"Elevate the Apocalypse!" lautet der Slogan des Elevate 2012. Fünf Tage dauert der Weltuntergang in Graz. Tag 4, der letzte Tag mit Musikprogramm hatte viel Soul- und House-Elan im hüftschwingenden Hinterteil.
Nicht viele Festivals bieten Diskurs und Party an einem Tisch. Am Samstag wurde Tabula Rasa gemacht – manchmal muss für einen neuen Anfang die bestehende Welt untergehen. Das stellten auch Internetforscherin Judith Schossböck, Politikwissenschaftler David Salomon, Daniel Reichert von Liquid Democracy e.V. und Paul Friedrich bei ihrer Suche nach einer neuen Art von Demokratie fest. In der Geschichte wurden demokratische Systeme meist nach einem totalen Umsturz etabliert. Hier diskutierten die Teilnehmer allerdings, wie aus den aktuellen Gegebenheiten heraus etwas verändert werden kann: Indem man alte – z.B. das Rätesystem – und besonders durch das Internet mögliche, neue Ansätze – Stichwort Liquid Democracy – miteinander verbindet. So kann und soll wieder mehr Demokratie gelebt werden – entgegen der allerorts beschworenen Post-Demokratie.
Tod dem Fortschritt
Ein sofortiges Ende forderte Matthias Schmelzer von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt a.d. Oder in seinem Vortrag zu solidarischen Ökonomien. Schluss sein muss vor allem mit dem ewigen Wachstumswahn, nicht zuletzt weil ihm ohnehin soziale und ökologische Grenzen gesetzt sind. Bei dieser einfachen Forderung beließ er es nicht, sondern schilderte komplexere Zusammenhänge. Beispielsweise warum das momentan überall propagierte "grüne Wachstum" auf Dauer keine ausreichende Lösung darstellt und die (scheinbare) Kopplung von Arbeitsplätzen an Wirtschaftswachstum ein Grund ist, warum sich die Industrienationen so sehr an das ökonomische Fortschrittsdenken klammern.
In Schmelzers Zukunftsmodell gibt es für dieses Problem erfreuliche Aussichten: die gerechte Verteilung von Arbeit, bei einem Mindestlohn oder gar bedingungslosem Grundeinkommen, bedeutet für jeden nur noch eine Teilzeit-Beschäftigung, die restliche Zeit bleibt für politisches Engagement und kulturelle Selbstverwirklichung. So rosig sehen die kommenden Menscheitstage aus – oder aber wir schaffen den Absprung nicht und unsere Kultur geht zu Grunde wie die Römer oder Maya vor uns.
Passend dazu handelte der abschliessende Punkt im Forum Stadtpark Diskurs-Programm von den Chancen, die die Menschheit besitzt den Fortschrittswahn und das Ausdehnungsdenken zu überleben. Der von Martin Scorsese produzierte Film "Surviving Progress" zeigte auf ökonomischer, biologischer und gesellschaftlicher Ebene, dass der Wachstumsdrang, den Menschen seit der Steinzeitnicht los werden, nun neu formuliert werden sollte. Ein möglicher Ausweg: eine neue Bescheidenheit – ein "Weniger-ist-mehr", der auf weniger Konsum hinausläuft.
Keine Angst vor dem Ende
Mit diesen modernen Verzichtsgedanken im Kopf ging es auf die Electro-Piste, volle DJ-Breitseite. Highlight: Moodyman, der ein House-/ Disco- /Soul-lastiges Set mit Einsprengseln von Nirvanas "Come As You Are" garnierte. Danach tauchte Andrés langsam aber sicher in tiefere Gewässer ab. Florian Puschmann (Houseboot) holte den letzten Rest aus der Crowd raus und erhöhte die Motivation bis zum Ende, das um 7.30 Uhr anberaumt war, weiter zu tanzen. Ein gekonnter Abschluss mit Jackin’ House, Deep bzw. Oldschool Techno.
Als zu Florian Puschmanns letzten Scheiben das Licht im Dom immer heller wurde, ahnte man es: Das Ende des Endes war nah. Einige retteten sich noch ins Parkhouse zur After Hour. Doch für uns war der Moment gekommen. Im Zwielicht des Schloßbergstollens näherten wir uns langsam der östlichen Tunnelöffnung, durch die schon der graue, aber für uns Nachtgestalten grelle Morgenhimmel, zu sehen war. Back to life – was erwartet uns in der Welt da draußen?
Alle Fotos vom Elevate 2012 gibt’s hier.
