Von 1. bis 5. März fand in Graz das Elevate Festival in seiner 19. Ausführung statt. Fünf Tage lang wurde die Student*innen-Stadt zum Hotspot für zeitgenössische Kunst und Kultur und ließ damit nicht nur die steirischen Hipster-Herzen höher schlagen.
Bei der Anreise im Railjet aus Wien war der Teil der hornbebrillten, lederbejackten Doc-Martens-Träger*innen überproportional groß. Die Vermutung, es könnte sich um Elevate-Ausflügler*innen handeln, wurde bestätigt, als vier der oben Beschriebenen begannen, über Slavoj Žižek zu diskutieren. Der slowenische Philosoph war als einer der Headliner des Festivals gebucht und seine samstägliche Lecture bereits Wochen vor Festivalstart restlos ausverkauft. Žižek war aber nicht der einzige Grund, warum sich die knapp dreistündige Anreise aus Wien lohnen sollte: Neben dem dichten Diskursprogramm mit nationalen wie internationalen Persönlichkeiten aus der Klimaforschung, dem politischem Aktivismus und dem Journalismus war etwa auch die experimentelle Musik mit Caterina Barbieri, Inou Ki Endou und Pharmakon gut vertreten. Am Wochenende lud das Festival außerdem zu schnellen Beats und wummernden Bässen in den Dom im Berg sowie in den Tunnel und bei Spaziergängen durch die Stadt stolperte man hie und da über Kunst- und Soundinstallationen.
Die 19. Ausgabe des Festivals stellte alles unter den thematischen Gesichtspunkt »(Unlikely) Alliances«, also: unwahrscheinliche Allianzen, und das Programm reizte wirklich jede Bedeutungsebene des Mottos aus. Wie Irina Nalis, die Kuratorin des Diskursprogramms, in ihrer Eröffnungsrede erklärte, gehe es darum, die eigene Komfortzone zu verlassen und in jene Winkel und Ecken zu schauen, die man für gewöhnlich außen vor lasse. Vielleicht würden ja genau da die in Zeiten der multiplen Krise so dringend gebrauchten Allianzen warten.
Gabba-Dub und roter Samt
Eröffnet wurde das Festival am Mittwochabend im gut gefüllten Orpheum. Sogar die Eröffnung war – als Gesamtkonzept – eine Allegorie des Festivalmottos: Das Moderationsduo Navaris und Deutinger führte als »unlikely aliens« spielerisch durch den Abend, stellte etwa Politiker*innen Fragen, auf die diese nicht antworten durften, und nahm mit viel Augenzwinkern auf das heurige Motto Bezug. Auch Manuel Rieglers basslastige Gabba-Dub-Untermalung stieß sich fast schon physisch an den roten Samtsesseln des Orpheums und schaffte es irgendwie trotzdem, die perfekte Ergänzung für die von Deutinger als bestuhlte Gabba-Party bezeichnete Show zu sein.
Slavoj Žižek machte das unlikely des Festivalthemas in seiner Lecture »Only a Catastrophe Can Save Us« zu einem unholy und berichtete im bis zum Rand gefüllten Orpheum von geopolitischen, unheiligen Allianzen, von Machterhalt der einen und fortgeführter Unterdrückung der anderen. Seine ausschweifenden Gedankensprünge, die vielen Anekdoten und sein starker Akzent machten es zwar nicht ganz leicht seiner Lecture zu folgen, aber das Publikum hing trotzdem wie gebannt an seinen Lippen. Aufgekratzt und wild gestikulierend erklärte Žižek, wer mit wem unter einer Decke stecke und aus welchen Gründen. Selbstinszenierend und trotzdem völlig authentisch – es war zu spüren, dass es Žižek ein echtes Bedürfnis ist, seine Gedanken zu teilen. »I don’t buy it!«, wiederholte er immer wieder und er appellierte an das Publikum, nicht automatisch den einfach erscheinenden Wahrheiten zu glauben.
Kollektive Meditation im Mausoleum
Manchmal wird beim Elevate sogar die Räumlichkeit selbst zur unwahrscheinlichen Allianz. Wie etwa beim Konzert von Musikerin Rojin Sharafi. Die gebürtige Iranerin bespielte am Donnerstagabend das Mausoleum und verlieh dem sakralen Gebäude mit ihrem tiefbrummenden Synthesizer-Bass eine fast bedrohliche Atmosphäre. Der Eindruck wurde durch die blauen Spots, die im Stroboskopmodus die Katharinenstatue abwechselnd von links und rechts beleuchteten noch verstärkt.
Yegor Zabelov setzte den kalten Mauern – tatsächlich war es in der Kirche kälter als vor ihr – seine elegisch-leichtfüßigen Melodien auf dem Akkordeon entgegen. Er hielt die Augen beim Spielen geschlossen und gab sich völlig der Musik hin. In einer zärtlichen Umarmung wiegte er sein Instrument beim Spielen sanft auf dem Schoß hin und her. Die warmen Klänge aus dem Akkordeon breiteten sich wie Wellen in dem sakralen Raum aus und es entstand eine seltsam intime Stimmung im Mausoleum.
Naaljos Ljom schufen eine ähnlich intime Atmosphäre. Das norwegische Duo füllte am selben Abend das Forum Stadtpark. Ihr Progressive Folk entstand dabei an der Schnittstelle von Analogem und Digitalem: Auf der Geige und Gitarre eingespielte Melodien wurden von den Synths auf der anderen Seite aufgegriffen und mit Effekten versehen. Im Publikum herrschte Wohnzimmerstimmung – die einen saßen auf den Couches am Rand und unterhielten sich, andere bewegten sich stampfend und wieder andere lauschten den repetitiven Rhythmen mit geschlossenen Augen.
The Gaslamp Killer brachte sein Publikum in der Nacht von Freitag auf Samstag im Dom im Berg mit einer wild zusammengewürfelten Mischung ziemlich ins Schwitzen. Von All-time-Classics aus dem Hip-Hop, über Beethoven-Sinfonien bis hin zu Hans-Zimmer-Filmmusik spielte er alles, was bekannt ist und fetzt. Dabei inszenierte er sich irgendwo zwischen Messias und Sportkommentator und hatte viele persönliche Anekdoten parat.
Weinkellerästhetik trifft auf Breakbeats
Samstagnacht ging es für Dancehall, Breakbeats, Footwork und treibenden Afro-Beat zur Nyege Nyege Label Night in den Tunnel, wo ab 22 Uhr wuchtige Bässe zum Tanzen animierten. Die Location, die in ihrer Weinkellerästhetik mit schiefem Boden und tiefer Decke schon ein bisschen klaustrophob machen kann, wurde von Waq Waq Kingdom mit einer skurril-schrillen Performance mit bunten Fächern, Impro-Gesang und viel Nebel gefüllt. Das Performance-Duo setzte dabei auf verspielte Tanzmusik im Grenzbereich von Dub, Techno, traditioneller japanischer Musik und Footwork. Catu Diosis strahlte übers ganze Gesicht, als sie an die Decks kam – man merkte ihr an, wie sehr sie liebt, was sie tut. Ganz vorne in der unmittelbaren Nähe der Musikerin standen vor allem Frauen* und jubelten ihr zu. Die Nacht im Tunnel verwandelte sich in eine große kollektive Party, bei der alle willkommen waren.
Wer bis in die frühen Morgenstunden durchgehielt, hatte dann noch die Möglichkeit, den Sonnenaufgang mit bestem Ausblick über Graz zu genießen. Der Schlossberglift, der nur einen Tunnelschacht von den Clubs entfernt ist, brachte einen direkt nach oben auf den Schlossberg, von dem aus man über fast ganz Graz blicken kann. Apropos Lift: Die italienische Synth-Virtuosin Caterina Barbieri hat auf Einladung des Elevate Festivals eine Soundinstallation für den linken Schlossberglift entwickelt, die seit Donnerstag und für ein Jahr zu sehen und zu hören ist.
Das Elevate Festival 2023 fand von 1. bis 5. März in Graz statt.