Comics im Unterricht: Lernen zwischen Bild und Text

Comics boomen. Das Marvel Cinematic Universe sprengt regelmäßig das Box Office. Sogenannte Graphic Novels toppen die Bestsellerlisten. Comics bewegen sich mehr und mehr in die Mitte der Gesellschaft. Auch auf Schulbänken und Uni-Pulten kommt die Bildliteratur zunehmend an. Wir haben mit fünf Comicforscher*innen aus Österreich und Deutschland darüber geredet, was an Comics im Unterricht so toll ist und wie sie selbst dafür sorgen, dass Studierende und Schüler*innen den Wert der bunten Heftchen erkennen lernen.

Der Comic ist eben nach wie vor ein Medium der Nische. Wenn Comics, dann lieber »Lustiges Taschenbuch« statt Liv Strömquist, eher »Avengers: Endgame« im Kino statt Ulli Lust in Print. Oppolzer sieht im Umgang mit Bildern einen harten Bruch nach der Volksschule: »In der Volksschule sind Bilderbücher der Einstieg in die Buchwelt, die man die ganze Zeit mit den Kindern liest. Dann heißt es plötzlich, du bist zu alt dafür, du musst von dem wieder weg.« In diesem Bruch ginge sehr viel verloren, man müsste diese Kompetenzen eigentlich kontinuierlich aufbauen. Auch Serles sieht hier einen Mangel im Bildungssystem, den Comics beheben könnten: »Im Bildungssystem wird der Bildlichkeit viel zu wenig Platz eingeräumt. Die Fächer, die sich damit beschäftigen, sind reduziert, sie haben einen geringeren Stellenwert und weniger Stunden.«

Seine Fähigkeiten aus Kartographie und Illustration kombiniert Frederik von Reumont in seiner Lehre der Geografiedidaktik an der Universität zu Köln. © Frederik von Reumont

Diesen Fokus auf Bildlichkeit sieht Gesine Wegner von der Universität Leipzig hingegen kritischer. Sie forscht und unterrichtet im Bereich Amerikanistik – insbesondere über den Zusammenhang von Behinderung und Comics. »Nicht selten werden die Vorzüge des Comics auf das Visuelle reduziert«, fasst sie ihre Beobachtungen zusammen. »Es geht dann nicht um das Zusammenspiel von Text und Bild, sondern vorrangig um das Bild. Es herrscht ein Okularzentrismus, bei dem das Visuelle über den Text gestellt wird, auch darin, was es leisten kann.«

Den Universalanspruch von Bildern stellt sie grundlegend in Frage: »Bilder stellen im Unterricht keine Selbstläufer dar, die ohne weitere Zutun Wissen generieren. Sie müssen genauso wie Text interpretiert werden. Sie sind nicht universell.« Diese Interpretation der Bilder ist vom kulturellen Kontext der Schüler*innen abhängig. Deutschen Schüler*innen erschließt sich nicht jedes Bild eines amerikanischen Comics automatisch. Bildsprache ist nicht immer komplett übersetzbar und gilt auch nicht für alle gleich. Dies trifft insbesondere bei sehbehinderten Schüler*innen zu, denen sich die Bildebene zunächst verschließt. Hier bietet Wegner jedoch auch gleich eine Lösung an: »Man kann die anderen Schüler*innen einbeziehen, indem sie die Bilder, die Texte und gerade auch die Text-Bild-Kombination kürzerer Comics beschreiben. Das lebt Inklusion so, wie sie ursprünglich gedacht war. Nämlich, dass alle Schüler*innen davon profitieren und gleichzeitig angeregt werden, über Barrieren in ihrem Umfeld nachzudenken.«

Tragische Konsequenzen

Bei aller Positivität muss trotzdem erwähnt werden, dass das Unterrichten mit Comics vergangenen Herbst überaus tragische Konsequenzen hatte. Am 16. Oktober 2020 wurde der Lehrer Samuel Paty ermordet. Etwas über eine Woche davor zeigte er Karikaturen von Mohammed aus der Zeitschrift Charlie Hebdo im Unterricht. Das Thema der Lehreinheit war Meinungsfreiheit. Sein Mörder saß nicht in der Klasse, hatte keinen direkten Bezug zu Paty, der Schule oder der Klasse. Er fühlte sich und seine Religion allein durch die Tatsache, dass Paty diese Comics zeigte, so beleidigt, dass er es nötig fand, ihn zu ermorden. Ein Verdrängen anstößiger Bilder wäre für Serles jedoch keine Lösung: »Dass Darstellungen übergriffig sein können, verletzend sein können, gewaltvoll sein können, ist nicht dadurch zu bewältigen, indem wir sie vermeiden.«

Für Rauchenbacher gibt es oft »eine Betroffenheit, eine unmittelbare Angegriffenheit durch die Bildlichkeit von Comics«. Der Umgang mit dieser Betroffenheit ist eine Verantwortung, der sich Lehrende bewusst sein müssen. Von Reumont meint hierzu: »Man muss sich der eigenen Machtposition als Lehrender bewusst sein. Aufgrund der Visualität von Comics hat man immer auch ein Stück Ideologie oder zumindest Sozialisation, das im Unterricht sichtbar wird.« Oppolzer bringt die Aufgabe der Lehrenden auf den Punkt: »Unterricht ist nicht Propaganda, sondern schafft eine Lernsituation, in der Schüler*innen selbstständig einen Zugang zum Text finden, über Argumente Stellung nehmen und zuhören, was andere sagen. Über diesen Prozess finden sie zu einer eigenen Meinung, die über Stereotype und erste Reaktionen hinausgeht.«

Ein kleines Universum

Wenn diese Aufgabe aber erfüllt wird, dann eröffnet sich, wie Rauchenbacher es ausdrückt, für die Lernenden »ein kleines Universum, in dem sie Lust haben, sich einzulesen und weiter damit zu beschäftigen.« Der Zugang zu diesem Universum mag nicht immer leicht sein. Er mag für Lehrende wie Lernende mit Mühe und Schwierigkeiten durchsetzt sein. Doch die Arbeit lohnt sich. Das Universum der Comics ist bunt und vielfältig. Es ist lustig, dramatisch, experimentell und schräg. Es ist schön, traurig, ergreifend und mitreißend. Es lehrt, wie unterschiedliche mediale Formen sich gegenseitig befruchten. Es zeigt, dass Geschichten nicht immer eindeutig, nicht immer linear sein müssen. Nicht zuletzt zeigt es uns, wie wichtig es ist, nicht auf die Menschen in unseren Geschichten zu vergessen. Nicht auf die Menschen, von denen sie handeln, nicht auf die Menschen, die sie lesen, nicht auf die Menschen, die sie schreiben und zeichnen, aber auch nicht auf die Menschen, die sie unterrichten.

Die Habilitation von Markus Oppolzer »Reading Autobiographical Comics: A Framework for Educational Settings« ist 2020 im Peter Lang Verlag erschienen und online abrufbar. Comics, Karten und andere Projekte von Frederik von Reumont finden sich auf seiner Website. Marina Rauchenbacher und Katharina Serles bilden gemeinsam mit dem Autor dieses Texts das Vorstandsteam der Österreichischen Gesellschaft für Comic-Forschung und -Vermittlung, im Internet zu finden unter www.oegec.com. Zudem arbeiten beide unter www.gendercomics.net am Projekt »Visualitäten von Geschlecht im deutschsprachigen Comic«.

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