Ein Telefoninterview mit Nora Gomringer vergeht ziemlich schnell. Erstens redet die 31-jährige wie ein Wasserfall. Zweitens hat sie nichts gegen blöde Fragen einzuwenden. „Blöd ist gut, die Leute fragen mich ohnehin immer so ernste Sachen“, konnte vorab schon einmal geklärt werden. Nun denn, The Gap erreicht die bayrische Lyrikerin im norddeutschen Kiel, wo sie gerade eine Poetik-Dozentur hält.
Gomringer: Hallo, wie ist das Wetter in Wien, hier in Kiel ist es sehr trüb und finster.
The Gap: Hier ist es ebenfalls trüb, mit ein bisschen Sonne und relativ warm. Nett irgendwie. Der November ist ja in Wirklichkeit der Wiener Wonnemonat – um das alte Morbiditäts-Klischee zu bedienen.
(Lacht). Scheint aber auch ein Kieler Monat zu sein, weil alle irgendwie froh sind, dass die Saison vorbei ist und nicht mehr die ganz großen Schiffe anlegen.
Und es wird ja schon sehr früh finster im Norden – wobei, das müssten Sie gewohnt sein, Sie waren ja eine Zeit lang in Island?
Das stimmt, aber ich war im Sommer dort, da war es aber immer hell. Auch nicht toll auf Dauer übrigens. Vor allem beim Schlafen. Da kann man sich nur mit albernen Schlafbrillen helfen. Außer man ist Bauchschläfer und steckt den Kopf ins Kissen. Das kann man nämlich auch machen. Aber ich sah beim Schlafen in Island doof aus.
Demnach schlafen Sie am Rücken. Das ist doch ohnehin gesünder, oder?
Eigentlich sagt man, dass am Bauch schlafen besser ist für die Organe und den Rücken nicht belastet, da er sich besser entspannen kann. Es ist aber problematischer fürs Herz. Deswegen sterben viele Sumoringer am Bauch liegend im Schlaf.
Da wären wir ja schon bei einem Ihrer zentralen Motive, das sich in Ihrer Lyrik durchzieht: Das Herz…
Das Organ ist ein Faszinosum für mich, aber natürlich auch alle Dinge, für die das Herz metaphorisch steht. Ich muss dazu sagen, dass eine meiner besten Freundinnen mit 25 an Herztod gestorben ist und das hat viel Beschäftigung für mich mit diesen Aspekten mit sich gebracht.
Traurig zu hören.
Ja, sie hatte immer Probleme mit dem Herzen und mit 14 eines transplantiert bekommen. Da kommt es während der Trauerarbeit zwangsläufig zu Überlegungen wie: Vielleicht hat der Mensch, von dem sie das Herz bekommen hat genau diese Lebensspanne gehabt, wenn er nicht vorher an einem Unfall getötet worden wäre. Vielleicht war 25 die reguläre Lebensspanne des Spenders. Letztlich merkt man aber, dass dies totaler Quatsch ist. Vielmehr hat ihr der Organspender zehn Jahre geschenkt.
Wenn Sie ein Herz bräuchten und gespendet bekommen, würde es Sie interessieren von wem es stammte?
Die Neugierde wäre gigantisch. Aber es ist ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, wenn man dem nachgeht. Herzaustausch ist aber ein großes Thema. Egal wie man es betrachtet. Es scheint mittlerweile so einfach zu sein, ein Herz von einem Wesen ins andere zu verpflanzen. Mich fasziniert außerdem, dass man Herzklappen von Schweinen bei Menschen einpflanzen kann. Das ist unglaublich und unheimlich schön ironisch. Vor allem weil wir Menschen uns immer über die Schweine lustig machen.
Ja Schweine gehören zu den meist unterschätzten Haustieren überhaupt…
Genau. Und außerdem sind auch niedlich. Ich bin überzeugt, wenn wir Menschen harmloser wären, wären wir Schweine und nicht Affen. Ich mag Schweine sehr gerne. Ich bin ja auch in einem Dorf aufgewachsen in dem es noch Schweine gab.
In Wurlitz, im Ländereck zwischen Tschechien und der ehemaligen DDR.
Genau.
Die Einwohner dort nennen sich ja Wurlitzer, wie die legendäre Jukebox. Dazu wollte ich Sie fragen, ob sie ein schön geordnetes, strukturiertes, in Punkten abhandelbares Denken haben. So A1, A2, A3, B 12, J 23…
Nein gar nicht. Ich hab eher ein optisches Gedächtnis, erinnere mich wo ich was gesehen habe und kann Sachen vor meinem geistigen Auge ranzoomen. Völlig durchstrukturiert Denken mit Über- und Unterpunkten kann ich leider gar nicht besonders gut. Das bricht mir gerade auch den Hals. Weil ich gleich eine eineinhalbstündige Dozentur zum Thema „Das gesprochene Skript oder Das steht doch so gar nicht da. Was das Sprechen von Larynx und Lyrik verlangt“ halten muss.
Ein mehr zungen- als halsbrecherischer Titel. Könnten Sie eigentlich aus dem Stegreif dozieren?
Nein, ich bin leider kein Typ für den Stegreif. Ich muss schon richtig nachdenken können. Ich bin eher eine Freundin des gefeilten Wortes. Aber ich hab die Tendenz manchmal bei Vorträgen und Lesungen ins Beliebige abzurutschen.
In der Poetry Slam Szene, aus der sie ja kommen und die sie auch sehr prägten, gehört Beliebigkeit und Stegreif mitunter ja zur Bühnen-Performance dazu. Wie satt haben Sie es eigentlich, ständig erklären zu müssen, was Poetry Slams und Slam Poetry ist?
Das hatte ich eine zeitlang vollkommen über und musste es für mich umdefinieren. Wenn jetzt jemand danach fragt erkläre ich es aber nicht mehr als aktive Slammerin, sondern als Literaturwissenschafterin. Da habe ich jetzt also einen sehr missionarischen Anspruch. Als aktive Slammerin dachte ich bei dieser Fragen aber immer: Geh bitte, lass mich in Ruhe, wenn du es nicht kapierst geh doch mal hin, du Arsch!“
Glauben Sie, dass Slam Poetry in der Literaturwissenschaft angekommen ist?
Hie und da, ja. Und lustigerweise vor allem bei den Hilfswissenschaften wie der Didaktik. Hui, das ist böse und grausam. Das darf keinesfalls rauskommen, dass ich Didaktik für eine Hilfswissenschaft halte.
Ich würde Sie aber gerne damit zitieren.
Wenn das so ist: Die Didaktik ist der etwas schwerfälligen, hin und her schwankenden Germanistik manchmal einen Sprung voraus. Die Didaktik hat verstanden, dass man mit Poetry Slams junge Menschen erreicht und ihnen damit zumindest auch ein paar andere Dinge und Inhalte vermitteln kann. Das hat übrigens auch Red Bull begriffen, die mittlerweile in der Schweiz bei vielen Slams als Sponsor auftreten.
Sie selbst treten ja nicht mehr bei den dichterischen Wettkämpfen an.
Ich bin vor rund fünf Jahren wirklich bewusst aus der Szene weg geschwommen. Das hat auch damit zu tun, weil sich die Inhalte verändert haben und es im Moment für mich einfach keinen Platz mehr in der Slam-Szene gibt. Weder für meine Texte, noch für mich als Person auf der Bühne. Außerdem hat sich die Szene – mir scheint es zumindest so – ein wenig überholt. Es geht zur Zeit hauptsächlich um Fun, um Pointe und Schnelligkeit im Vortrag. Außerdem wollte ich nicht mehr für Fünf-Minuten-Auftritte mehrstündige Zugreisen auf mich nehmen. Ab einem gewissen Alter ist man nicht mehr bereit auf jeder Couch zu schlafen.
Was störte Sie noch?
Irgendwie ist man wahnsinnige unkritisch kritisch – denn es wird vor allem auf die Performance und den Act Wert gelegt. Ich weiß, dass vom Rohen, vom Ungeschliffenen eine unheimliche Faszination ausgeht, aber es wäre schon auch mal gut, wenn Slamer ab und an ins Theater gehen würden, nur um zu sehen wie echte Profis das machen.
Wo müsste man Ihrer Meinung ansetzen, um ein wenig frischen Wind in den Slam-Ablauf zu bringen?
Die Rolle der Moderatoren sollte wichtiger werden. Die meisten erklären nur die Regeln, holen die Wertung ein und agieren unparteiisch im Hintergrund. De facto sollten sie aber dem Publikum durchaus auch wertend vermitteln dürfen, was sie gerade gesehen und gehört haben. Das könnte – ich sage es mal hochtrabend – einen Paradigmenwechsel in der Szene schaffen. Ich glaube, dass in den nächsten drei, vier Jahren noch mal einen riesigen Schub geben wird, aber dann wird den Leuten auffallen, dass das Format, die Idee dahinter ja eigentlich gar nicht auf die große Bühne will. Poetry Slam hat viele Potenziale, aber kein Potenzial.
Sie sind ja als Lyrikerin gut gebucht und vor allem weltweit unterwegs. Was ist Ihnen bei Ihren Lesungen wichtig?
Es ist meine Aufgabe den Menschen 50 angenehme Minuten zu bereiten, in denen sie mit mir ganz hoch klettern, mit mir in den Orkus hinabsteigen und am Ende wieder sicher in der Mittellage landen, sich abschnallen und heimgehen. Interessant ist, das hat mich auch lange gestört, dass mich die Zuhörer immer als „die Lustige“ in Erinnerung behalten. Ich bereite meinem Publikum nämlich schon auch immer verstörende Momente. Mittlerweile empfinde ich das aber als normale menschliche Wahrnehmung. Man vergisst eben, was man vor 20 Minuten gehört hat.
Sie sind jetzt im traditionellen Literaturbetrieb angekommen, quasi per Ritterschlag aufgenommen worden. Wo liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Slam-Szene und dem literarischen Establishment?
Slam-Welt und Literaturbetrieb sind parallel nebeneinander existierend. Ich hab aber schon das Gefühl in eine andere Umgebung eingetreten zu sein. Gemein ist beiden etwa ein sehr ausgeklügeltes Veranstaltungssystem.
Und beide Welten sind wohl auch sehr männerbetont…
Aber im Literaturbetrieb ist es um einen kleinen Tick angenehmer männerbetont als beim Slam, bei dem alles roher und weniger intellektuell über die Bühne geht. Es gibt wenige Slamer, denen man ihr Studium auch anmerken würde. Ich hab mich oft schon auch danach gesehnt, etwas erfüllender über Literatur zu sprechen.
In wie weit haben sich Ihre Texte verändert, seit sie nicht mehr slammen?
Ich hab das Gefühl, dass ich mich – von meinem Zugang zur Literatur – eigentlich zurück zu meinen Wurzeln entwickelt habe. Ich hab mit der stillen Lyrik angefangen und stets das Blatt verhandelt. Ich komme ja aus dem Schriftlichen, und da bin ich jetzt wieder. Die Mündlichkeit ist für mich mehr ein Abenteuer. Beim Schreiben merke ich aber schon, dass immer wieder Mündlichkeit in die Texte will. Das versuche ich aber zu vermeiden. Und irgendwie möchte ich immer auch das Banale verhandeln. Denn es umgibt uns. Täglich. In haarsträubenden Floskeln und dummen Phrasen. Das gehört alles offen gelegt.
Sie kommen ja aus einem Dichter-Literaturhaushalt. Ihr Vater gilt als Erfinder der „Konkreten Poesie“ und kommt immer wieder in ihren Gedichten vor. Ein Reibebaum für Sie?
Nein. Aber ich mache ihn gern zum Thema. Wohl auch um nicht das Gefühl zu kriegen, ich hätte irgendetwas abzuarbeiten durch ihn. Im Gegenteil, ich hab in dieser Hinsicht kein Problem.
Was hält er von Ihrer Lyrik?
Er ist meinem Schreiben gegenüber sehr freundlich gestimmt. Er findet es putzig bis gut. Ich hab aber nie das Bedürfnis gehabt, von meinem Vater gelobt oder gemocht zu werden. Dieses Gefühl hatte ich mehr bei meiner Mutter. Zu Recht hat unsere Mutter dafür gesorgt, dass wir Kinder schon merkten, was für eine besondere Frau sie ist.
Sie spielen in Ihren Texten immer auch mit den Codes der Hoch- und Subkultur. Woher dieser Antrieb?
Ich bin Zeit meines Lebens meistens in einer Beobachtungsposition, getrieben vom Wunsch irgendwie Bescheid zu wissen. Für mich ist die Welt ein Ort voller spannender Dinge, die sich selbst vorantreiben. Mich interessieren vor allem die Schnittmengen aus Hoch- und Populärkultur, damit kann man Menschen verschiedene Welten näher bringen. Zu sehen, wie nach Niklas Luhmann all diese kleinen Systeme funktionieren und alles ineinander wirbelt ist großartig. Ein bisschen fühl ich mich auch heute noch wie das kleine Mädchen, das mit platt gedruckter Nase an der Fensterscheibe steht und staunend zusieht, was draußen abgeht.
Wie sieht es eigentlich mit Prosa aus? Planen Sie einen Roman?
Nein, da habe ich keine Pläne in der Zukunft. Ich hab wenig Talent zum klaren Gedanken aneinander reihen. Ich bin aber ab nächstem Jahr für das Magazin „Schweizer Monat“ Kolumnistin. Solche Formate kann ich bedienen. Außerdem gehört es ja mittlerweile zum guten Ton eine eigene Kolumne zu haben. Und ich finde auch, dass ich endlich eine haben sollte. (lacht) Dennoch. Für mich war und ist die Lyrik das Höchste.