Black Metal 3.0

US-Bands wie Liturgy, Wolves In The Throne Room, Krallice, Leviathan oder Xasthur sind gerade dabei, die dritte Welle des Black Metal einzuleiten. True Metal-Puristen halten nicht viel davon. Für sie ist das alles bloss Hipster Black-Metal.

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Metal gilt grundsätzlich nicht gerade als progressives Genre. Viele Strukturen könnten durchaus als reaktionär bezeichnet werden. Bei Black Metal ist das sogar noch eine Spur schlimmer. Die sogenannte zweite Welle um Bands wie Mayhem, Emperor, Burzum, Immortal und Dark Throne wird als ein nicht zu überbietender Höhepunkt angesehen. Seit Mitte der 90er Jahre hat sich daher auch nichts Grundlegendes mehr getan. Dass sich jetzt gerade US-Bands anschicken, den historisch immer europäisch dominierten Black Metal zu revitalisieren, kommt nicht überall in der Szene gut an.

Das bekommt vor allem die Brooklyner Band Liturgy zu spüren, seit sich deren Sänger als Sprachrohr für die neue Bewegung exponiert hat. Hunter Hunt-Hendrix, früher Philosophiestudent an der Columbia-Universität, präsentierte 2009 im Rahmen eines Black Metal-Theorie-Symposiums sein Manifest »Transcendental Black Metal: A Vision Of Apocalyptic Humanism«. Auf 16 Seiten sagt er die gesamte neuere US-Szene vom skandinavischen Black Metal und dessen Nihilismus los, der in Morden, Brandstiftungen und faschistoiden Tendenzen gipfelte. An seine Stelle soll Affirmation, also Bejahung und Zustimmung treten. Im Klartext: Black Metal soll aus dem Weirdo-/ Extremisten-Eck geholt werden.

Blast Beat vs. Burst Beat

Liturgy gelingt das bisher ganz gut. Die Platten veröffentlicht das Quartett am experimentierfreudigen Indie-Label Thrill Jockey und die Presse (von der New York Times über den New Yorker bis hin zu Pitchfork) scheint die Band nicht erst seit ihrem Auftritt im Museum Of Modern Art zu lieben. Rein optisch würde man Hunt-Hendrix und Co. mit ihrem Hipster-Faktor eher in der Alternative-Metal-Welt um Melvins, Sun O))), Boris oder Melt Banana verorten. Aber musikalisch meinen sie es mit Black Metal todernst. Mit einer Ausnahme: Aus dem Genre-typischen Schlagzeug-Rhythmus Blast Beat (einer Kombination aus Sechzehnteltakt auf der Bassdrum und der Snare und Achteltakt auf den Becken) machten sie kurzerhand den Burst Beat. Dieser hört sich nicht an wie durchgehende Maschinengewehrsalven, sondern ändert – in Analogie zu Ebbe und Flut – die Geschwindigkeit. Als Vorbild dafür diente der My Bloody Valentine-Song »No More Sorry«. Dieser ist im Vergleich zum Liturgy-Output zwar natürlich deutlich ruhiger, aber Parallelen sind klar erkennbar. Überhaupt liegen Shoegaze, Postrock und Ambient musikalisch gar nicht so weit von Black Metal entfernt.

Alle Genres haben durch Verzerrung, Noise und die kreierte Wall-of-Sound eine ähnliche Herangehensweise. In der Zuwendung zu den dunklen Seiten der menschlichen Seele gibt es aber auch ästhetisch durchaus Gemeinsamkeiten. So ist es keine Seltenheit, dass frühere Black Metal-Bands eben jene Genres für sich entdecken. Die bekanntesten Beispiele sind wohl Ulver aus Norwegen, die über Neofolk bei Ambient gelandet sind oder Alcest aus Frankreich, die momentan die Speerspitze der Black-Metal-Shoegaze-Strömung (black-metal-shoegaze.blogspot.com) bilden.

Bio Black Metal

Am klassischen europäischen Black Metal-Sound à la Emperor und Burzum orientieren sich hingegen Wolves In The Throne Room. Auch ihre Hinwendung zum spirituellen Naturalismus unterscheidet Nathan und Aaron Weavers nicht von Bands aus den 90ern. Anders als ihre Vorgänger, die voll in die Romantikfalle tappten, und bald von nationalistischen Tendenzen und schließlich National Socialist Black Metal überrannt wurden, hat das Brüderpaar aber eine Punk-Vergangenheit. Seine Wurzeln liegen in der radikalen Öko-Punk-Bewegung Earth First, deren Mitglieder schon mal Nägel in ganze Wälder schlagen, damit die Bäume nicht mit Kettensägen gefällt werden können, oder sich an Bulldozer ketten, um Rodungen zu verhindern. Richtige Treehugger sozusagen. Dieser Ökokampf fließt auf eine spirituelle Art und Weise in ihre Texte ein. Die damit verbundene Kritik an einer materialistischen Welt ist im Black Metal zwar nicht neu – die rechte Szene stellte die Natur sogar über die Gesellschaft – trifft aber momentan gerade den Nerv der Zeit. Man denke nur an die oppositionelle Occupy Wall Street-Bewegung, die die US-Behörden seit Wochen in Atem hält.

Aaron Weaver hat sich aber auch abseits seines Musikerlebens von der Idee des unendlichen existenziellen Wachstums und des materiellen Komforts losgesagt. Gemeinsam mit einem Kollektiv betreibt er einen autarken und nachhaltigen Bio-Bauernhof in Olympia, Washington, von dem aus Bauernmärkte, Restaurants und Familien in der Stadt beliefert werden. Es scheint, als fühle sich Wolves In The Throne Room in gewisser Weise dem aus der Punk-/Hardcore-Szene bekannten DIY-Prinzip verpflichtet – früher für die Metal-Szene undenkbar. Dass sie sich auf ihrer Farm ein eigenes Studio eingerichtet haben, überrascht aber nicht weiter.

Dort wurde auch die Grundlage zum aktuellen Album »Celestial Lineage« geschaffen, das nicht nur von mit dem Prädikat »Best New Music« geadelt wurde, sondern auch einen Meilenstein im US-Black Metal darstellt. Auch wenn Wolves In The Throne Room ihr Beitrag zur Erweckung der Szene sehr wohl bewusst ist, will man künftig zwar noch Alben veröffentlichen, aber weniger Live-Shows spielen. Die Arbeit auf der Farm passt dann doch besser in ihre mystische bzw. esoterische Weltsicht.

Um die Analyse genau solcher Weltsichten geht es in einer aktuellen Symposiumsreihe, die sich mit Black Metal-Theorie beschäftigt (blackmetaltheory.blogspot.com). Ende November findet in Dublin – nach New York und London – die bereits dritte Ausgabe statt. Beteiligt sind theorieverliebte Fans ebenso wie Universitätsprofessoren oder Bands. Die wissenschaftliche Aufarbeitung von Black Metal ist zwar nicht neu, aber bisher stand vor allem der politische Extremismus im Mittelpunkt.

Poptheoretiker Dietmar Dath bereitete diesen Blickwinkel schon im Jahr 2000 in seinem »Testcard #9: Pop und Krieg«-Beitrag »Die Ambivalenz der Moderne. Black Metal zwischen Avantgarde und Faschismus« sehr gründlich auf. Die norwegische Band Burzum nimmt in seinem Beitrag eine zentrale Rolle ein. Mastermind Varg Vikernes, ein bekennender Neonazi, der bis vor kurzem noch wegen Mordes am Mayhem-Gitarristen Euronymous im Gefängnis saß, scheint überhaupt sehr inspirierend zu sein. So schaffte er es über Umwege ins Whitney Museum of American Art, als der US-Künstler Banks Violette im Jahr 2005 jene ausgebrannte norwegische Kirche nachbaute, die am Cover der Burzum-EP »Aske« zu sehen ist. Dazu gab es eine Sound-Installation von Thorns Ltd. Violette beschäftigt sich in seiner Kunst regelmäßig mit Black Metal, Ritual- und Selbstmorden – oft begleitet von musikalisch extremen Soundtracks. Die Musik zu einer späteren Ausstellung stammte u.a. von Sun O))).

Die Hipster kommen

Warum ist die Zeit jetzt aber wieder reif für eine neue Black Metal-Welle? Erst die Abkehr von politischen Extrempositionen machte überhaupt eine Revitalisierung möglich. Die Kritik am Materialismus, die intensive Naturverbundenheit sowie die starke Spiritualität ziehen immer mehr szenefremde Fans an. Die schon erwähnten Alternative Metal-Acts um Sun O))) haben bereits in den letzten Jahren ein Publikum abseits von Metalheads auf diese Art von Musik vorbereitet. Dazu kommt noch die Aufarbeitung in Theorie und Kunst sowie ein gesteigertes mediales Interesse. Warum auch viele Hipster von Black Metal angezogen werden, liegt aber mitunter daran, dass auch viele szenefremde Bands und Labels, die Black Metal-Ästhetik (Corpsepaint, Nietenarmbänder, Patronengürtel, satanistische Symbole oder verschnörkelte Logos) einfach übernommen haben. Während Hype-Bands wie Wavves oder Crystal Castles diese Elemente in ihre Patchwork-Identität aufgenommen haben, erlaubte sich das Wiener Label Fettkakao einfach einen Spaß und produzierte einen Totebag mit Black Metal-Logo.

Wie der Blog fuckyeahhipsterblackmetal.tumblr.com oder die Hipster Black Metal-Gruppe auf Last.fm zeigen, beschränkt sich diese Entwicklung längst nicht mehr auf die USA. Auch in Europa sprießen neue Black Metal-Bands, abseits dumpfer rechter Parolen und totalem Welthass. Also, liebe europäische Metaller: Auch ihr müsst euch künftig vor den Hipstern fürchten!

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