Konzerttickets werden immer teurer, die Gagen von Musiker*innen dafür immer schmäler. Angesichts von Inflation und ungewissen Publikumszahlen ist es dringend an der Zeit, über Livemusik zu sprechen. Denn was wäre eine Welt ohne Konzerte?

Kann irgendwas mit dem euphorischen Gefühl mithalten, wenn der Lieblingssong live durch den Raum wummert und man sich gemeinsam mit anderen Beseelten im Takt verliert? Von Ed Sheeran, damals mit dreizehn Jahren eingequetscht zwischen schreienden Jugendlichen, bis hin zu Chelsea Wolfes übernatürlich anmutenden Klängen habe ich wenige Konzerte, auf denen ich gewesen bin, vergessen. Sie sind – wie das Theater oder das Reisen – eine jener Erfahrungen, die nur im Moment ihren Sinn entfalten können.
Nach der Pandemie sind die Umsätze von Ticketanbieter*innen durch die Decke gegangen. Große Popstars wie Beyoncé oder Taylor Swift knacken reihenweise Rekorde, wenn sie auf Welttournee gehen, die größten Arenen reichen für einen derartigen Ansturm nicht aus. Doch in starkem Kontrast zu diesen bekannten Erfolgsgeschichten ist Livemusik insgesamt eine Kunst, die auf zunehmend wackligen Beinen steht. »Momentan schaut es so aus, als ob man mit Livemusik entweder Millionen oder gar nichts verdient. Und dazwischen wird es für alle Artists schwer«, erzählt die Wiener Künstlerin Leonie Schlager aka The Zew im Interview.
Für Fans wird der Konzertbesuch immer teurer. Dafür sorgen nicht nur steigende Produktionskosten und Inflation; Schuld daran ist im oberen Segment auch das Konzept des Dynamic Pricing, also der nachfrageorientierten Preisgestaltung. Statt eines Fixpreises wird bei großen Ticketanbieter*innen wie Eventim oder Ticketmaster nämlich je nach Andrang ein möglichst hoher Preis abgeschöpft. Bei großen Namen hat das teilweise bereits dazu geführt, dass Tickets für mehrere Hundert, sogar mehrere Tausend Euro verkauft und anschließend wiederverkauft wurden. Michael Rapino, CEO von Live Nation, führte dazu 2019 in einem vom Investmentriesen Goldman Sachs veranstalteten Talk besonders »sympathisch« aus: »Wir sehen dort (im Wiederverkauf; Anm.), dass die Nachfrage trotz hoher Preise stark bleibt. Unsere Ticketpreise haben also noch Luft nach oben.«
Dieses Vorgehen läutet eine neue Ära für Konzertbesuche und -besucher*innen ein. Fans müssen sich nicht nur weiterhin beeilen, um ein paar der begehrten Plätze zu ergattern – künftig könnten Liveerlebnisse überhaupt ausschließlich für gewisse Schichten leistbar sein. Konzerte werden damit zum Luxus, statt allgemeiner Teil des Aufwachsens und Lebens zu sein. Bands wie die Rolling Stones spielen nach dieser Logik in Zukunft nur noch vor wohlhabenden Banker*innen und denen, die ein halbes Jahr auf ihr Ticket sparen. Eigentlich könnte man sich von seinen Idolen erwarten, dass diese mit einem Vermögen, das locker bis zum Lebensende reichen wird, keine Verträge unterschreiben, die solche Umstände ermöglichen. Beim Geld hört die Fanverbundenheit aber anscheinend schnell auf.
Schmerzhafte Absagen
Eine Konsequenz aus den steigenden Preisen ist auch, dass Fans weniger Budget für andere, kleinere Konzerte haben. Insgesamt werden sowieso zusehends weniger Tickets verkauft, gerade im Vergleich zu den Jahren vor der Pandemie. Artists verschiedenster Bekanntheitsgrade sagen immer häufiger bereits geplante Tourneen ab. Statt aber mit Floskeln wie »produktionstechnischen Gründen« abzulenken, entscheiden sich mittlerweile mehr Künstler*innen dazu, systematische Probleme des Livemusikmarkts offen anzusprechen. Die österreichische Singer-Songwriterin Avec (mit immerhin 170.000 monatlichen Hörer*innen auf Spotify) postete Anfang des Jahres auf Instagram die Absage einiger Konzerte. Die Begründung: enorm hohe Produktionskosten, und dafür seien zu wenige Tickets verkauft worden.
Gleichzeitig sind Künstler*innen jedoch mehr denn je auf Einnahmen aus Konzerten angewiesen. Denn durch Streaming werden weniger physische Tonträger verkauft, was für viele ein wichtiges finanzielles Standbein eliminiert hat. Das durch Livemusik auszugleichen oder mit dieser überhaupt einen Gewinn zu erzielen, ist für Bands und Künstler*innen allerdings schwierig. Der Begriff »The Cost of Touring Crisis« etabliert sich zunehmend, nicht nur, weil die Preise für Transport, Unterkunft und Essen rasant gestiegen sind.

Verlustgeschäft
Die britische Tageszeitung The Guardian analysierte letztes Jahr die Kostenaufstellungen von zwölf Bands, die als Headliner Konzerte mit Kapazitäten von 150 bis 2.500 Personen spielten. Das Ergebnis: Fast alle von ihnen haben ihre Tourneen mit Verlusten abgeschlossen. Ein volles Haus hat demnach wenig Aussagekraft darüber, ob die bejubelte Band sich von ihrer Gage überhaupt etwas auszahlen kann. Bei Auftritten als Vorband sind wiederum noch geringere – wenn überhaupt vorhandene – Honorare zur Norm geworden. Merchverkäufe und die Unterstützung von Fans sind da existenziell.
Petzi Benes und Valentin Seißler, Mitglieder der Indierock-Band Yatwa, erzählen von ähnlichen Erfahrungen: »Wir sind froh, wenn unsere Auftritte kostendeckend sind. Die Anzahl der Bandmitglieder ist eine echte Herausforderung. Dabei sind wir nur zu viert. Bei Fair-Pay-Regelungen werden wir manchmal abgelehnt, weil die Veranstaltenden es sich nicht leisten können, uns einzuladen. Damit verdrängt man natürlich bestimmte Genres aus der Musiklandschaft. Vieles andere ist halt einfacher, als für eine ganze Band mit Equipment zu sorgen.« Aber nicht nur gewisse Genres werden benachteiligt: Unter derart prekären Bedingungen ist ein Musiker*innenleben für Menschen mit Kindern oder aus Arbeiter*innenfamilien nahezu unmöglich.
Zudem zeigen sich verstärkt Tendenzen dazu, die Musik vielleicht doch lieber vom Band abzuspielen, den Auftritt zu »technologisieren«, nur eine*n Sänger*in zu engagieren oder im Line-up auf weniger bekannte Newcomer*innen zu verzichten. Umso wichtiger ist finanzielle Unterstützung, die aus Fördertöpfen und Fundraisingprojekten kommt und sich nicht nur auf die Wirtschaftlichkeit der Kunst konzentriert. Der Job als Musiker*in war noch nie dafür bekannt, besonders sicher zu sein. Aber wollen wir in Zukunft wirklich nur noch Songs von denen hören, die das Glück haben, sich mit Erbe, Eigentumswohnung oder einem Zweitjob mit ausreichend »Freizeit« die Karriere finanzieren zu können?
»Es ist natürlich ein Auspendeln«, bestätigt The Zew. »Ich mache keine Gigs, die rein zu Promotionzwecken sind. Für mich ist es okay, wenn mich dadurch dann eben ein paar Leute weniger kennen. Bei manchen Angeboten muss ich nicht einmal darüber nachdenken: Es ist allen anderen Musiker*innen gegenüber nicht solidarisch, unterbezahlte Gigs anzunehmen. Die Umstände sind für niemanden fair – egal, ob bekannt oder nicht.«
Artistmanager Dan Potts weist im erwähnten Artikel in The Guardian auf einen weiteren, gerne verzerrten Punkt der Problematik hin: »Künstler*innen gehören zur größten Gruppe von Arbeitgeber*innen (!) der Industrie.« Wer sonst bezahle Tourmanager*innen, Crew, Reise, Unterkunft, Produktion und Equipment? Doch das zu leisten, wird sogar für bekannte Acts immer schwieriger: Selbst ein Vertrag bei einem Majorlabel sowie prestigeträchtige Auftritte würden Probleme, die Miete zu zahlen, ganz und gar nicht ausschließen, führt Lily Fontaine, Sängerin der Band English Teacher, weiter aus.
»Das zeigt gut, wie Musiker*innen sich eigentlich für ihre Leidenschaft verausgaben«, meinen Yatwa. »Der Musikmarkt weiß, dass wir nicht nur fürs Geld mitmachen, sondern aus Überzeugung. Das kann man ausnutzen.« Sie hätten im Laufe der Zeit gelernt, sich mit anderen unabhängigen Projekten zusammenzutun, sich gegenseitig einzuladen, Abende gemeinsam zu gestalten. Ein kleiner Pfad vorbei an Gatekeeping und finanziellem Risiko, der nur durch persönliche Begegnung möglich wird – hinter der Bühne, beim Auf- und Abbau sowie zwischen den Sets oder bei Showcase-Festivals. Man könnte das auch ein Minimum an Wertschätzung für alle nennen.
Zumindest die Stadt Wien hat erkannt, dass die Förderung einer lebendigen Kunst- und Kulturlandschaft das Stadtleben grundlegend zum Positiven dreht, indem sie für Gefühle der Zugehörigkeit, aktive Viertel und gesteigerten Tourismus sorgt.

Niemand will zahlen
Doch von der Stadt geförderte Gratisfestivals belasten als potente Konkurrenz wiederum Clubbetreiber*innen. Einerseits sind sie zwar ein großartiges Angebot, um den Zugang zu Kultur für alle zu ermöglichen. Andererseits verstärken sie die Annahme, dass man für Kunst nichts zahlen müsse. Wie Gitarrist Marc Ribot einmal im Interview mit dem Magazin Guernica sagte: »Sie (die Musikindustrie; Anm.) bricht heute zusammen, weil niemand für Dinge bezahlen will, die man auch ganz einfach gratis genießen kann.«
Wo sollen die Stars von morgen anfangen, wenn kleine und mittlere Konzerte sich nicht mehr rentieren? Wie lange können Künstler*innen noch Verluste einspielen, bis das Kartenhaus zusammenbricht? »Livekonzerte sind das, was dir künstliche Intelligenz nicht geben kann«, meint Valentin Seißler von Yatwa. »Es klingt so banal, aber es kommt dabei aufs Zwischenmenschliche an. Musik, die andere berührt und die Kommunikation ist.« Konzerte sind ein gemeinsames, körperliches Erlebnis. Sie bedeuten loslassen dürfen, schreien, hüpfen – aber ohne die Nachbar*innen dabei aus dem Weg zu stoßen. Dieser Gemeinschaftssinn sollte sich nicht zuletzt auch in den Gagen und der Wertschätzung für die Bands ausdrücken, denen wir durchtanzte, pulsierende Nächte zu verdanken haben. Sonst bleibt irgendwann nur noch die Wahl zwischen 300-Euro-Stadiontickets oder zu Hause zu sitzen. Lara Cortellini
The Zew hat letztes Jahr das Minialbum »Zazel Wants to Fly« veröffentlicht. Am 10. Mai ist sie in Wolfsberg im Container 25 live zu sehen. Yatwa haben mit ihrem Album »Parallel Lines II« 2024 ebenfalls neue Musik veröffentlicht. Ihr nächstes Konzert findet am 5. Juni im Wiener Chelsea statt.
Dieser Text ist im Rahmen des The-Gap-Nachwuchspreises für Musikjournalismus in Kooperation mit dem Festival Waves Vienna entstanden.