Seit der Jahrtausendwende boomt das Geschäft mit dem Staat als Marke – Nation Branding. Immer mehr Staaten versuchen sich neu zu erfinden, auch Österreich ist nun mit von der Partie.
The Sound of Music, Mozart, Hitler, Fritzl, Kängurus: Den auslandserprobten Österreicher dürften diese Assoziationen nicht sonderlich überraschen. Österreich ist Alpenparadies, Eldorado für Klassikliebhaber, Brutstätte rechtsextremen Gedankenguts, Land der Keller und – zumindest vom englischen Namen her – nicht so leicht von Australien zu unterscheiden. Den negativen Aspekten zu Trotz kommen die Touristen. Heimische Handwerksqualität, wie die Schusswaffen von Glock, findet weltweit reißenden Absatz (The Gap berichtete). Wien ist die Stadt mit der höchsten Lebensqualität der Welt, so die Beratungsagentur Mercer. Und am Nation Brands Index, der den symbolischen Markenwert von Ländern vergleichen soll, nimmt das Land den guten 13. Platz ein.
Glaubt man der Bundesregierung, herrscht dennoch Handlungsbedarf. Einseitig und angestaubt sei das österreichische Image, das es sich irgendwo zwischen Almwiesen und Heurigen, Sissi und den Lipizzanern gemütlich gemacht hat. Das wirke sich negativ auf die Wirtschaft aus. Investoren und Führungskräfte aus dem Ausland nehmen Österreich – wenn überhaupt – mehr als Urlaubsidyll denn als Business-Standort wahr. Selbst mit dem Tourismus ist man nicht ganz zufrieden: jüngere Leute werden zu wenig erreicht. Überhaupt präsentiere Österreich sich nach außen ohne stimmiges Gesamtbild. Es fehle eine klare Richtung. Enter: Nation Branding.
Ein erstes Konzept zur »Marke Österreich« wurde im Oktober 2011 von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner präsentiert. Dieses schreckt nicht vor großen Worten zurück: Eine unverwechselbare moderne ‚Nation Brand Austria’ gilt es durch die systematische Auseinandersetzung mit der Identität Österreichs zu erreichen. So soll Österreichs Image im Ausland verbessert, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit gesteigert und – man ahnt es schon – der Wirtschaftsstandort Österreich gefördert werden. Im Frühjahr wurde mit dem britischen Politikberater Simon Anholt der wohl prominenteste Vertreter aus dem Feld beauftragt, beim Basteln an Österreichs »Markenimage« zu helfen. Anholt hat den Begriff »Nation Brand« 1998 geprägt, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sich die internationale Wahrnehmung eines Landes, ähnlich wie das Image einer Marke, auf dessen wirtschaftliche und politische Entfaltung auswirkt. Die Thesen folgen Joseph Nyes bekanntem Konzept von Soft Power. So gesehen ist Nation Branding Symptom einer Entwicklung: symbolische Macht ist heute so wichtig wie materielle Macht – vielleicht sogar wichtiger.
Anholt selbst distanziert sich mittlerweile vom Begriff »Branding« für Nationalstaaten, wie er im Interview mit The Gap erläutert. Es deute auf ein falsches Versprechen hin, dass ein Land sein negatives oder schwaches Profil mit kostspieligem Marketing und PR-Kampagnen aufbessern könne. Das sei bisher noch keinem Land gelungen. Nation Branding werde von Regierungen oft als kurzfristiges Projekt begriffen. Das ist der Grund, wieso es meistens viel Geld kostet und trotzdem nicht den erwünschten Erfolg bringt, so Anholt, selbst einer der Bestverdienenden auf dem Feld. Stattdessen erfordere es einen neuen Zugang zu Governance, zur Staatsführung im Allgemeinen. Wenn Staaten an ihrem internationalen Ruf arbeiten wollen, müssen sie – ganz nach dem alten PR-Grundsatz »Tue Gutes und rede darüber« – erst etwas an ihrem Verhalten ändern und das dann verbreiten. Eigentlich keine große Weisheit. Da Länderimages eng mit Stereotypen zusammenhängen, die sich oft über Generationen hinweg halten, brauche man nicht vor zehn, zwanzig Jahren mit Veränderungen zu rechnen. Das kommt nicht zuletzt den Beratern selbst zugute.
Das Globalisierungsparadoxon
Das Geschäft mit der Marke Staat boomt. Immer mehr Agenturen – darunter Saatchi & Saatchi, Saffron und Interbrand – spezialisieren sich auf Regierungen und bieten ihnen Nation Branding, Country Branding, Place Branding oder Competitive Identity Management an. Anholt, der schon über 50 Nationen bei ihrer Selbstfindung beraten hat, bekommt mindestens einmal pro Woche eine neue Anfrage. Dieser Umstand mag paradox scheinen – wo sich doch nationale Grenzen im Zuge der Globalisierung immer mehr auflösen. Die Welt wächst zusammen. Das heizt nicht nur den globalen Wettbewerb an, sondern treibt Nationalstaaten dazu, sich stärker mit ihren »Alleinstellungsmerkmalen« auseinanderzusetzen. Oder genau das Experten für sie machen zu lassen.
Für einige Agenturen stellt Nation Branding bereits den lukrativsten Geschäftszweig dar. Australien hat in drei Jahren 205 Millionen Euro in Nation Branding investiert. Südkorea, das medial von Nordkorea überschattet wird, lässt es sich seit 2009 jährlich 60 Millionen Euro kosten. Die Regierung des Kosovo hat 2009 fast 6 Millionen Euro in eine Kampagne gesteckt. Immerhin 740.000 Euro hat das österreichische Wirtschaftsministerium für die Vorbereitungsphase frei gemacht. Die Versprechen der Berater klingen verlockend: Unternehmen, Touristen und Talente sollen angezogen, Exporte gefördert und diplomatische Beziehungen verbessert werden. Außerdem soll das Selbstbewusstsein der Landesbevölkerung gestärkt aus dem Branding-Prozess gehen. Bei der Umsetzung wird es allerdings schwierig.
Die Probleme beginnen schon beim Begriff selbst. Definitionen reichen von »kosmetischen Operationen«, wie der Entwicklung von Logos und Slogans, bis hin zur Verankerung in der nationalen Politik in eigens dafür eingerichteten Institutionen. Im Prinzip geht es bei Nation Branding darum, aus der Gesamtheit aller gesellschaftlichen, kulturellen, geografischen und wirtschaftlichen Aspekte, die einen Nationalstaat ausmachen, die Essenz herauszufiltern, um diese zu seinem Vorteil einzusetzen. Kein einfaches Unterfangen, wenn man bedenkt, dass dabei auch teils widersprüchliche Interessen, wie jene von Tourismus und Industrie, vereint werden sollen.
Dazu kommt, dass Parteipolitiker nach totalitären Herrschern die denkbar schlechtesten Initiatoren von glaubwürdigem Nation Branding sind. Das betont auch Anholt. Monarchen hätten dafür die besten Voraussetzungen, da sie nicht in kurzfristigen Wahlzyklen denken müssen. Diese ernüchternde Einschätzung hält Politiker nicht davon ab, Anholt und Kollegen, wie den Werbeguru Wally Olins, zu Rate zu ziehen. Dabei wird man den Verdacht nicht los, dass Nation Branding als Buzzword moderner Staatsführung vielfach der Imageaufbesserung der politischen Elite dient.
Spuck nicht, demonstrier nicht!
Staaten, die Nation Branding betreiben, setzen dafür in der Regel Expertengremien ein, die sich mit den Schwächen und Stärken des Landes auseinandersetzen. Sie suchen meist nach der Unterstützung der Zivilbevölkerung, denn ohne diese kann es wie Propaganda wirken. Der Branding-Prozess äußert sich dann in teils cleveren und teils unfreiwillig komischen Kampagnen; im Buhlen von Staaten um internationale Großveranstaltungen wie Olympische Spiele, Fußballweltmeisterschaften und Weltkongresse, die ihnen – so wie den allergrößten Konzernen – globale Aufmerksamkeit garantieren; in staatlicher Förderung von Popkultur (siehe Japan); in skurrilen Benimmanweisungen für die Bevölkerung, die das Ansehen im Ausland steigern sollen; aber auch in Initiativen, die auf das Selbstwertgefühl der eigenen Bevölkerung zielen, um sie in Krisenzeiten zu mobilisieren (»Deutschland – Land der Ideen«). Somit erlebt das Nationalbewusstsein gerade in Zeiten einer globalisierten und vernetzten Welt eine Aufwertung. Das ist nicht unproblematisch.
Weil durch Nation Branding Fragen der nationalen und kulturellen Identität mit wirtschaftlichen Interessen vermischt werden, führt das bisweilen zu Formen von kommerziellem Nationalismus. Damit aus Staatsbürgern Markenbotschafter des eigenen Landes werden, soll ihr Selbstbewusstsein gesteigert werden – die Grenze zu Nationalismus ist dabei oft fließend. Auch die Bewertung von nationaler Identität und Kultur nach ökonomischen Gesichtspunkten ist fragwürdig. Sie kann dazu führen, dass alles, was nicht dem Wettbewerbsvorteil nutzt, vernachlässigbar wird. Dass sich Kulturförderung zum Beispiel nur auf Aspekte beschränken muss, die auch international »herzeigbar« sind und sich verkaufen lassen. In diesem Zusammenhang kann Nation Branding als neoliberal-ideologisches Projekt verstanden werden.
Wenn Politiker und ihre Think Tanks entscheiden, wofür ein Land stehen soll, birgt das außerdem die Gefahr von Manipulation – bis hin zu Social Engineering. Das beginnt bei Kampagnen für mehr Freundlichkeit, wie im Vorfeld der Fußball-WM 2006 in Deutschland. In Südkorea wurden in TV-Spots die Demonstrationsfreudigkeit der Bevölkerung – eigentlich Zeichen einer aktiven Zivilgesellschaft – und »schlechte« Manieren angeprangert; sie seien Ursache für das negative Ansehen des Landes im Ausland. Schon die Tatsache, dass sich Regierungen unter dem Deckmantel solcher Kampagnen in Manipulation üben können, ist demokratiepolitisch bedenklich.
Österreichs Image: schwach, nicht zeitgemäß, irrelevant
In Österreich ist man momentan noch in der Analysephase. Bereits jetzt fällt die starke Betonung wirtschaftlicher Aspekte der »Marke Österreich« auf. Fast scheint man übersehen zu haben, dass die Wahrnehmung eines Landes in erster Linie von kulturellen Faktoren abhängt, wie auch das Soft Power-Konzept besagt. Österreich ist in dieser Hinsicht zwar positiv besetzt, die Assoziationen mit Geschichte und Kulturschätzen, die es international hervorruft, sind aber zu schwach, nicht zeitgemäß und für die meisten Menschen schlichtweg irrelevant.
Ob es in Österreich überhaupt gute Gründe dafür gibt, das Image aufzupolieren, ist also fraglich. Die mittlerweile vier Arbeitsgruppen der Regierung haben sich jedenfalls bis April nächsten Jahres zum Nachdenken Zeit genommen. Man darf skeptisch sein. Man darf aber auch hoffen, dass durch »Nation Branding Austria« ein Diskurs darüber eingeleitet wird, was sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten Positives getan hat, in Österreich – auch abseits von wirtschaftlichen Interessen. Dass darüber geredet wird, in welche Richtung verbessert werden soll. Und, dass zu den Expertenrunden, die über Österreichs zukünftiges Image diskutieren sollen, nicht nur ein Christoph Dichand (Krone) und ein Gerhard Roiss (OMV), sondern auch eine Elfriede Jelinek und ein Michael Haneke eingeladen wird – auch wenn diese sich vermutlich nicht ins Schaufenster österreichischer Kultur stellen wollen. Was für sich schon wieder ziemlich österreichisch ist.
Schon vor 100 Jahren, bemühte man sich für den Fremdenverkehr um ein gutes Image von Österreich. Die dafür entstandenen Druckerzeugnisse wie Reisebroschüren oder alte Urlaubsfotos lassen sich noch bis 28. Oktober in der Nationalbibliothek bewundern. Auch Teile unserer Bilder stammen aus der Ausstellung "Willkommen in Österreich".
Die Bilder von Lipizzanenr, Stephansdom und Staatsoper stammen aus dem Video zu Ken Hayakawas Cover von Fendrichs "Wien bei Nacht". Dafür wurden Bilder weiterverwertet, die Luma.Launisch bereits für den Österreich-Pavillon auf der Weltausstellung in Shanghai angefertigt hatten.
Informationen zu Soft Power und Beispiele für skurriles und bemerkenswertes Nation Branding auf der nächsten Seite.
Soft Power:
Der amerikanische Politologe Joseph Nye prägte 1990 das Konzept von Soft Power, das sich in den internationalen Beziehungen etabliert hat. Soft Power steht im Gegensatz zu Hard Power, der militärischen und wirtschaftlichen Macht einer Nation. Nye geht davon aus, dass nationale Interessen besser über die Attraktivität einer Kultur und ihrer Werte erreicht werden können, als über militärische Gewalt oder wirtschaftliche Sanktionen. Gerade für wirtschaftlich und politisch nicht besonders einflussreiche Staaten wie Österreich sei das von Relevanz.
Beispiele für Nation Branding:
Kolumbien spielt mit seiner Tourismuskampagne »Colombia – the only risk is wanting to stay« bewusst auf die Vorurteile in Bezug auf die Kriminalität des Landes an. Durch die glaubwürdige Einschätzung des eigenen Images entsteht der Eindruck, die Vorurteile halten womöglich nicht mehr.
Als auf einem EU-Gipfeltreffen T-Shirts mit dem slowenischen Nation Branding Slogan »I feel Slovenia« ausgehändigt wurden, wurde dieser als »I feel slovenly« – etwa »ich fühle mich schlampig« – gelesen.
Auch der von Simon Anholt entwickelte südkoreanische Slogan »Korea sparkling« sorgte für Verwirrung. Die meisten Menschen verbinden mit »sparkling« kohlensäurehältige Getränke oder Juwelen. Er wurde später durch »Korea, be inspired« ersetzt.
Australiens Tourismuskampagne »So where the bloody hell are you?« wurde ob der verwendeten Vulgärsprache international gar als Affront empfunden.
Neuseeland hingegen distanziert sich in seinen Slogans regelmäßig von Australien und wirbt seit Kurzem mit seinem wohl anerkanntesten Alleinstellungsmerkmal: »100% Middle Earth«.
Finnland hat über sein Nation Branding-Projekt herausgefunden, dass es als Silicon Valley sozialer Innovationen bis 2030 »Problemlöser der Welt« werden möchte.
In einigen Ländern beinhaltet Nation Branding Benimmkampagnen für die Landesbevölkerung. So wurden die Chinesen im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 darauf aufmerksam gemacht, in der Öffentlichkeit das Spucken zu unterlassen. In Südkorea gibt es ähnliche Kampagnen, die an die guten Manieren Ausländern gegenüber appellieren.
Es gibt auch unfreiwilliges Nation Branding. Durch Sasha Baron Cohens Kunstfigur Borat wurde Kasachstan plötzlich große internationale Aufmerksamkeit zu teil, wenn auch negativer Natur. Laut Simon Anholt hätte das Land diese Publicity zu seinem Vorteil nutzen können. Wally Olins riet hingegen davon ab.
Die Schweiz startete eine umfassende Nation Branding-Initiative, nachdem Banken Ende der 90er Jahre beschuldigt wurden, Nazi-Gold zu horten.
Die Marke USA wird gar monetär bemessen: 11,4 Trillionen Dollar war sie 2011 wert.
Mehr zum Coverschwerpunkt Nation Branding inkl. Leitartikel, Golden Frame, Olympische Spiele London 2012, Logodesign, The Hobbit, usw. geht es hier: