Das Fräulein vom Amt

Mit der Auslotung von Geschmacksgrenzen unterhält die Wienerin Stefanie Sargnagel seit Jahren eine eingeschworene Facebook-Gemeinde. Nun erscheinen die schönsten und witzigsten Status-Meldungen in Buchform.

Eine Anleitung zum Saufen braucht Stefanie Sargnagel jedenfalls nicht. Sie hat das von späten Schultagen an gelernt. Gleichaltrige gingen in die Clubs, das tat Sargnagel zwar auch, doch lieber trank sie mit »Halbhinichen«, hörte ihnen zu und inhalierte die Thekenstorys. »Vor ein paar Jahren hab ich versucht Bukowski zu lesen – ich weiß, das macht man mit 16 oder 17, aber ich wollte wissen, ob ich was versäumt habe. Mir wurde jedenfalls schnell fad, ich kannte die Figuren und kaputten Existenzen, die dort beschrieben werden, alle aus eigenen Erlebnissen – ich mag ihn als Autor aber trotzdem sehr gerne«, erzählt sie bei Bier Nummer vier.

Filmriss im Swingerclub?

Nebst Beschreibungen der exzessiven Auswüchse eines Bohemien-Alltags tendiert Sargnagel vor allem zur radikalen Überzeichnung und wird dabei von Tabuzonen, Flüssigkeiten, Geräuschen und Gerüchen des menschlichen Körpers magisch angezogen. »6. 5. 2011: Meine Strumpfhose riecht nach Brie.« Man bemerkt, der Ekel hat bei der humorbegabten Sargnagel, übrigens ein Pseudonym, Stil. Den Blick für die Absurditäten, Widersprüchlichkeiten und Hässlichkeiten des Lebens hat sie vorwiegend an Mad-Heften und Deix-Zeichnungen geschult. Weitere Fixpunkte und wiederkehrende Elemente in ihrer Status-Sammlung: Beziehungs- und Liebesprobleme, Reibebaum-Mutter, Gewichtsprobleme, Selbstmitleid, Welthass und natürlich die irren, verwirrten Anrufer, die Sargnagel im Callcenter als Steffi Fröhlich betreut und mit boshafter Freude seziert.

Zum Job pflegt die Künstlerin, die sich zwischen den Stühlen von Literatur, Comics, Cartoons und Malerei sichtlich wohl fühlt, eine gediegene Hassliebe: »Ich mag die Arbeit eigentlich, sonst hätte mein Tag überhaupt keine Struktur.« Kleine Notiz am Rande: Ein Großteil von Sargnagels Status-Eingebungen erfolgt im Callcenter. Nur konsequent von einer, die über sich selbst sagt, aus Versehen antiautoritär erzogen worden zu sein. Kommt das Talent mütterlicher- oder väterlicherseits? »Ich habe viele Ähnlichkeiten mit meinem Vater. Er ist auch ein Messy, er sammelt und kann nichts wegschmeißen. Als ich einmal eine Waschmaschine brauchte, fragt ich ihn – er hatte zwei in der Wohnung herumstehen – originalverpackt.« Und wie sieht es bei ihr zu Hause aus? »Ich kann auch nichts wegwerfen, ich gehe unter in Müll, aber es stört mich nicht, wenn Dreck in der Wohnung herumliegt. Der sauberste Ort aber ist mein Bett!« »Wie oft wechselst du die Bettwäsche?« »So alle zwei bis drei Monate.« Zeit, dass wir langsam das siebte Bier bestellen.

Zwischen Saufen und Telefonieren wringt Sargnagel also aus ihrem Leben und Hirn das Tragische und Komische heraus und verbratet es, um mit Überhöhung die Grenzen des Zumutbaren auszuloten. Authentisch, kompromisslos, immer aber eben auch am schmalen Grat zwischen Übertreibung, Wirklichkeit und Überhöhung als Kunstfigur: »20. 11. 2011: Vor einer Woche hatte ich einen Filmriss und jetzt habe ich das Feuerzeug eines Swingerclubs entdeckt, beunruhigend.«

Das ist nicht unbedingt ein nagelneuer Ansatz, um Humor zu generieren, Sargnagel pfercht und schludert das alles zu einem aberwitzigen Texthybrid zusammen. Zu einem – wenn man so will – Social-Media-Künstlerroman, der sich zudem streckenweise auch noch als aphoristisches Sudelbuch tarnt. Am Stück konsumiert, wird man das Gefühl nicht ganz los, dass man es hier gerade mit einer entkitschten, von jedwedem Pseudofeminismus befreiten Bridget Jones zu tun hat. Oder anders: »Im Grind liegt oft das wirklich Schöne und im Tiefen nicht selten die Wahrheit!«

Stefanie Sargnagel »Binge Living. Callcenter-Monologe« erscheint am 29. November bei Redelsteiner Dahimène Edition. Am 30.11. präsentiert Stefanie Sargnagel das Buch in der Transporter Bar Wien.

Bild(er) © Foto: Sig Ganhör, Zeichnungen: Stefanie Sargnagel
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