»Cyberpunk 2077«: Das wird nix mehr

»Cyberpunk 2077« hat großartige Ansätze und spielt sich selbst auf der PS4 streckenweise faszinierend. Aber dieses Spiel ist mehr als nur verbuggt.

Das punkigste an CD Project REDs vermeintlichem Meisterwerk ist die Vorgehensweise des Managements. So viel Scheiß-drauf-Attitüde ringt fast ein bisschen Anerkennung ab, ist letztlich aber doch nur eine weitere Ohrfeige, die die Videospielindustrie ihrer immer noch so treuen Kundschaft verpasst.

»Cyberpunkt 2077« ist kein fertiges Produkt. Nicht auf PC und den neuen Konsolen und noch viel weniger auf den alten. Was hier fehlt sind nicht nur Feinschliff und Bug-Fixes, wie man uns glauben machen will. Vielmehr entsteht der Eindruck – den Recherchen mehr und mehr belegen – dass schon lange vor Release klar war, dass sich ein großer Teil des versprochenen Spiels in der vorgegebenen Zeit selbst inklusive der Verschiebungen nicht umsetzen lässt. Im Internet machen Videos von verschwindenden Autos, schwebenden Barbesuchern und Avataren auf Raketenstiefeln die Runde. Aber tatsächlich scheitert das Spiel an grundlegenderen Fehlern wie der weitgehenden Abwesenheit von Gegner-KI.

Es ist elementarer Bestandteil des Cyberpunk-Genres, dass Menschen in diesen Erzählungen auf technische Prothesen vertrauen und so ihre Körper verstärken und zusätzliche Fähigkeiten erwerben. Naheliegend also, dass Gegner im Spiel gehackt werden können, um ihnen über die Prothesen Schaden zuzufügen. Blöd nur, dass sie gegen diese Art der Angriffe fast vollständig machtlos sind. So lassen sich ganze Gebäudekomplexe leerräumen, indem man auf das Kamerasystem zugreift und Raum für Raum alle Feinde mit Hackangriffen ausschaltet. Die Armen laufen zwar gelegentlich nervös im Kreis, aber niemand macht sich ernsthaft auf die Suche nach dem Ursprung des Angriffs.

Darüber hinaus wird beim Herumprobieren schnell klar, dass sich einzelne Gegner nur in bestimmten, recht kleinen Arealen bewegen können. Da wird eine offene Tür zur magischen Hürde und vermeintlich gefährliche Gegner zappeln wie Mäuse in der Falle. Klar gibt es auch andere Wege, die Missionen in Angriff zu nehmen, aber weder lautlos noch mit glühenden Pistolenläufen können die Kampfsequenzen mit der Konkurrenz mithalten. Und Nahkampf ist hier ohnehin chaotisches Hack-and-Slay.

Stark ist allerdings das Voice-Acting und auch die Dialoge sind über weite Strecken toll geschrieben (wenn man mit großen Videospielen und nicht mit Serien und Filmen vergleicht). Auch die Geschichten sind durchaus erzählenswert. Allerdings zeigt sich auch hier, wie sehr das Publikum geblendet und die eigenen Möglichkeiten vom Management überschätzt wurden: Die ersten Missionen, die in Ausschnitten schon in der Vorberichterstattung zu sehen waren, sind in Sachen Inszenierung und Handlungsfreiheit der Höhepunkt des Spiels. Danach ist fast alles ziemlich gewöhnlich.  

»Cyberpunk 2077«: Offene Spielwelt als leeres Versprechen

Fast gänzlich gescheitert ist der Open-World-Anteil des Spiels, der in der Erwartungsliste der Fans wohl weit oben rangierte. Night City, der Kern der Spielwelt, ist stimmungsvoll und in ihrer verwobenen Struktur von Gassen, Stadtautobahnen, Hochhäusern und Hinterhöfen glaubwürdig. Aber sie lädt nicht zum freien Erkunden ein, weil nur die vorgegebenen Wege gut begeh- und fahrbar sind; weil das Leben auf der Straße viel reduzierter aufgebaut ist als es anfangs scheint und weil die oben beklagte KI nicht einmal auf die vorhersehbarsten Irritationen – etwa ein auf der Straße geparktes Fahrzeug – reagieren kann.

Abhängig von den mitgebrachten Erwartungen kann »Cyberpunk 2077« einen Teil der Spielenden wohl gut unterhalten. Und in einigen Details kann es auch begeistern. Aber hier wurde bewusst und mit Vorsatz geblendet. Hier wurden Informationen vorenthalten und falsche Versprechungen gemacht. Und selbst in den Entschuldigungen nach dem Launch wird noch so getan, als wären übersehene Bugs das Hauptproblem des Spiels. Tatsächlich deutet aber vieles darauf hin, dass viele Grundmechaniken schon recht früh nicht mehr fertig entwickelt, sondern mit Gewalt auf ein kläglich funktionierendes Mindestmaß hingebogen wurden. „Coming when it’s ready“ war der Ankündigungsslogan, für den CD Project RED über Jahre gefeiert wurde. Auch wenn Vorbestellungen das finanzielle Debakel verhindert haben und erstaunlich wohlwollende Wertungen durchs Netz geistern, hat das Studio die damit angedeutete Vertrauenswürdigkeit und Community-Nähe exekutiert.

»Cyberpunk 2077« ist bereits für PC und Konsolen erschienen. Dieser Test basiert auf der PS4-Version des Spiels.

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