Nach den Wiener Behörden nimmt nun die Szene Stellung zu Hass-Graffiti: Die einen halten sich raus, andere gehen in die Offensive gegen rechts.
Ende Mai wurde ein islamischer Währinger Gebetsraum zum zweiten Mal Ziel einer Attacke. Auf die Außenmauer der Stätte schmierten Unbekannte in roter Farbe „MOSLEMABSCHAUM“, wie die Bezirkszeitung schrieb.
Wie wir berichteten, nehmen mit der wachsenden, sich immer stärker durchmischenden Bevölkerung Hass-Graffiti auch in anderen Sprachen und mit weniger bekannten kulturellen Referenzen zu. Der Sicherheitskoordinator für Ottakring und Hernals, Polizist Siegfried Lachner, will illegale Tags und Writings allgemein verhindern. Dafür dokumentiert er sie in einem Pilotprojekt.
„Einfach ignoriert“
Stefan Wogrin vom Writing-Archiv spraycity.at ist so etwas nicht differenziert genug. Per E-Mail schreibt er The Gap: „Bei hetzerischen Parolen und Graffiti Writing handelt es sich um zwei grundlegend unterschiedliche Formen von Graffiti, die oft fälschlicherweise in einen Topf geworfen werden.“
Klassischen Writern geht es demnach weder um rechte noch linke Slogans, sondern um den Fame, der mit der Verbreitung ihrer Signatur verbunden ist. Wogrin kennt aber durchaus andere Beispiele. Bereits Mitte der 1980er Jahre hätten „einige Parolensprüher“ in Wien für große Aufregung gesorgt. Mit der eigentlichen Graffiti-Writing-Szene hätten sie allerdings nichts zu tun gehabt. Heißt das, hetzerische, rassistische und sexistische Schriftzüge berühren Writer gar nicht?
Doris Statzer vom Kulturverein Levin Statzer Urban Art sagt, Hass-Graffiti würden von Graffiti-Malern „wenig wahrgenommen, manchmal übermalt oder kommentiert, oder einfach ignoriert.“ Meistens kämen diese Hassbotschaften auch gar nicht aus „der eigentlichen Graffiti- oder Street-Art-Szene,“ sei für diese darum auch uninteressant.
Wogrin ergänzt, der gesellschaftspolitische Aspekt sei „eher der, dass sich die Writer die Freiheit herausnehmen ihre Bilder dort zu malen, wo sie es selbst für richtig halten.“ Demzufolge ließen sich Crews selten politisch einordnen, erklärt unser Gesprächspartner. Der berüchtigte Sprayer Puber etwa hatte zum Nazi-Ruf der ihm nahen Crew Ulfs beigetragen, als er Videos seiner Aktionen mit „Mein Kampf“ betitelte.
„Es stimmt schon,“ meint der Wiener Writer Damage gegenüber The Gap, „Writing ist ein politischer Akt, auch wenn das vielen Writern einfach nicht bewusst oder aber völlig wuascht ist.“ Die Szene sei eben auch nur ein Abziehbild der Gesellschaft, sagt er. Als solches sei sie „trauriger- aber wenig verwunderlicherweise durchsetzt von kleingeistiger Schrebergarten-Mentalität, Rassismus, Sexismus und sämtlichen anderen -ismen.“ Warum sollte die Szene auch anderes reagieren, wenn „Nazirülpser am Stammtisch, auf der Straße oder im Internet“ ignoriert oder, schlimmer noch, goutiert würden, fragt Damage zurück.
Wenn vielen Writern Politik nicht wichtig genug ist, um auf Hass-Graffiti zu reagieren, müssen wir an den Anfang zurück. Wie reagieren migrantische Communities?
Fußball und Vaterland
Wie in der Mehrheitsgesellschaft äußern sich die meisten Kulturvereine mit Balkan-Background nicht politisch, geschweige denn durch Graffiti. Es sei denn, es geht um Fußball. Die in Wien aktiven Fans der größten serbischen und kroatischen Klubs gehören zu den reaktionärsten europaweit. Mit ihren militanten Sprüchen prägen sie Mauern im Ottakringer Brunnenviertel ebenso wie in Simmeringer Straßen.
Darunter sind die „Helden“, Delije, die größte Fangruppe von Roter Stern Belgrad. Oft zeigen ihre Stencils und Tags einfach ein kyrillisches D neben einem S, was für Delije Sever steht, Helden Nord. Dahinter steckt die Nordtribüne im Heimatstadion in Belgrad.
Die Delije wurden 1989 gegründet. Manchmal nennen sie sich selbst „четници/četnici“ (Tschetniks). Der Begriff bezeichnet bewaffnete Haufen, sogenannte čete. Im Zweiten Weltkrieg wie auch in den 1990ern trugen zahlreiche serbisch-nationalistische Truppen diesen Spitznamen. Dazu gehörten etwa die monarchistische „Jugoslawische Armee im Vaterland“ (JVuO) von Dragoljub Mihailović und die faschistischen Freischärler des Serbischen Freiwilligen-Korps (SDK) unter Dimitrije Ljotić. Beide Gruppen kämpften vor allem gegen die kommunistischen Partisanen unter Josip Broz, genannt Tito. Dafür verbündeten sie sich zeitweise mit den Italienern, Nazis und dem NDH-Staat. NDH war der Name des von den kroatischen Ustaše geführten Marionettenstaats Hitlers und Mussolinis.
Die Helden liefern sich in ganz Wien Revierkämpfe mit den seit 1970 existierenden „Гробари/Grobari“. Das sind die „Totengräber“ rund um Partizan Belgrad. Writings einer Gruppe werden schnell von der anderen gecrossed, also übermalt oder mit eigenen Parolen besprüht, ergänzt, verfremdet. Dabei schrecken beide nicht vor ärgsten Herabwürdigungen ab. Der extrem nationalistische Geist ist in beiden Fangruppen tief verwurzelt. Wie die folgenden Fotos aus Simmering zeigen, nutzen die Tschetniks etwa antiziganistische Sprüche. Sie spielen damit auf die schwarze Vereinsfarbe von Partizan Belgrad an. Die Totengräber wiederum neigen hier zu gewaltverherrlichenden, sexistischen Inhalten.
Wie die Bilder zeigen, geht es nicht nur darum, welcher Klub der bessere ist. Diese Ultras wetteifern auch darum, welches Team das „echt serbische“ ist. Neben Writings beider Fanklubs taucht auch immer wieder ein mittelalterliches Symbol auf: Das serbische Kreuz. In den vier Winkeln des Kreuzes ist je eine Feuerstähle zu sehen, die oft als kyrillisches S, gleich einem lateinischem C gelesen werden. Menschen serbischer Herkunft interpretieren es daher als Wahlspruch „Samo Sloga Srbina Spašava“, zu Deutsch „Nur die Eintracht rettet den Serben“. Vermutlich sind die Feuerstählen aber an den griechischen Buchstaben Beta (β) angelehnt. Diese vier β werden mit einem byzantinischen Motto verbunden. Es lautet übersetzt: „Der Kaiser der Kaiser herrscht über alle Kaiser.“
Das serbische Kreuz ist seit Jahrhunderten immer wieder als Staatswappen in Gebrauch. Fürsten nutzten es ebenso wie die Sozialistische Republik Serbien als Teilstaat Tito-Jugoslawiens. Auch heute gehört es fix zum Wappen der Republik Serbien. Das Serbenkreuz hatte also immer schon eine nationalistische Bedeutung, aber nicht zwingend eine rechtsextreme. Das ist das Fazit der Antifa15, die im Mai eine umfangreiche Broschüre über rechte Graffiti in Wien herausgebracht hat. Die Gruppierung definiert sich selbst als linksradikal und ist selbst mit Writings in Wien-West vertreten.
Kroatische Ultras stehen den Serben in Sachen Nationalismus übrigens in nichts nach: In Wien operieren lose organisierte Ableger der „Bad Blue Boys“ (BBB) von Dinamo Zagreb und „Torcida Split“, Anhänger von Hajduk Split. Alle vier Fanklubs beflegeln sich in Österreichs Hauptstadt mit Spraydosen und Markern. Bei den kroatischen Fans taucht immer wieder ein Keltenkreuz oder das Handgranaten-U auf, das Logo der Ustaše. Manchmal steht auch deren Gruß dabei: „Za dom spremni“, „Für die Heimat bereit.“
„Hass auf Nazis, ganz einfach“
Eine Form des Widerspruchs gegen alle hetzerischen Parolen ist natürlich, ihnen keinen Raum zu lassen. Writer Damage sagt: „Es gibt sehr wohl auch Widerstand dagegen, sei es durch crossen oder einfach aufs Maul.“ Damage ist da kompromisslos. Seine Motivation lautet: „Hass auf Nazis, ganz einfach. Ich will ja selbst nicht diese Scheiße an den Wänden oder sonst wo sehen müssen, also weg damit! Ich würde auch niemandem raten, in meiner Gegenwart rassistischen Dreck zu malen. Mit gebrochenem Finger lassen sich Dosen recht schwer halten, hab ich mir sagen lassen.“
Die Antifa15 geht es gewaltfrei an, bevorzugt Crossen. Sie ruft ihre Leserinnen und Leser dazu auf, sich zu überlegen, „wie solche Botschaften am besten verschwinden oder unkenntlich gemacht werden können!“ Die Linken verweisen auch auf Pickerl, die man auf rechten Stickern und Writings anbringen kann. Gleichzeitig warnt die Gruppe davor, dass „in einer Welt des Privateigentums“ sowohl das Besprühen als auch Bekleben fremder Wände als Sachbeschädigung gilt.
Gerne hätten wir auch mit der ZARA, dem kroatischen Verein NAPREDAK und dem serbischen Verein JEDINSTVO das Thema fremdsprachige Hass-Graffiti besprochen. Bis zum Redaktionsschluss für diesen Beitrag erhielten wir auf unsere Anfragen aber leider keine Antwort.
Übrigens: Das Handgranaten-U und der KZ-Spruch, die Aufhänger des Beitrags letzte Woche waren, wurden von Wiener Linien bereits übermalt.
Hintergrundinfos zum Abschnitt über Fußball verdankt der Autor Dario Brentin sowie der Broschüre „Just another tag on the wall?“ der Antifa15. Die Broschüre beschäftigt sich ausführlicher mit Ultras und darüber hinaus mit klassischen Nazis, den türkischen „Grauen Wölfen“ und islamischem Fundamentalismus. Das Büchlein liegt kostenlos in vielen linken Lokalen aus und ist auch online abrufbar.
Hinweis: In einer frühen Version des Artikels wurde behauptet, Puber sei Mitglied der Ulfs gewesen. Dies stimmt nicht, trotz bekanntermaßen gegenseitiger Sympathie.