»Der Mensch ist guad, aber die Leit, die san schlecht.« Wie man ernste Themen humorvoll aufarbeitet, Unsicherheiten aufbricht und zum Denken anregt, zeigt die neue Produktion »Cypressenburg«. Geschrieben von Golda Barton, inszeniert von Isabelle Redfern und inspiriert von Johann Nestroys »Der Talisman«, feierte das Stück am 12. April Premiere im Kasino am Schwarzenbergplatz. Wir trafen die Regisseurin zum Interview.
Nach den ersten 20 Minuten war klar, dass heute gelacht wird. Ein Stück, das gerade für eine Burgtheater-Produktion außergewöhnlich divers besetzt ist und das sich um Themen bemüht, die generell außergewöhnlich selten vorkommen, zieht auch ein außergewöhnliches Publikum an. Während der Premiere von »Cypressenburg« letzten Freitag merkte man schnell, dass die Leute hungrig nach Performances sind, in denen sie sich nicht nur wiedererkennen, sondern auch ehrlich lachen können. Selten habe ich erlebt, dass bereits während einer Inszenierung begeisterter Applaus aufbrandet. Aber was sonst selten ist, wird bei dieser Inszenierung eben zur Normalität.
Obwohl es um Rassismus, Ausgrenzung, Identitätsprobleme und Sexismus ging, ist »Cypressenburg« voll von Humor und schafft es dabei, sich nicht über Menschen lustig zu machen, sondern über die paradoxen und frustrierenden Aspekte von Diskriminierung mit den Menschen zu lachen. Aber nicht nur das Publikum hat sich über die teils wunderbar bissigen Aussagen gefreut, man hatte das starke Gefühl, dass auch die Schauspieler*innen Spaß hatten. Wir haben die Regisseurin Isabelle Redfern im Vorfeld zu einem Gespräch gebeten.
Isabelle, du lebst eigentlich in Deutschland, arbeitest aber nicht zum ersten Mal in Wien und auch nicht zum ersten Mal am Burgtheater. Wann und wie hat es dich denn bislang nach Wien verschlagen?
Isabelle Redfern: Beruflich bin ich das erste Mal 2016 nach Wien gekommen, als das Burgtheater das Stück »Geächtet« vom pakistanisch-amerikanischen Autor Ayad Akhtar aufgeführt hat. Um eine Rolle zu besetzen, brauchten sie eine Schwarze Frau, hatten aber keine im Ensemble.
Ist das zu dem Zeitpunkt öfter vorgekommen?
Ja. Das Lustige ist, dass ich in dem Stück auch als Gast in der deutschen Erstaufführung am Schauspielhaus Hamburg gespielt habe, weil die ebenfalls keine Schwarzen Schauspieler*innen im Ensemble hatten. Unter dem jetzigen Intendanten vom Burgtheater, der damals in München am Residenztheater war, habe ich dann dort dieselbe Rolle von einer Bekannten von mir übernommen, weil auch die keine andere Schwarze Schauspielerin am Haus hatten. Und schließlich habe ich es eben hier in der österreichischen Erstaufführung gespielt.
Dein Stück Cypressenburg steht ja mit einem komplett nicht-weißen Ensemble in deutlichem Kontrast zu diesen Erfahrungen. Was war deine Motivation dahinter?
Nachdem ich in einigen Stücke zum Thema Rassismus gespielt habe, wollte ich wieder eigene Sachen machen und auch selbst inszenieren. Jetzt habe ich zwei Projekte gemacht, in denen es um die Perspektive einer BPOC-Person auf die weiße Gesellschaft geht, »Sistas!« und »Cypressenburg«. Ich wollte aber auf gar keinen Fall Stücke machen, bei denen es um Opfer geht, sondern etwas Empowerndes, etwas Lustiges, bei dem man das Gefühl hat, dass es um uns geht. Nicht darum, wie schlecht es uns geht, sondern darum, dass wir halt unsere eigene Perspektive haben, dass wir mit dieser Welt klarkommen und dass man da auch mit Humor arbeiten kann.
Es ist selten mit so einem diversen Ensemble arbeiten zu können, wie ist das für dich? Fühlt sich das anders an?
Absolut. In den Stücken zum Thema Rassismus, in denen ich bisher mitgespielt habe, wurde immer wieder diskutiert, wie man das darstellen soll. Ganz oft muss man dann als BPOC-Person entweder Rassismusopfer spielen oder sich irgendwie dazu äußern. Wenn alle anderen weiß sind, ist das ziemlich mühsam. Man hat dann den Moment, wo man sagt: »Das finde ich nicht cool dargestellt.«Da wird man natürlich erstmal mit Augenrollen konfrontiert, weil die anderen finden, man sei zu kompliziert. Aber gleichzeitig sind wir die einzigen Personen, die mehr zu dem Thema wissen. Das alles fällt klarerweise weg, wenn du mit Leuten zusammen spielst, die die gleichen Storys haben. Am meisten hat mich überrascht, wie extrem viele Ähnlichkeiten es gibt. Wie krass das ist, merkt man, wenn wir alle zusammensitzen, alle schon lange in diesem Theaterberuf sind und alle sagen: »Ich habe noch nie in so einem Cast gespielt. Ich war eigentlich immer die einzige nicht-weiße Person.« Das verbindet. Natürlich gibt es trotzdem total unterschiedliche Meinungen: Was darf man sagen, was darf man nicht sagen? Was findet man noch lustig, was nicht? Was hat man selbst für Erfahrungen, Probleme oder Vorurteile? Trotzdem gibt es einen großen gemeinsamen Nenner.
Um was geht es dir bei dem Stück?
Für mich ist es zunächst einfach einmal schön, ein BPOC-Ensemble zu sehen, weil das sehr selten ist. Ich finde es cool, dass sie alle singen, spielen, tanzen und lustig sind, dass die Figuren auch ein bisschen crazy sein dürfen und dass man mit den Themen Diversität, Migration, Rassismus selbstbewusst umgeht. Wir behandeln keine Einstiegslevel-Themen, zum Beispiel, was Rassismus heißt. Und es geht auch gar nicht darum, was man darf oder nicht darf. Im Gegenteil. Darüber werden Witze gemacht. Man soll ins Nachdenken kommen, das finde ich wichtig. Es gibt kein Ensemble, das mit dem Finger auf das weiße Publikum zeigt und sagt: »So dürfte es nicht sein!« Stattdessen soll sich das Publikum selbst überlegen, wo es steht oder was es jetzt daraus lernt. Dafür war »Der Talisman« eine gute Story.
Wieso habt ihr denn genau »Der Talisman« ausgewählt, wieso Nestroy?
»Der Talisman« war dann eine Entscheidung von unserer Autorin, Golda Barton. Eigentlich liegt das ja total nahe: eine Story über jemanden, der aufgrund seines Äußeren ausgegrenzt wird. Wenn man das ins Heute überträgt, wen betrifft denn diese Ausgrenzung aufgrund des Äußeren? In Anbetracht vom Cast, den wir haben wollten, war klar, dass wir es ein bisschen anders erzählen müssen. Aber letztendlich geht es in der Story um Rassismus. Die Idee ist nicht nur zu versuchen, den Stoff ins Heute zu übersetzen, sondern zu fragen: Um was geht es in dem Stück? Was hat Nestroy ausgemacht? Das war tagesaktuelles Theater, das auch politische Kritik äußern wollte. Mit Musik. Mit Humor. Wie können wir das auf heute übertragen? Also: Ja, wir haben Humor. Ja, wir haben Musik. Ja, wir versuchen auch aktuelle Themen wie Remigration oder Diskurse darüber, was man sagen darf, wer was spielen darf, mit auf die Bühne zu bringen. Es geht auch tatsächlich um Rothaarige. Aber alles ist halt etwas durchgeschüttelt und neu gewürfelt.
Nestroy ist Österreicher und genießt hier auch einen gewissen Status. Wie schätzt du das Wiener Publikum ein: Sind wir offen für so einen Diskurs, in dem noch dazu Nestroy verwendet wird?
Das weiß ich nicht. Ich bin sehr gespannt, habe aber das Gefühl, die Wiener*innen lieben Theater. Überall, wohin man geht, sind die Theater voll. Die Leute sind extrem aufmerksam. Sehr viele Leute werden, glaube ich, von ihrer politischen Haltung her verstehen, was wir sagen wollen. Aber wie das dann rüberkommt, wenn es von einem so diversen Ensemble gespielt wird und es auch zentral um Themen geht, die vielleicht weniger geläufig sind – wie Cultural Appropriation, Blackfacing, Whitewashing – weiß ich nicht.
Ist da auch eine Art Lernprozess für das Publikum inkludiert, wenn viele im Publikum diese Wörter noch nie zuvor gehört haben?
Durchaus, wobei wir trotzdem kein pädagogisches Theater machen. Vieles wird also vorausgesetzt und wenn man es nicht weiß, dann weiß man es eben nicht. Wie es halt bei anderen Stücken auch ist.
»Cypressenburg« wird noch bis zum 25. Mai im Kasino am Schwarzenbergplatz aufgeführt.