Mit den Stücken Dance Clinic und UnBearable Darkness ist Künstler Choy Ka Fai gleich zweimal am diesjährigen ImPulsTanz Festival vertreten. Obwohl die beiden Performances des momentan in Berlin lebenden Künstlers sehr unterschiedlich sind, ist ihnen doch eines gemeinsam: Der Prozess steht immer über dem fertigen Produkt.
Wie ist die Idee für Dance Clinic entstanden? Ist die Show als Kritik an der wachsenden Abhängigkeit von künstlicher Intelligenz zu sehen oder ist dieser Ansatz zu einfach?
Ein Großteil der Menschen, die Dance Clinic schon gesehen haben, sind mit genau dieser These an das Stück herangegangen, haben es also als eine Kritik an der immer größer werdenden Abhängigkeit der Menschen von modernen Technologien, wie künstlicher Intelligenz, gesehen. Tatsächlich war das aber gar nicht so sehr mein Anspruch, zumindest nicht bewusst. Ich habe nämlich mit dem sehr naiven Ansatz daran zu arbeiten begonnen, Muskelspannungen zu messen um Daten zu generieren, die mit bestimmten Bewegungsabläufen zusammenhängen. Diese Informationen habe ich dann ins Umfeld des Tanzes übertragen. Nachdem ich den Körper durchanalysiert hatte, wollte ich noch tiefer in das Thema hinein und herausfinden, was sich während des Tanzens in den Köpfen der TänzerInnen abspielt. Dafür habe ich sehr viele TänzerInnen und ChoreografInnen interviewt und im nächsten Schritt Hirnstrommessungen durchgeführt, um herauszufinden, wo sich die TänzerInnen während der Performance mit ihren Gedanken befinden. Zwei Jahre habe ich mit diesen Ideen herumexperimentiert und mir dann die Frage gestellt, was ich mit all den gesammelten Daten tun möchte – so ist letztendlich die Idee der Dance Clinic entstanden, in der ich als Dance Doctor agiere. Hat ein Performer oder eine Performerin beispielsweise das Gefühl, dass es ihm oder ihr an Selbstbewusstsein oder Bühnenpräsenz mangelt, möchte ich mit meiner Analyse der Hirnströme eine Hilfestellung bieten. Mit meinen Messungen habe ich eine gewisse wissenschaftliche Autorität, mit der ich an die TänzerInnen herantreten kann.
Wie ist dieser Zugang bis jetzt bei den TänzerInnen angekommen? Bist du auf große Skepsis gestoßen?
Ich dachte anfangs, dass sie skeptisch sein würden, war dann aber überrascht, dass sie sehr offen darauf reagierten. Die meisten waren auch sehr interessiert, weil sie selbst natürlich meistens auch gar nicht wussten, was während der Performance in ihren Köpfen vor sich geht. Dance Clinic hat klarerweise für mich einen wissenschaftlichen Anspruch – ich möchte dabei aber natürlich auch, dass nicht nur ich am Schluss mehr weiß, sondern auch die TänzerInnen mehr über sich selbst herausgefunden haben.
Wie bist du zu den Informationen über all die technischen Möglichkeiten gekommen?
Vieles davon war ganz einfach ein Ausprobieren, das auch von vielen Fehlern begleitet war. Ich habe mich aber auch mit einigen Neurowissenschaftlern getroffen – ihr Institut lag ganz in der Nähe des Royal College of Art in London, an dem ich studiert habe. Ich glaube einfach, dass es mitunter auch dieser Punkt ist, der das Projekt innerhalb der Tanzszene so spannend macht – eine völlig andere Perspektive auf zeitgenössischen Tanz mit dem Publikum zu teilen.
Es geht dir mit diesem Programm also gar nicht um eine Kritik an dem Verlangen vieler Menschen permanent ihren Schlaf, ihr Essverhalten und ihr Fitnesslevel zu überwachen?
Die Zuseher der letzten paar Shows haben es durchaus auch auf diese Weise interpretiert. Ich glaube, dass das auch daher rührt, dass viele Menschen einfach auch Angst vor der Zukunft, genauer gesagt vor der künftigen Abhängigkeit von künstlicher Intelligenz haben. Allerdings ist das eine Entwicklung, die sich von einzelnen Menschen nicht stoppen lässt – darüber spreche ich auch in meiner Show. Es war also durchaus schon mein Plan darüber nachzudenken, ob es durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz nicht möglich wäre ChoreografInnen zu ersetzen oder ihnen damit zumindest eine Hilfestellung zu bieten. Ich zeige also einfach auf, wie sich diese Zukunft auch auf den Tanz auswirken könnte – wenn man so will auch durchaus kritisch, aber niemals mit einer perfekten Lösung im Gepäck.
Wird das beim Tanz aber nicht besonders schwierig, weil es sich dabei um das unmittelbarste und natürlichste Ausdrucksmittel handelt?
Ich beantworte diese Frage am besten mit einer Fallstudie, die auch Teil von Dance Clinic ist. Die Geschichte ist die eines Tänzers aus dem Westen Papua Neuguineas, der gerne eine Verbindung zu zu den traditionsreichen Tänzen und Ritualen seiner Urväter aufbauen möchte, aber damit kämpft die Verbindung dorthin, durch die Christianisierung Papua Neuguineas, verloren zu haben. Um diese wiederherzustellen, begibt er sich in eine Art Trancezustand, die ihm diese Verbindung ermöglicht. Für mich sind die Stimulatoren, mit denen das möglich wird und auch die Hirnströme, die diesen Zustand begleiten, sehr spannend. Mein Ziel – und das ist auch Teil der Show – ist es ihm zu helfen in diesen Trance-Tanz hineinzufinden.
Zusätzlich habe ich auch bemerkt, dass sich das Publikum während Dance Clinic zu dem ein oder anderen Lacher hinreissen lässt. Für mich eine angenehme Gegenposition – schließlich ist es doch oft so, dass sich gerade bei Aufführungen die auf großen Bühnen oder im Zuge sehr angesehener Festivals stattfinden, sich nur wenige trauen auch mal zu lachen …
Ich glaube, dass das ganz stark kulturell bedingt ist. Zeige ich meine Shows in Europa, merke ich, dass sich kaum jemand zu lachen traut. In Asien sieht das schon wieder ganz anders aus – da bricht im Publikum sehr schnell mal Gelächter aus. Doch auch das ist nicht immer optimal, weil ich oft das Gefühl habe, dass sie nach dem ersten Lacher auch über alles andere lachen und die Aufmerksamkeit dadurch verloren geht. Ich habe mit Dance Clinic aber noch nicht so viel Erfahrungen sammeln können, weil Wien nach Singapur und Düsseldorf, erst die dritte Station ist, wo ich die Show auf diese Weise zeige.
Im Rahmen von ImPulsTanz gibt es aber noch eine zweite Show von dir – UnBearable Darkness, die sich vor allem mit dem japanischen Butho-Tanz beschäftigt. In welcher Weise?
Bei Butho geht es für mich gar nicht so sehr um den Tanzstil, sondern um etwas anderes: Um die Essenz dieses Tanzes und die Haltung, die eng damit verbunden ist. Diese Haltung ist nämlich vor allem eine die sich in Rebellion ausdrückt. Tatsumi Hijikata, der Gründer des Butho-Tanzes hat diesen auch als Antithese zu den Tänzen des Westens erfunden. Dennoch kam Butho 1978 auch nach Europa, stieß vor allem in Frankreich auf große Beliebtheit und es begannen auch viele EuropäerInnen den Tanz zu lernen. Diese „zweite Generation“ der Butho-TänzerInnen kommt für mich allerdings an die erste nicht heran. Weil ich von dieser zweiten Welle an Butho-TänzerInnen so frustriert war, habe ich beschlossen mit dem Gründer darüber zu sprechen, dieser ist aber schon seit 1986 tot. Deshalb habe ich damit begonnen mich mit dem Thema Schamanismus auseinanderzusetzen und jemanden gefunden, der mir tatsächlich dabei helfen konnte Hijikata anzurufen. Es funktionierte, allerdings war vor allem anfangs sehr viel Unsicherheit damit verbunden, weil ich nicht wusste, ob er mich wirklich sehen möchte – schließlich sind wir nicht verwandt und waren auch nicht befreundet. Glücklicherweise willigte er ein mein Vorhaben ein, denn ohne seine Einwilligung hätte ich UnBearable Darkness auf keinen Fall gemacht.
Wie drückt sich diese Rebellion gegen die Tanzkultur des Westens aus?
Es geht darum Autorität in Frage zu stellen, auch die eines bestimmten Stils. Ich glaube nämlich daran, dass es nicht wichtig ist, sich einer bestimmten Sparte zu verschreiben, sondern, wie Tatsumi Hijikata, etwas zu verfolgen das einem selbst wichtig ist, auch wenn man es nur für sich selbst tut. Es geht also nicht darum eine oppositionelle Position einzunehmen, weil man oppositionell sein möchte, sondern etwas zu tun, weil man darin für sich selbst das Richtige sieht.
Du warst 2015 schon einmal Teil des ImPulsTanz Festivals. Auf Basis dieser Erfahrungen – was sind deine Hoffnungen und Erwartungen für dieses Jahr?
Ich bin schon sehr nervös, obwohl mein Stück 2015 sehr gut ankam. Deshalb glaube ich auch, dass das Publikum hier doch sehr viel positiver darauf reagieren wird als beispielsweise in Japan, wo ich für UnBearable Darkness angegriffen wurde, weil das Publikum mein Stück als Angriff auf die Tradition des Butho-Tanzes verstanden hat. Sie waren sehr verärgert, haben die Performance aber nicht verlassen, weil man das, im Gegensatz zu Österreich in Japan einfach nicht tut.
Choy Ka Fai studierte am Royal College of Art in London, war Resident Artist am Künstlerhaus Bethanien in Berlin, bevor er das Tanzhaus NRW in Düsseldorf zu seinem Tanzlabor machte. Seine Arbeiten waren auf mehreren großen Festivals, wie dem Sadler’s Wells London, und dem Tanz im August Festival in Berlin zu sehen. Mit dem Stück Soft Machine besuchte er 2015 schon einmal das ImPulsTanz Festival in Wien.
Das ImPulsTanz Festival findet von 12. Juli bis 12. August in Wien statt. Dieses Interview entstand im Rahmen einer Kooperation mit dem Impulstanz-Festival.