Am Anfang steht YouTube und am Ende wartet die Katerstimmung, nachdem der Erfolg und das Kokain nachlassen. „Kidd Life“ erzählt den steilen Aufstieg eines jungen Rappers, der vom eigenen Erfolg übermannt wird. Die überraschend intime Doku aus Dänemark, ist die Perle der diesjährigen Poolinale.
Nachwuchsmusiker aus aller Welt kennen das Spiel: das selbst gedrehte Video zum selbst gemachten Song wird zusammengeschustert und auf Yout ube hochgeladen. Die Erfahrungswerte sind gering, die Erwartungen niedrig. Manchmal aber doch entstehen Hits genau so.
Dieses mal befinden wir uns in einem abgewetzten Heimstudio irgendwo in Kopenhagen. Die Protagonisten sind junge Männer Anfang 20, rauchen Gras, trinken Bier und vertreiben sich die Zeit mit Hip Hop. Ihr erstes richtiges Baby heißt „Kysset med Jamel“. Und der junge Regisseur Andreas Johnson war dabei, als der Rapper Kidd und seine Freunde die ersten Klickzahlen zusammengezählt haben. Dabei ist Johnson und seinen gefilmten Freunden ein großer Glücksfall gelungen. Denn praktisch über Nacht stand den jungen Dänen eine Erfolgswelle ins verrauchte Zimmer, die nicht enden wollte – vorerst.
Vom Bordstein zur Premierministerin
„Kysset med Jamel“ wird binnen Stunden zum Internethit und Kidd ganz schnell zum neuesten dänischen Superstar. Die Kamera hält die ganze Zeit über drauf, nimmt alles mit. Die Hitsingle handelt von einem sexhungrigem Groupie, dass mit ihm und seinen Freunden ins Bett steigen will (Lyrics siehe hier auf allthelyrics.com). Auf die EP „Mine Venner Snakker EP“ folgt bald das Album „Greatest Hits 2011“. Die basslastigen Beats und die reduzierten Raps orientieren sich unter anderem an US-amerikanischen Trap-Vorbildern. Das zündet auch bei den trendbewussten Urbanen aus Nørrebro, welche die anhaltende, europaweite Begeisterung für basslastigen Hip Hop selbstverständlich mittragen. Doch das Publikum wird größer und jünger.
Die Themen, mit denen sich Kidd und sein Umfeld beschäftigen sind zwar gängig, aber erfolgsversprechend: Sex, Drogen, Coolness und Distinktion, Leichtsinn und Provokation. Für die kreischenden Teenager, die nun auch ihre Konzerte ausverkaufen sind sie notwendige Unterhaltung. Selbst die Kinder der dänischen Premierministerin gehören zu den Fans von Kidd.
Die Musik fungiert auf beiden Seiten als Entertainment und Ventil. Mit Cheff Records wird bald das eigene Label gegründet. In der Socialmedia-Gegenwart ist DIY bekanntermaßen die Pflicht zur Kür. Der Traum soll gelebt werden und das kommende Leben finanzieren. Ernst genommen wird dennoch wenig und wichtige Entscheidungen werden nicht selten aus dem Bauch heraus getroffen. Das Aufbegehren macht Spaß, während die Berufung plötztlich zum zehrenden Beruf wird. Die Karriere galoppiert mit Kidd und seinen Jungs durch die Medienlandschaft Dänemarks, Highlights und Tiefpunkte inklusive. Irgendwann reicht es dem Rapper, er will nicht nur am Unfug der Anfangstage gemessen, sondern als Künstler ernst genommen werden.
Taumelnde Teenager
Mit seiner Handkamera kommt Johnson den Rapstars sehr nah und offenbart einen durchwegs überraschenden Dokumentarfilm. Wir sehen Kidd wie er feiert, begeistert und überreizt ist, wie er pöbelt oder kokst und wie er morgens in ein Waschbecken kotzt. Wir sehen aber auch wie er sich als Künstler in Frage stellt, wie er am Medieninteresse verzweifelt, oder wie er nachdenklich davon berichtet, dass er nun schon zum zweiten Mal ohne Kondom mit einem Groupie geschlafen habe. Wir sehen taumelnde Teenager, die vom Prekariat in den Glamour katapultiert werden und Künstler, die von den Medien gefressen und von den Zwängen der Selbstvermarktung überfordert werden.
Genauso sind wir dabei, wenn die Protagonisten an ihren Erfahrungen wachsen, reifen und ihre Schlüsse für eine selbstbestimmte Zukunft ziehen. Die Grenze zwischen Konzertfilm, Backstage-Video und Cinéma vérité verschwimmen bei „Kidd Life“ zu einem intimen Künstlerporträt einerseits und einem aufschlussreichen Coming-of-Age-Drama andererseits. Exemplarisch wirkt Rapper Kidd, wenn sein Übermut, seine Energie und sein künstlerischer Eifer auf die Logik einer Popindustrie prallen. Erwachsen werden, sich selbst verwirklichen und gleichzeitig dem Erwartungsdruck trotzen – „Kidd Life“ ist eine sehenswerte Reizüberflutung und ganz nebenbei ein außergewöhnlicher Gegenwartsbericht.
"Kidd Life" ist am 19. und 20. April bei der Poolinale in Wien zu sehen.