Politiker können heutzutage nicht mehr am Internet vorbei. Alle suchen mehr oder weniger erfolgreich nach Wegen, ihre Wähler im Netz zu erreichen und Politik im Netz zu machen. Doch wie muss eine Politik für das Netz aussehen? Wie kann die Offenheit des Internets gesichert werden?
»Politiker fürchten das Netz«
Zunächst: Politiker brauchen das Netz nicht. Römische Senatoren vor 2.000 Jahren brauchten kein Internet. Im Gegenteil: Politiker fürchten das Netz. Bestes Beispiel dafür ist die internationale Bewegung der Piratenparteien, die ohne Netz nicht entstanden wäre. Derzeit sägt das Internet an der repräsentativen parlamentarischen Demokratie, wie wir sie heute kennen. Der Trend geht eindeutig in Richtung direkte Demokratie. Die moderne Informationstechnik fördert und beschleunigt zwar diese Entwicklung zu Liquid Democracy, wird jedoch nicht zwingend dafür benötigt, wie z.B. die libysche Jamahiriya schon seit 1977 beweist. Das Netz wird sogar noch einen viel größeren Einfluss auf »in Stein gemeißelte« Paradigmen haben und diese noch mehr aufbrechen, als es die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert getan hatte, der die Grundlagen für die heutige Wissensgesellschaft legte. Das Netz braucht aber auch die Politik nicht unbedingt. Jedoch müsste die Politik reagieren, um bestehende Gesetze zu modernisieren. Beispiel Urheberrecht. Es kann nicht sein, dass Jugendliche kriminalisiert werden, die ein paar Alben Mainstream-Popmusik runterladen. Es kann aber auch nicht sein, dass Künstler am Hungertuch nagen müssen, weil die User die Werke gratis aus p2p-Netzen beziehen. Hier wäre die Politik in die Pflicht zu nehmen, diese Schieflage zu korrigieren. Da es jedoch die Analogparteien verabsäumt haben, Entwicklungen dieser Art zu berücksichtigen und zu einem für alle vertretbaren Konsens zu führen, gibt es nun die Piratenparteien. Meinungs- und Redefreiheit sind Grundrechte, die auch im Netz zu gelten haben. Die Politik muss sich dafür einsetzen, diese Grundrechte zu schützen. Leider ist das Gegenteil der Fall. Im Hintergrund des Terrorismuswahns wird versucht, diese Grundrechte einzuschränken. Mag. Christoph Trunk, 34, studierte Wirtschaftsinformatik an der TU Wien und ist seit einem Jahr Landesvorstand der Piratenpartei Wien. Er war Spitzenkandidat bei der Wien-Wahl 2010 und ist seit Kurzem auch Pressesprecher der Bundespartei.
»Innovatoren an der Grenze des Netzes berücksichtigen«
Das Thema Netzneutralität umfasst viele Dimensionen. Zum einen sind die Themen Netzneutralität und Investitionen in die Netze der nächsten Generation auseinander zu halten; der europäische Rechtsrahmen und die Empfehlung der EU-Kommission geben den Regulierungsbehörden entsprechende Regulative an die Hand, um Investitionsanreize unabhängig von der Diskussion um die Netzneutralität zu setzen. Zum anderen wollen Netzbetreiber angesichts ihrer hohen Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur und angesichts des Konkurrenzdrucks von Innovationen aus der Netzperipherie (Skype, Google, Apple, Amazon etc.) zusätzliche Einnahmequellen erschließen. Diese Diskussion ist kompliziert, hat eine Reihe von Risiken und lässt sich auch nicht unabhängig von anderen Entwicklungen, wie der zunehmenden Bedeutung von over the top playern wie Google oder den Entwicklungen rund um Apple und dessen Exklusivitätsverträgen, mit einzelnen Betreibern führen. Aus Sicht der Regulierungsbehörde wird es vor allem darauf ankommen, die Endkunden in die Lage zu versetzen, auf Entwicklungen des Marktes adäquat zu reagieren und Innovatoren an der Grenze des Netzes entsprechend zu berücksichtigen, da von ihnen nicht nur die Wettbewerbsdynamik im Bereich der elektronischen Kommunikation beeinflusst wird, sondern erhebliche Impulse auf die Gesamtwirtschaft ausgehen. Dr. Georg Serentschy, 62, ist Geschäftsführer Telekommunikation und Post der Rundfunk & Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) und stellvertretender Vorsitzender des BEREC (Body of European Regulators for Electronic Communications), dessen Vorsitz er 2012 übernimmt.
»Voraussetzungen für multimediale Teilhabe aller schaffen!«
Das Internet verbindet uns über Schrift, Bild und Ton mit der Welt. Jeder von uns möchte via Smartphone und über den PC an diesem Wissensuniversum teilhaben. Damit das möglich ist, muss ausreichend Bandbreite zur Verfügung stehen. Durch die Vergabe der Digitalen Dividende und anderer Frequenzbänder im kommenden Jahr werden mobile Datenhighways für alle Österreicher und Österreicherinnen erst möglich. Und ich fordere, dass aus den Einnahmen der Versteigerungen mindestens 250 Mio. Euro für den Breitbandausbau in dünn besiedelten Gebieten zur Verfügung stehen! Denn nur, wenn genug Bandbreite für ALLE da ist, kann Netzneutralität gewährleistet werden: Inhalte und Dienste dürfen nicht gesperrt werden, weil sie zu viel Bandbreite verbrauchen. Nur so kann der Einzelne Herr über sein Surfverhalten und das Internet frei für alle bleiben. Mag. Karin Hakl, 43, ist Abgeordnete zum Nationalrat und ÖVP-Sprecherin für Forschung, Innovation und Technologie.
Netz vs. Politik oder Netzpolitik?
Politik im, durch, über und für das Netz – über die Rolle der Politik für die Zukunft des Internets wird heute unter dem Stichwort Netzpolitik nachgedacht. Der Begriff umfasst zum einen politische Aktivitäten, die über Online-Kommunikation neue Strukturen erhalten. Globale Proteste wie im Rahmen von Occupy Wallstreet gehören ebenso dazu wie die als »Revolution 2.0« bezeichneten Bewegungen im arabischen oder europäischen Raum. Zum anderen geht es dabei um eine Philosophie des Internets rund um Schlagworte wie Netzfreiheit, Netzneutralität, Open Government, Open Data oder Open Access. Gemeinsam ist ihnen die Forderung nach einer bestimmten Umgangsweise mit Informationen sowie die Grundidee eines »freien Internets«. Dass Netzpolitik eine Kulturfrage ist, erklärt den »cultural gap«, der sich in der öffentlichen Auseinandersetzung oft auftut – wenn beispielsweise der englische Premierminister Cameron im Zuge der Londoner Unruhen die Einschränkung sozialer Netzwerke überlegt oder der deutsche Innenminister nach den Anschlägen in Norwegen ein Ende der Anonymität im Netz fordert. Beispiele für »wtf-Momente« wie diese gibt es viele. Vielleicht werden sie aber heute von einer breiteren Masse so empfunden. Denn die Internet-Gemeinde hat sich längst aus ihrer Nischenposition gehoben. Damit wird eine entsprechende Kultur- und Wertehaltung transportiert (»Vernerdung« der Gesellschaft). Netzpolitik sollte daher zukünftig nicht mehr als Special-Interest-Thema gesehen werden, sondern muss in die breite öffentliche Wahrnehmung gelangen. Manifeste wie die »Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace« können dies unterstützen. Sie kommen aber klarerweise nicht von oben, sondern von Bürgerrechtsbewegungen wie beispielsweise der Blue Ribbon Campaign von John Perry Barlow. Darin heißt es in Bezug auf Regierungshoheiten: »Eure Welt ist anders«. Zwei Welten zeigen sich auch in der Auseinandersetzung mit Gruppierungen, die den freien Informationszugang schützen wollen: So wird das Hacktivismus-Kollektiv Anonymous meist mehr im Kontext operativer Ziele (Lahmlegen von Webservern) als einer Grundmission (Schutz des Lebensraums Internet) beschrieben (vgl. monitor, Oktober 2011). Es ist eine politische Frage, welche digitalen Informationskulturen unterstützt oder überhaupt zugelassen werden. Die Politik täte gut daran, hier nicht gegen bereits etablierte Netzkulturen zu arbeiten. Mag. Judith Schoßböck, 30, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für E-Governance der Donau-Universität Krems und Mitglied der Interdisziplinären Internetforschungsgruppe an der Universität Wien.
Spätestens seit Barack Obamas Wahlkampf ist es Common Sense, dass Wahlbewegungen künftig stärker auf das Internet setzen müssen. Auch hierzulande sorgt der von langer Hand vorbereitete Social Media-Auftritt von Bundeskanzler Faymann für intensive Diskussionen. Das Netz wird mehr und mehr zur modernen Agora, in der politische und gesellschaftliche Themen verhandelt werden. Die etablierten politischen Player sind gerade erst dabei, sich als Anwender im Netz einzurichten. Dabei braucht diese Agora sie längst als Gestalter.
Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung wird vielfach als Sündenfall der Politik beschrieben. Im Jahr 2006 wurde beschlossen, dass Telekommunikationsanbieter Verbindungsdaten ihrer Kunden speichern müssen, damit diese zur Verbrechensbekämpfung verwendet werden können. Kritiker sehen darin die Freiheit des Einzelnen in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt und den Überwachungsstaat heraufdämmern. Manche meinen, in der Richtlinie die Handschrift der Content-Industrie erkennen zu können, die bei der Verfolgung von Filesharern von den Vorratsdaten profitieren könnte.
Netzpolitik war bislang ein Nischenthema. Sie muss sich langsam aber sicher zu einem zentralen Bestandteil politischer Programme entwickeln. Einerseits, weil das Internet immer tiefer in der Gesellschaft verankert ist und andererseits, weil Wählerinnen und Wähler zunehmend an Netzpolitik interessiert sind. Letzteres zeigt auch der Erfolg der Piratenpartei bei den Berliner Wahlen. Dabei ist Netzpolitik nur zu einem sehr geringen Teil Regionalpolitik. Die transnationale Struktur des Internet und der Services erfordert auch eine transnationale Politik. Die Themen sind breit gefächert: Sie beginnen beim Infrastruktur-Ausbau und der Schaffung fairer Zugangsbedingungen und gehen über Bildung und Media-Literacy bis zu Privacy und Informationsfreiheit. Viel zu tun für die Politik.
»Voraussetzungen für multimediale Teilhabe aller schaffen!«
Das Internet verbindet uns über Schrift, Bild und Ton mit der Welt. Jeder von uns möchte via Smartphone und über den PC an diesem Wissensuniversum teilhaben. Damit das möglich ist, muss ausreichend Bandbreite zur Verfügung stehen. Durch die Vergabe der Digitalen Dividende und anderer Frequenzbänder im kommenden Jahr werden mobile Datenhighways für alle Österreicher und Österreicherinnen erst möglich. Und ich fordere, dass aus den Einnahmen der Versteigerungen mindestens 250 Mio. Euro für den Breitbandausbau in dünn besiedelten Gebieten zur Verfügung stehen! Denn nur, wenn genug Bandbreite für ALLE da ist, kann Netzneutralität gewährleistet werden: Inhalte und Dienste dürfen nicht gesperrt werden, weil sie zu viel Bandbreite verbrauchen. Nur so kann der Einzelne Herr über sein Surfverhalten und das Internet frei für alle bleiben.