Burial, Four Tet und wir

Warum Four Tet mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht Burial ist. Und was das mit unserer Aufmerksamkeitsökonomie zu tun hat.

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Gestern war in den sozialen Netzwerken wieder mal die Hölle los. Ein Artikel mit dem Titel „Four Tet Confirms He Is Burial“ verbreitete sich mit rasender Geschwindigkeit. Das klang nach einer ziemlichen Sensation, schließlich sind beide extrem bekannte Musiker. Ja, auch wenn in der elektronischen Musik die Individuen nicht dieselbe Strahlkraft besitzen wie in anderen Genres und der Vergleich deshalb mehr als hinkt, war das etwa so als hätten Korn und Slipknot bekanntgegeben dass sie eigentlich dieselbe Band sind.

Einen großen Unterschied gibt es allerdings: Bei dieser Meldung wären sofort alle skeptisch. Die Four Tet/Burial-Geschichte wurde ohne zu prüfen weiterverbreitet. Sie fiel deshalb auf so fruchtbaren Boden, weil sie eine Vorgeschichte hat.

burialisfourtet.tumblr.com

Man sollte wissen, dass Burial anfangs tatsächlich anonym blieb, selbst nachdem sein Meisterwerk »Untrue« im Jahr 2007 erschien. Nachdem der Independent ein Jahr später seine wahre Identität in einer Geschichte über die Londoner Elliot School und die auffällige Häufigkeit von Musikern unter ihren ehemaligen Schülern erwähnte, machte Burial schließlich auf seiner Myspace-Seite reinen Tisch: Ja, er sei William Bevan, ein völlig normaler und unspektakulärer Brite, der halt gerne Dubstep produziere. Seine Anonymität sei ein Selbstschutz gewesen. Jetzt sei sie aber ein bestimmendes Thema, und das wolle er nicht.

Die Geschichte könnte hier zuende sein. Am 23. Dezember 2011 wurde aber ein Tumblr ins Leben gerufen, der nur auf einer einzigen Hypthese beruhte, die er auch im Namen trug: burialisfourtet.tumblr.com. Darauf wurden ein paar wenige, eher krude Hinweise gesammelt, die die These unterstützten. Dass Burials Identität längst bekannt war, störte dabei nicht: Diese sei erfunden und zusammengegooglet. Der Tumblr wurde geteilt und belächelt. Im darauffolgenden Jahr tauchte er immer wieder auf Twitter auf, verschwand aber immer wieder. Sogar Kieran Hebden aka Four Tet selbst twitterte ihn irgendwann zum Spaß.

Aber irgendwas blieb von dem Gerücht halt hängen. Letztlich muss man sagen, dass die beiden Künstler sich für solche Gerüchte ideal eignen: Beide sind relativ öffentlichkeitsscheu. Sie sind gemeinsam zu Schule gegangen. Sie produzieren gemeinsam, und Burial hatte Releases auf dem Label von Four Tet. Und anders als z.B. Machinedrum haben sie auch kein Gesicht dass man sich merkt.

Die Story kocht wieder hoch

Mitte Mai machte sich Caribou wohl einen Spaß und setze einen Tweet zu dem Thema ab: „how has it taken me this long to figure out that @FourTet is burial?“. Mehr als 250 Retweets später war die Sache wieder am Kochen. Hebden war nach eigenen Angaben danach mehr oder weniger Vollzeit mit Dementis beschäftigt („still getting 400 messages a day from people asking if im burial“).

In diese informationstechnisch aufgeheizte Situation platze dann die Nachricht des equalizermag.com, Hebden hätte endlich bestätigt, dass er auch hinter Burial steckte. Es machte blitzschnell die Runde, und zahlreiche Journalisten arbeiteten in den Köpfen bereits an Stories darüber – zugegeben: Ich auch.

Bis mal jemand einen Blick ins Impressum von equalizermag.com warf, wo sich folgender Satz fand: "Content found within the site is entirely satirical. Conclusions drawn from content are incorrect and in no way based in fact. We encourage all readers to pay attention and verify sources before making impulsive tweets or Facebook updates about ridiculous headlines."

Bam! Das saß.

Unabhängig davon, dass die Meldung ziemlich gut gemacht war, sollte das trotzdem zu denken geben. Ja, die Internet-Ökonomie und Suchmaschinen belohnen Medien, die eine Meldung zuerst haben. Wir erwarten als Leser, Dinge in Sekundenbruchteilen zu erfahren, und sind als Redakteure unzufrieden, wenn unser Medium ein Thema später als andere oder gar nicht bedient. In den sozialen Netzwerken postete ungefähr jeder etwas zu Thatchers Tod, dem Daft Punk- oder Boards of Canada-Stream. Und nach einer Stunde waren schon wieder alle genervt. Die Aufmerksamkeitsökonomie des Internets belohnt durch Instant-Feedback den, der am schnellsten ist. Trotzdem sollte uns der gestrige Tag wieder mal eine Warnung sein. Ein Anlass dafür, als Journalisten mal eine Story sausen zu lassen, wenn wir uns nicht sicher sind. Und als Leser, dass auch zu akzeptieren.

Besser ist es. Denn das große Problem: Falsche Meldungen lassen sich kaum mehr löschen. Wer sich davon ein Bild machen will, sollte mal unter dem Suchbegriff „Four Tet“ auf Twitter nachschauen.

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