Wo das Internet ist, da reicht die Sprache oft nicht hin. Von Dörfern und Straßen und unsichtbaren Zimmern ist dann schnell die Rede, weil es an präziseren Begriffen fehlt. Wir klären einige der wunderbarsten Missverständnisse auf. Buzzword Bingo, Teil Eins von 21048.
Im Jahr 1991 stellte Tim Berners-Lee das World Wide Web-Projekt mit einem Beitrag zur Newsgroup alt.hypertext der weltweiten Öffentlichkeit zur Verfügung. Damit war der Grundstein für eine Entwicklung gelegt, die vieles auf dieser Welt ganz grundlegend verändern sollte. Nach und nach hält von da an das »Internet« mit seinen Diensten Einzug in so gut wie allen Lebensbereichen. Wirtschaft, Medien, Kultur und sogar die Politik werden erfasst von der digitalen Revolution. Klar, dass da viele nicht ganz mitkönnen. Die deutsche Kanzlerin ist nicht die einzige, die das Internet als »Neuland« empfindet. Das lässt sich auch in und an der Sprache feststellen. Hier eine kleine Auswahl aus dem noch nicht geschriebenen Wörterbuch der unausrottbaren sprachlichen Unschärfen und -irrtümer.
Content, der
Früher galt der Content (zu Deutsch »Inhalt«) als King – als Herrscher in einem Reich, wo ihm die Massen zujubelten und dem sich die Werbung unterzuordnen hatte. So richtig konnte er seine Macht dann aber nie entfalten. Nicht zuletzt deswegen, weil die Werbung sich zu sehr in den Vordergrund drängte und die Sicht auf den König verstellte. Seitdem werden die wildesten Verrenkungen unternommen, den König wieder auf seinen Thron zu hieven und den Untertanen irgendwie Geld dafür abzupressen. Am besten funktioniert das scheinbar noch dort, wo sich die Untertanen ihren König selbst basteln, sprich: die User bauen sich selbst ihren Content, auf Facebook, Youtube und Twitter.
Cyberspace, der
Namenspatin für diesen Raum ist die Kybernetik. Bei der geht es ursprünglich um Regelung und Steuerung von Systemen. Sie bildet die gedankliche Grundlage für hochkomplexe Anwendungen wie etwa künstliche Intelligenz – also Softwarelösungen, die in der Lage sind, Probleme eigenständig zu bearbeiten – oder die Robotik. Lange Zeit wurde der Cyberspace als digitale SciFi-Metapher verwendet. Heute fristet er sein Dasein als eigentlich eh alles, was über Bildschirm und/oder Tastatur erreicht werden kann.
Datenhighway, der
Eine Autobahn ist eine breite Straße, auf der Autos besonders schnell fahren können. Die US-Regierung sprach 1993 erstmals von einem Information Highway, auf dem Daten in Höchstgeschwindigkeit herumflitzen. Findige Marketingmanager von Internetserviceprovidern verwenden Variationen des Begriffes noch heute, um die Leistungsfähigkeit ihrer Produkte argumentativ zu untermauern. Insbesondere, wenn neue breitbandigere Technologien – wie aktuell gerade LTE im Mobilfunkbereich – eingeführt werden, wird das schiefe Bild gerne wieder ausgegraben. Schief ist es in den Augen der • Netzgemeinde vor allem deshalb, weil es so tut, als könnte der Verkehr auf der Datenautobahn ebenso reguliert werden wie auf der echten Autobahn – mit Geschwindigkeitsbeschränkungen, Überholverboten und Mautstrecken. Vielleicht sogar zur Sicherheit derer, die sie befahren?
Digital Natives, die
Die neue Generation hat angeblich den selbstverständlichen Umgang mit Technologie in die Wiege gelegt bekommen und versteht perfekt, sie zu nutzen. Die Alten rufen permanent nach Media Literacy (auf Deutsch: Medienkompetenz). Weil die waren nämlich dabei, wie die digital Eingeborenen gezeugt wurden. Da gab es noch mehr als bloß Nullen und Einsen. Sie erinnern sich auch noch daran, wie ihre Sprösslinge ihre ersten unsicheren Schritte im • Real Life gemacht haben.
Netzgemeinde, die
Heute haben weltweit schätzungsweise 2,4 Milliarden Menschen Zugang zum Internet. Ein geschätztes Drittel davon kann als • Digital Natives bezeichnet werden. Hierbei handelt es sich um äußerst unterschiedliche Menschen, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, Internetdienste zu nutzen. Man nimmt aber an, dass es innerhalb dieser Masse eine gemeinschaftliche und mehr oder weniger gut organisierte Gruppe gibt: die Netzgemeinde. Ihr wird die Verantwortung dafür zugeschrieben, das im Netz beinhaltete Gute, Wahre und Schöne zu bewahren bzw. dafür zu kämpfen. Wenn es diese Gemeinde tatsächlich gibt, dann ist sie wohl höchstens ein gallisches Dorf. Leider!
Real Life, das
Wo Menschen elektronische Gerätschaften nutzen, um sich auszutauschen, kann Großes entstehen. Da verschwinden altbekannte Hürden und Distanzen lassen sich mühelos überwinden. Was bleibt, sind letztlich aber doch Beziehungen zwischen Menschen – mit allen Schwierigkeiten und Missverständnissen, die dazugehören. Trotz stetig wachsender Bandbreiten und besserer Darstellungsmöglichkeiten fehlt bei der digitalen Kommunikation etwas. Da ist man rasch versucht, sie nicht als Teil des wirklich wahren und ganz echten Lebens zu betrachten, sondern als Teil der • Virtual Reality, die das Gegenstück zum Real Life bildet. Dabei baut der technologische Fortschritt die Unterschiede zwischen echtem und unechtem Leben weitgehend ab. Für alle, denen die Unterscheidung dennoch wichtig ist, gilt als Faustregel: Wenn’s schlecht riecht, muss es das Real Life sein.
Virtual Reality, die
Neben der echten Realität gibt es noch eine zweite, die nicht in der Form existiert, in der sie zu existieren scheint, die aber in ihrem Wesen oder ihrer Wirkung der existierenden Realität gleicht. So weit ist ja alles klar. Ursprünglich wurde der Begriff Virtual Reality für computergenerierte Simulationen verwendet, die die Interaktion mit physikalischen Gegenständen nachbildet. Das können etwa Handschuhe sein, die haptisches Feedback geben oder die längst massenmarktfähige Möglichkeit, mit natürlichen Bewegungen und Gesten durch simulierte Umgebungen zu navigieren, etwa mit Controllern von Spielkonsolen. Mit »Second Life« fand die Idee, ganze virtuelle Welten zu gestalten einen Höhepunkt und gleichzeitig auch ihr vorläufiges Ende. »Second Life« ist eine Geisterwelt und Virtual Reality geistert als hohle Phrase durch den allgemeinen Sprachgebrauch. Ähnlich wie der • Cyberspace wird er recht gerne verwendet, um zu beschreiben, wie • Digital Natives sich dem • Real Life entziehen.
Web 2.0, das
Kinder, wie die Zeit vergeht! Version 1.0 des Webs wurde 1991 veröffentlicht. Im Grunde war da schon alles angelegt, was 2003 erstmals als Web 2.0 bezeichnet wurde, nämlich die kollaborativen und interaktiven Elemente. Tim O’Reilly hat den Begriff 2005 so richtig groß gemacht. Das ist jetzt auch schon acht Jahre her. Mittlerweile mussten wir feststellen, dass die Analogie zu den Software-Neuveröffentlichungen doch nicht so ganz passt. Daher stellen wir jetzt allem einfach ein »Social« voran und lassen das mit der Versionierung wieder sein. Wäre ja noch schöner, wenn wir jetzt laufend alle Security-Patches für unser Web installieren müssten. Apropos Social: Wer sich ein wenig mit Interneterfinder Tim Berners-Lee beschäftigt, wird feststellen, dass er von Anfang an den Austausch von Informationen zwischen Menschen gedacht hat. Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Informationen ist ein höchst soziales Anliegen.
To be continued.