Clemens J. Setz nimmt sie seit Anfang dieses Jahres im Literaturhaus den monatlichen Podcast »Erster Österreichischer Sachbuchpreis« auf.
»Ich kenne niemanden, der Sätze so akribisch seziert wie Clemens und damit das freilegt, was zwischen den Zeilen steht«, streut sie ihrem Podcast-Partner Blumen. Gemeinsam stöbern die beiden skurrile und obskure Höchstleistungen aus der literarischen Nische auf, die sie auf ihre ganz eigene Art würdigen. Ein Guide zum richtigen Umgang mit isländischen Elfen, ein Handbuch für Trockenblumen oder die ganze Wahrheit zur Geschichte der Ufos – ab jetzt alles ein Fall für Setz und Zeman.
Mit Begeisterung sucht das Duo, das seit mehr als 14 Jahren freundschaftlichen Austausch pflegt, im Obskuren das Schöne und im Absurden das Wahre – und findet bei allen Aus- und Abschweifungen zum Glück immer wieder zurück. Das klingt dann beispielsweise so: Zeman: »Was würdest du machen, wenn Außerirdische kämen? Würdest du zu deiner Mama fahren?« Setz: »Ich würde sie anrufen.«
… zu den Festwochen
Die Literaturvermittlung im nonchalanten Plauderton funktioniert übrigens auch wunderbar auf Bühnen und vor Publikum. Und auch mit adaptiertem Konzept. Für die Wiener Festwochen etwa knöpften sich Zeman und Setz – gemeinsam mit Robert Stadlober und der Grindcore-Band Onkel Gusta – Karl Kraus vor. Genauer: Akten von Prozessen, in denen Kraus involviert war und die ihn als »literarischen Meister der Anklage und (Selbst-)Verteidigung« zeigen.
Die Matinee, offensichtlich auch der Besetzung wegen ein wenig angelegt als Kombination von »Leseklub« und »Sachbuchpreis«, wurde von der Kritik gefeiert. »Auch wenn das Feedback an mich herangetragen wurde, ich solle Clemens Setz nicht immer ins Wort fallen – er sei doch Büchner-Preisträger. Ich finde, Clemens sollte sich daran gewöhnen, mit Recht unterbrochen zu werden.« Beide scheinen jedenfalls zu wissen, dass gerade dieses Gesprächspingpong und das Ringen um den nächsten Satz, den Charme ihrer Performance ausmachen.
Wie Anfang Juli, als das Duo für den Wiener Kultursommer hinterm Wasserturm in Wien-Favoriten Lieblingstexte und Biografisches der 2008 verstorbenen Berliner Autorin Christa Reinig vorträgt. Reinig, wahrscheinlich die erste richtig laute queere Stimme in der deutschen Literatur, ist heute nahezu vergessen. Die beiden bringen einem das (teilweise) radikale, immer aber sprachgewaltige Werk leichtfüßig und mit spontaner Komik näher. Setz: »Ich mag brüchige Biografien und Menschen, die mit ihrem Werk schräg und quer zu allem stehen. Ich kann erfolgreiche Schriftsteller*innen nicht leiden.« Zeman: »Kannst du dich selbst leiden?« Setz: »Es ist immer problematisch, wenn jemand von sich behauptet, erfolgreich zu sein.«
Das sieht auch Barbara so, erzählt sie am Heimweg nach der Lesung. Wir nehmen einen Umweg über die belebte Favoritenstraße und ich bin sehr froh darüber. Es passiert nämlich immer etwas, wenn man mit ihr unterwegs ist. Am Reumannplatz fliegt aus dem Nichts ein halber Eismarillenknödel an uns vorbei und landet ein paar Meter vor uns am Asphalt. »Schau wie schön sein Kern leuchtet – wie Beteigeuze.« Manfred Gram
»Beteigeuze« von Barbara Zeman erscheint am 15. August bei DTV. Am 11. September stellt sie den Roman im Literaturhaus Wien vor. Mit musikalischen Gästen, die sich gewaschen haben und unter die Haut gehen.