Wenn Björk in die Stadthalle kommt trifft sich dort nicht zuletzt auch die kunstaffine Musikszene Wiens. Und Kunstaffinität schadet sicherlich nicht bei einem Besuch von »Cornucopia«. Auch wenn von der Kunst in der riesigen Halle einiges auf dem Weg zum Publikum verloren geht.
Im Grunde gönne ich Björk ja, dass sie es schafft, die Wiener Stadthalle zu füllen und auf der großen Bühne so ziemlich tun und lassen zu können, was sie will. Das ändert aber nichts daran, dass mich das, was ich Dienstag Abend dort sehe, leider ziemlich kalt lässt. Sicher, sowohl auf der Bühne als auch musikalisch bietet der Abend einen Schwall an Eindrücken, Akzenten und Nuancen, der dem Namen »Cornucopia« durchaus gerecht wird. »Intentionality« ist eines der Stichwörter, die mir während dem Programm permanent durch den Kopf spuken. Von den Kostümen, über das Bühnenbild und die Choreos bis hin zu den Videoprojektionen wirkt alles bewusst gesetzt, mit Intentionen, mit Bedeutungen aufgeladen. Bedeutungsschwanger war selten eine so treffende Zuschreibung. Das Problem ist eben, dass diese Bedeutungen irgendwo zwischen Bühne und überdimensioniertem Publikumsraum verwässern. Was bei mir ankommt ist nicht mehr das große Gesamtkunstwerk, das seine Botschaften unter Einbezug aller Sinne in die Hirne des Publikums hämmert. Es ist mehr ein »das könnte so gemeint sein« oder höchstens ein »aha, ja, stimmt eh«.
Perspektive gegen Apokalypse
Die Grundbotschaft ist natürlich klar. Dafür ist weder die Text-Projektion auf Basis von »Future Forever« (»Imagine a future / Be in it« bzw. »Weave a matriarchal dome / Build a musical scaffolding«), noch die Videobotschaft von Greta Thunberg zwingend erforderlich. Wir stehen am Rande der Apokalypse und müssen handeln. Dafür brauchen wir eine Zukunftsperspektive. Eine Vision, wie die Welt anders sein könnte. Gerechter, feministischer, diverser, fürsorglicher. Ein (Noch-)Nicht-Ort im besten Sinne. Björk bietet uns einen möglichen Vorschlag: Grenzen aufweichen, durchscheinend machen, überschreiten. Nicht nur räumliche, sondern auch jene zwischen Menschen, zwischen Mensch und Natur, zwischen Natur und Kultur. Uns als Teil des großen Ganzen verstehen, nicht als abgetrennte Beherrscherr*innen. Soweit so post-kolonial-strukturell-humanistisch. Dieses Spiel mit den Grenzen zieht sich durch das ganze Set. Musikalisch ist Björk ja sowieso auf kein Genre einzugrenzen. Aber ihr aktuelles Schaffen scheint ganz besonders jede klare Einordnung zu meiden, Versatzstücke von überall zu beziehen und mit diversen Layern an oft dissonanten, aber immer wieder harmonisch zusammenkommenden Einzelelementen zu experimentieren.
Die Björk-Tier-Pflanze-Pilz-Chimäre
Doch auch auf der Bühne finden sich diverse Grenzziehungen wieder. Da ist einmal die kleine Hütte, die Björk regelmäßig betritt, verlässt und in ihr, sowie aus ihr heraus, performt. Oder die verschiedenen Podien, Nischen und Zwischenräume, die den Bühnenraum strukturieren. Und nicht zuletzt natürlich die quasi allgegenwärtigen, durchscheinenden Vorhänge, hinter denen der Rest der Bühne stets sichtbar bleibt und auf denen die überdimensionalen Projektionen abgespielt werden. Auf, zu. Rein, raus. Mal Björk mit Flöten-Septet hinter dem Vorhang, mal Björk rechts davor mit Ein-Mann-Orchester, mal Björk ganz alleine am Bühnenfortsatz in – imaginierter – Publikumsnähe. Abgerundet werden diese Grenzgänge durch die bereits genannten Projektionen in denen Björk’s Gesicht – CGI sei Dank! – kontinuierlich transformierend von menschlichen, in tierische, in pflanzliche, in pilzartige Strukturen morpht. Wir sind Teil der Natur, die Natur ist Teil von uns. Oder so.
(Un-)Inspiriert
All diese Spuren von Ideen, Konzepten und Ansätzen finde ich wieder, wenn ich etwas verkopft durch meine Kritiker*innenbrille auf die Bühne schiele. Aber wirklich an kommt das Ganze nicht. Ich glaube zu verstehen was gemeint ist, aber überzeugt bin ich nicht. Nicht weil ich den Argumenten nicht folgen will, sondern weil da nichts ist, das mich fesselt, das mich greift, das mich aufrüttelt, das mich in Bewegung versetzt. Was im Übrigen nicht heißen soll, dass da nicht auch viel Gutes auf der Bühne ist. Björk ist nach wie vor eine unglaublich versierte Vokalistin, die ganz genau weiß, was sie stimmlich tut, wieso und mit welchem Effekt. Die Instrumentalisierung ist so innovativ wie bombensicher, vom Flöten-Septet Vibra Flutes angefangen, über die Harfistin Katie Buckley und den (österreichischen!) Perkussionisten Manu Delago, bis hin zur bereits genannten Ein-Mann Band Bergur Þórisson. Die Kostüme von Björk sind selbst auf die Distanz Wahnsinn. Schlussendlich sitze ich aber trotzdem da, Hand am Kinn, und meine Gedanken schweifen ab. Durchaus nicht uninspiriert von dem, was ich sehe und höre, aber eben auch nicht wirklich inspiriert. Ich stelle mir vor, wie es wäre das Ganze in einer kleineren Venue zu erleben, vielleicht sogar einer winzigen. Wie mich die Reizüberflutung dann packen würde, wie ich dann gar nicht anders könnte, als mich mit Björks radikalen Zukunftsentwürfen auseinander zu setzen.
Falsche Adresse
Und dann denke ich mir: vielleicht bin ich da bei Björk einfach mittlerweile an der falschen Adresse. Vielleicht erwarte ich da Dinge, die ich lieber woanders suchen sollte. Zum Beispiel bei Leuten wie Farce, Tony Renaissance, Mala Herba, Kenji Araki um nur einige wenige zu nennen. Bei Leuten, die einen ähnlichen radikalen Zugang zu Musik haben, aber einen anderen Zugang zum Publikum. Einen direkteren. Einen der noch nicht überschattet ist davon, in der Stadthalle spielen zu müssen. Auch wenn ich es ihnen allen mindestens ebenso gönnen würde wie Björk.
Das Konzert fand am 19. September 2023 in der Wiener Stadthalle statt.