Demokratie im Gesicht

Der komische Gast, der neulich Mittag am Nebentisch saß und nach sorgfältiger Wahl seine Bestellung orderte, konnte froh sein, dass nicht ich der Kellner war, sonst hätte es nämlich kräftig getuscht.

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Und der Kerl hätte nicht einmal gewusst warum, denn abgesehen von einem scheußlich gemusterten Tweed-Sakko, das mich jetzt nicht besonders störte, fiel er nicht negativ auf und schien auch gute Manieren zu haben. Aber einen halben Liter Zwetschgensaft zum Mittagsmenü zu bestellen, ist irgendwie schon mehr als ein Schritt über die Fauxpasgrenze. »Zwetschgensaft? Sie sind ein krankes Schwein!«, hätte ich an des Kellners Stelle wohl geschrien. Zuerst Völlern und dann aufs Einsetzen der abführenden Wirkung dieses als Darmreinigungsmittel einschlägig bekannten Naturheilmittels warten ist jetzt nicht die feine Englische. Eher die unfeine Lateinische, denn die dekadenten Römer waren dafür bekannt, sich bei Fress- und Saufgelagen von ihren Sklaven mit einer Feder den Rachenraum bis zum Erbrechen kitzeln zu lassen, um Platz für Neues zu schaffen. Gut, der Ausgang ist da zwar ein anderer, das Prinzip aber dasselbe. Jedenfalls sicher sehr laut hätte ich noch die Aufforderung das Lokal zu verlassen von mir gegeben. Allerdings nicht ohne den Hinweis, dass der Zwetschgensaft einzig und alleine auf der Karte stehe, um lukullische Perverslinge ausfindig zu machen. Oder frustrierte Großraumbüroangestellte, die sich beim täglichen Versuch, die Gläserne Decke zu durchbrechen, den Kopf anstoßen und nach dem Mittagessen zurück an ihren Arbeitsplatz schleichen, um zwetschgensaftgestärkt den restlichen Tag am Klo zu verbringen. Einzig ein hässliches Tweed-Sakko legt stilles Zeugnis über ihre Anwesenheit ab.

Naja, vielleicht war ich einfach nur schlecht drauf und so unversöhnlich unterwegs, weil mich insgeheim der Darmneid auffraß. Spürte ich doch noch immer die leichten Nachwehen einer Magen/Darm-Grippe, die mich zwang, einige Tage nur Feldbacher Zwieback zu mir zu nehmen, den ich dann trotzdem nicht bei mir behalten konnte. Wobei, ich muss sagen, dass die ganzen Sprühkaviar-Sessions gar nicht mal so schlecht gewesen sind, denn – ganz gegen meinen körperlichen Hausbrauch – spürte ich mal einige Tage keine libidonalen Auswüchse in mir. Es hat durchaus auch mal seine Vorteile, wenn man beim Fernsehen nicht ständig Sachen wie »Ui, ui, ui, du geile Pro7-Austria-Puls-4-Sau, hör auf mich wuggi zu moderieren, sonst zap ich sofort wieder zur Nazi-Doku auf meinem Lieblingskanal Phoenix zurück« denken muss. Und was soll man sagen, da ging auch sonst einiges weiter und ich bin mir sicher, dass wohl mit ein bisschen weniger geil viel mehr aus mir hätte werden können.

Im Bett liegen und auf den nächsten Verdauungsausbruch und Fieberschub warten wird in seiner kathartischen Funktion jedenfalls unterschätzt. So kam ich nämlich zur Erkenntnis, dass meine Geburt suboptimal gelaufen sein muss, und die Wurzel allen Übels ist. Ich erblickte nämlich zu einer Zeit das Licht der Welt, als Steißlagen noch nicht zwingend mit Kaiserschnitt rausgeholt wurden, sondern den von Mutter Natur dafür vorgesehenen Weg nehmen mussten, nur eben umgekehrt. Also zuerst die Füße, dann das Haupt. So war’s auch bei mir. Und nur so ist erklärbar, warum ich immer das Gefühl habe, dass mich ständig irgendwer zieht und schubst und in eine Richtung drängt, ich dabei der Welt meinen Arsch zeige, während mein Kopf gleichzeitig nur an Vaginas denkt. Ein Profi hätte mir für diese Erkenntnis wohl viel Geld abgenommen, ich kam im Fieberrausch selbst auf die Idee und dachte so wieder ein wenig mehr über Fellatio nach. Der Mund als demokratisiertes Geschlechtsorgan. Jeder hat’s und noch dazu gut sichtbar mitten im Gesicht. Weil ich so unspitz war, brachte ich auch sehr erfolgreiche Gedankensprünge zu Stande, denn ich enttarnte die Frage, warum sich Oralverkehr im Stehen besser anfühlt, als Pseudo-Mysterium. Es ist nämlich so, dass sich das /Stehen/ besser mit Oralverkehr anfühlt. Wobei, es fühlt sich wohl jede Tätigkeit besser an, wenn sie mit dieser herrlichen erotischen Kunst einhergeht. Und nur fürs Protokoll: In mir wächst der Wissensdurst, was etwa für eine Kolumne rauskommen mag, wenn mir beim Schreiben sauber einer abgelutscht wird. Und ja, ich wäre wohl indiskret und noch dazu nicht müde genug, ständig davon zu erzählen, wann und welche Passagen unter diesem Einfluss entstanden sind. Man sagt ja auch, was man unter Alkohol produziert hat. Wobei, ich bin mir da nie so sicher ob es immer stimmt. Gehe ich nämlich von mir aus, benutze ich Alkohol oft als Rechtfertigung für schlechte oder misslungene Passagen, weiß aber, dass ich sie nüchtern fabriziert habe. Und manchmal, bei besonders gelungenen Stellen, sage ich ebenfalls, dass ich beim Schreiben fett wie ein Radierer war, obwohl ich ebenfalls nüchtern war. Ich mach das wohl aus Gründen des Understatements.

Jedenfalls, es war dann doch wieder erfreulich, als sukzessive die alten Lebensgeister in ihrer Behausung an der Lende wieder einzogen. Ich merkte dies übrigens in einer kleinen Bäckerei, in der schon wieder jemand nebst feinstem Roggenbrot (genehmigt) und Handsemmeln (Weizen ist böse, trotzdem genehmigt) eine Flasche Zwetschgensaft kaufte. Diesmal eine attraktive Dame. Und diesmal regte ich mich überhaupt nicht auf. Vielleicht, weil ich einem neuen Trend auf der Spur war. Vielleicht auch, weil der Duft von frischem Brot, der dort in der Luft hängt, so richtig die Glückshormone durch die Blutbahn wirbelt. Vielleicht auch weil ich mir in den dunkelbuntesten Farben ausmalte, wie und wofür dieses Säftchen wohl zur Anwendung kommen mag – und das hatte auch etwas mit Demokratisierung zu tun …

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