Eine Fernsehnation setzt sich die Pistole an die Brust und streichelt unsicher den Abzug: Die preisgekrönte TV-Serie »Homeland« analysiert US-amerikanische Feindbildmechanismen nach der Ära Bush anhand einer psychotischen CIA-Agentin und einem Kriegshelden unter Terrorverdacht.
Terroristen sind eindimensionale Geschöpfe, die aus Schurkenstaaten kommen, um die demokratische Freiheit aufzufressen. So lange die Ära von US-Präsident George W. Bush andauerte, schien das die offizielle Perspektive zu sein. Die Unterhaltungsindustrie unterfütterte sie mit gängigen Gut-Böse-Schemata. Die TV-Serie (2005-2006) »Sleeper Cell« war dagegen eine bereichernde Ausnahme. Ein muslimischer FBI-Agent schleust sich zwei Staffeln lang in eine islamistische Terrorzelle ein, während das Format versucht, den Ursprung von Extremismus zu thematisieren – aus der gesellschaftlichen Mitte heraus, fern von Kausalketten oder Klischees. Ende 2011 kam mit der TV-Serie »Homeland« ein weiterer Lichtblick, der sich simplen Erklärungsmustern widersetzt. Stattdessen wurden drängende Fragen nach Angstpolitik, Paranoia, Verantwortung und Würde gestellt.
Im Bett mit dem Terror
Claire Danes hat sich ihren Golden Globe als beste Schauspielerin für »Homeland« redlich verdient: Sie zu sehen wie sie sich die Seele aus dem Leib spielt, erzeugt genauso viel Begeisterung wie Beklemmung. Sie verkörpert die CIA-Agentin Carrie Mathison, die im Irak einen Mudschaheddin verhört und erfährt, dass ein US-Marine in jahrelanger Gefangenschaft zum Al-Qaida-Terroristen gewandelt wurde. Plötzlich wird der tot geglaubte Marine Nicholas Brody im Irak befreit. Acht Jahre lang war er verschollen. Daheim soll er als Kriegsheld gefeiert und von der Politik instrumentalisiert werden. Carrie verdächtigt ihn, genau dieser bekehrte Terrorist und Staatsfeind zu sein. Selbstjustiz wird fortan zum legitimen Pflichtbewusstsein in ihrem eigenen War on Terror. Ohne offizielle Genehmigung bewacht und bespitzelt sie den geheimnisvollen Brody. Doch sie leidet unter einer bipolaren Störung, einer manisch-depressiven Psychose, die sie mit Psychopharmaka drosselt. Auch das muss unerkannt bleiben, um nicht gekündigt zu werden. Auf einer Spirale des psychischen Terrors drehen sich die trügerischen Ermittlungen langsam im Kreis, während Verdachtsmomente mehr oder weniger haltlos im Raum schweben. Ihre Überwachung erschafft ein fragiles Szenario von Argwohn, Angst und Paranoia, als sie nicht einmal mehr ihrem eigenen Misstrauen trauen kann. Sie beobachtet den Veteranen und seine Ehefrau sogar beim Sex, um Beweise gegen den Staatsfeind zu finden.
Mit einer Armada an undurchsichtigen und ambivalenten Charakteren wirft »Homeland« die Frage nach den Guten und den Bösen immer wieder über Bord. Was passiert mit einer Gesellschaft, die sich dauerhaft bedroht fühlt und deshalb Methoden einer strukturellen Gewalt zulässt, die diese Gesellschaft bloß noch mehr verunsichern? Die Protagonistin Carrie und ihr vermeintlicher (?) Antagonist Brody verinnerlichen diese Pattsituation bis zum explosiven Serienfinale (und darüber hinaus). Auf dem Glatteis der verschachtelten Drehbücher schlittern beiden aufeinander zu und lassen das Publikum auch in dem Punkt ratlos zurück, wem gegenüber nun mehr Verständnis oder gar Sympathie entgegengebracht werden sollte. Einfache Schuldzuweisungen werden durch die stets mehrdimensionalen Konflikte verunmöglicht. Darin liegen die hohe Anspannung und die Qualität von »Homeland«. Terror bleibt besonders im Fernsehen eine Frage der Wahrnehmung.
Die beiden Staffeln von »Sleeper Cell« sind via Paramount bereits auf DVD erschienen. Die Produktion der zweiten Staffel von »Homeland« (Showtime) beginnt im kommenden Frühjahr.