Comics im Unterricht: Lernen zwischen Bild und Text

Comics boomen. Das Marvel Cinematic Universe sprengt regelmäßig das Box Office. Sogenannte Graphic Novels toppen die Bestsellerlisten. Comics bewegen sich mehr und mehr in die Mitte der Gesellschaft. Auch auf Schulbänken und Uni-Pulten kommt die Bildliteratur zunehmend an. Wir haben mit fünf Comicforscher*innen aus Österreich und Deutschland darüber geredet, was an Comics im Unterricht so toll ist und wie sie selbst dafür sorgen, dass Studierende und Schüler*innen den Wert der bunten Heftchen erkennen lernen.

© Frederik von Reumont

Asterix in Latein, Garfield in Englisch und Aufklärungscomics gegen Drogen sowie für sicheren Sex: Diese Beispiele fallen vermutlich den meisten zu Comics im Unterricht ein. Doch besonders im letzten Jahrzehnt haben sich Comics in der Öffentlichkeit zunehmend einen Platz erkämpft. Sei es in Filmadaptionen auf den Multiplex-Schirmen oder unter dem Marketing-Begriff »Graphic Novel« im Bücherregal der Literaturkritiker*innen. Diese erhöhte Präsenz schlägt sich langsam auch an den Schulen und Universitäten nieder. Seminare befassen sich mit dem Œuvre von Chris Ware, »Watchmen« wird im Englischunterricht analysiert und Comickarten erklären Schüler*innen den internationalen Rosenhandel. Vorangetrieben wird diese Entwicklung nicht zuletzt von einzelnen Forscher*innen, die einerseits selbst mit Comics unterrichten und andererseits neue Generationen von Lehrer*innen ermutigen, es ihnen gleich zu tun.

Emotionale Authentizität

Markus Oppolzer lehrt englische Fachdidaktik an der Universität Salzburg. Bereits seit zwölf Jahren versucht er, Comics in seinem Unterricht zu verankern. Auch in seiner kürzlich erschienenen Habilitation widmet er sich autobiografischen Comics im Englischunterricht. Für ihn bieten Figuren im Comic die Möglichkeit, den Schüler*innen neue Perspektiven anzubieten: »Während ich im Unterricht nicht immer Gäste einladen kann, die Vielfalt direkt ins Klassenzimmer tragen, kann ich das mit Comics bis zu einem gewissen Grad simulieren.« Das ist für ihn besonders entscheidend, da diese Stimmenvielfalt in der Klasse heute wichtiger ist denn je: »Heutzutage ist eine Klasse keine homogene kulturelle Gruppe mehr, sondern es sind Schüler*innen mit ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen. Die Schüler*innen sollen sich in den Texten, die behandelt werden, wiederfinden, aber auch unterschiedliche Perspektiven verstehen lernen.«

Die Körperlichkeit der Figuren macht Comics für ihn besonders interessant: »Bei einem Prosatext steige ich intellektuell ein, ich stelle mir das vor und versuche das zu verstehen.« Der Comic hingegen zeigt Figuren und ihre Körper. Er zeigt, wie sie sich verändern, zeigt die Konsequenzen der Handlung. »Es geht um emotionale Authentizität«, so Oppolzer.

Auch für Frederik von Reumont sind Figuren und Visualität im Comic zentral. Als Kartograf und Illustrator lehrt er im Bereich Geografiedidaktik an der Universität zu Köln. »Für den Schulunterricht sind Comics sehr gut geeignet, weil sie die menschliche Ebene mit der faktischen Ebene verbinden können«, meint er. »Quantitative Daten können im Comic mithilfe von Figuren interpretiert werden und helfen dadurch dem Verständnis komplexer Zusammenhänge.«

Diese Komplexität sieht er – trotz aller Schwierigkeiten – als große Chance des Comics: »Gerade über die Mühe, die Geschichte aus einem komplexen Comic herauszuarbeiten, ist man sehr involviert. Man taucht in die Geschichte ein. Jemand, der Comics nicht so gut kennt, muss lernen, sich Zeit zu nehmen. Gerade wenn man Schwierigkeiten hat oder mehr Zeit braucht, taucht man umso mehr in die Geschichte ein.« Dabei hilft, dass man bei Comics sein eigenes Tempo wählen und jederzeit zurückspringen kann: »Du wirst nicht durch die Geschichte getrieben anhand von 24 Bildern pro Sekunde, die man im Film verarbeiten muss.«

Verdorbene Schundliteratur

Allerdings ist das Unterrichten mit Comics nicht ohne Hürden. Marina Rauchenbacher und Katharina Serles forschen und unterrichten am Institut für Germanistik der Universität Wien. Im Wintersemester 2020 haben sie etwa gemeinsam in einem Kurs Zusammenhänge zwischen Gender Studies und Comicwissenschaft aufgearbeitet. »Bei jedem Seminar muss man wieder neu beginnen«, erklärt Rauchenbacher. »Man kommt nie so weit, wie man eigentlich will, weil man immer wieder auf Grundsätzliches zurückkommen muss. Das zeigt auch, dass es dringend einen eigenen Lehrgang für Comicwissenschaft bräuchte und nicht nur vereinzelte Seminare.« Die Unterrepräsentation von Comicforschung im deutschen Sprachraum hat für Serles nicht zuletzt historische Gründe: »Im Nationalsozialismus und darauffolgend waren Comics ein verbotenes, zensiertes Medium. Schund- und Schmutzliteratur, die verdorben ist und verdirbt. Deswegen wurden Comics in eine Ecke gestellt, aus der sie lange nicht herauskamen.«

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