Der Gänsehautproduzent: Arash T. Riahi im Porträt
Seine Filme machen betroffen, rütteln auf oder bringen zum Lachen: Regisseur und Produzent Arash T. Riahi erzählt am Rande der Dreharbeiten zu »Cops« von seiner Arbeit, was ihm Freiheit bedeutet und weshalb er sein Publikum emotional erschüttern möchte.
von Michael MazohlEin weißer Bademantel mit Zigarette im Mundwinkel läuft über die Wiedner Hauptstraße. Es ist beinahe Mitternacht. Eine Frau, sie leuchtet wie im Scheinwerferlicht, lächelt, geht immer schneller und fällt Arash T. Riahi um den Hals. Im Bademantel steckt Schauspielerin Maria Hofstätter, und sie befindet sich tatsächlich im Scheinwerferlicht – am Set von Arashs neuer Spielfilmproduktion »Cops«. Ein Abbruchhaus dient als Kulisse, von außen wird das Gebäude beleuchtet. Maria ist auf dem Weg in die Maske. Nach seinem jüngsten Kinoerfolg »Die Migrantigen« ist »Cops« der fünfte Spielfilm von Arashs »Golden Girls Filmproduktion«, neben einem beachtlichen Portfolio an Werbespots, TV-Formaten, Musikvideos und Dokumentarfilmen. Seinen Durchbruch hatte er als Regisseur und Drehbuchautor mit »Ein Augenblick Freiheit«. Der Film basiert auf den Erlebnissen seiner Familie während der Flucht aus dem Iran. Einer seiner wichtigsten Partner, Wegbegleiter und Vertrauten: der neun Jahre jüngere Bruder Arman T. Riahi, der bei »Die Migrantigen« sein Debüt als Spielfilmregisseur gab. Als »Riahi Brothers« feierten die beiden unter anderem mit ihren Dokumentarfilmen »Everyday Rebellion« und »Kinders« internationale Erfolge. Auch privat sind die Familienbande sehr eng, gemeinsam bewohnen sie ein Haus in der Lobau. »Vor einiger Zeit haben wir uns einen Traum verwirklicht – einen eigenen, kleinen Kinoraum im Keller«, erzählt Arash.
Großes Kino
In »Cops« erzählt Drehbuchautor und Regisseur Stefan A. Lukacs in seinem Spielfilmdebut die Geschichte des jungen WEGA-Beamten Christoph (gespielt von Laurence Rupp), der bei einem seiner ersten Einsätze für die Spezialkräfte in Notwehr auf einen Mann schießt. Oder war es doch keine echte Notwehr?
Lukacs setzt in »Cops« auf stark atmosphärische, überwältigende Bilder. Dazu brauchte es an einem Drehtag – bzw. einer -nacht – über 270 Komparsen, die Rapid-Anhänger vor dem Ferry-Dusika-Stadion mimten. Eines der wichtigsten Details im fertigen Film: die Ausstattung. 270 Komparsen müssen mit Fan-Utensilien adjustiert werden – ein materialintensives, aber im Vergleich zur Ausstattung der Polizisten im Film, einfaches Unterfangen. Dafür zeichnet sich Ausstatterin Monika Buttinger verantwortlich. Die WEGA-Uniformen hat sie Stück für Stück auf Basis von Fotos und ähnlichen Quellen gefertigt.
»Was die Filme von Arash so besonders machen: Es gibt immer einen hohen gesellschaftspolitischen Anspruch an die Projekte. Das ist heutzutage etwas bitter Notwendiges – und der rote Faden, der sich durch die Produktionen der Riahi-Brüder zieht«, analysiert Buttinger. Von Produktionsbedingungen und Möglichkeiten wie bei »Cops« hätte Arash bei seinen ersten Projekten nicht zu träumen gewagt – seine ersten Versuche im Filmbusiness gingen »voll in die Hose«, wie es Arash nennt.
Scheitern bis zum Hauptpreis
Gymnasium Schottenbastei, 1988, Freifach Medienkunde: Der sechzehnjährige Arash und sein bester Freund Gèza Horvàt entdeckten in der Schulzeit ihre Leidenschaft für das Bewegtbild. »Wir waren zu dieser Zeit von Koyaanisqatsi und der ganzen Qatsi-Trilogie fasziniert.« Godfrey Reggio schuf Anfang der Achtziger Jahre mit seiner Qatsi-Trilogie Experimentalfilme, die zivilisationskritisch den Menschen und sein Verhältnis zur Erde thematisieren. »Wir haben in Anlehnung daran mit einer VHS-Kamera Bilder über das Leben gedreht und zu Musik von Philip Glass und Mike Oldfield geschnitten. Allerdings – das hat total scheiße ausgesehen. Zufällig haben wir auf dem Schnittplatz den Stroboskop-Effekt entdeckt, der das Material nach Slowmotion aussehen ließ – wir waren begeistert von dem Effekt und haben gejubelt.« So entstand ein halbstündiger Film mit dem Titel »Verloren«.
Verloren hat der Film bei dem Schüler-Filmfestival, zu dem er eingereicht wurde. In der Jury saß Christian Berger, bekannt als Kameramann von Michael Haneke. »Es war fatal. Niemandem hat der Film gefallen. Berger hat gesagt: Der Film ist wie ein Gedicht, das man nicht veröffentlichen soll«, die Erinnerung bringt Arash zum Lachen.
Die beiden Jungproduzenten scheiterten noch ein zweites Mal – im nächsten Jahr beim gleichen Festival, mit einer Verfilmung von Kafkas »Der Kübelreiter«. Arash spielte selbst die Hauptrolle. Diesmal war es Kurier-Filmkritiker Rudolf John, der damals urteilte: »An Kafka sind schon Größere gescheitert, an Kafka kann man nur scheitern.« Aber dann kam das dritte Jahr im Freifach Medienkunde.
Mit dem Kurzfilm »Der Junge und die seltsame Wirklichkeit« konnten Arash und Gèza den Hauptpreis der Wiener Video- & Filmtage gewinnen. »Das war der erste Film, bei dem wir wirklich alles von vorne bis hinten unter unserer Kontrolle hatten. Sogar die Filmmusik haben wir selber gemacht – zufälligerweise hat sie Anton Noori gemacht, der gerade die zweite Hauptrolle bei Cops spielt.« Vom Hauptpreis, einem Praktikum bei »Wega Film«, zeigte sich Arash wenig begeistert – und trat es nicht an. »Das hat mich damals geärgert, dass ich als Preis noch etwas arbeiten hätte sollen. Der zweite Preis war ein VHS-Recorder, den hätte ich gerne bekommen.« Jahre später war es ausgerecht “Wega Film”, die seinen ersten Spielfilm produzierte.
Sehnsucht nach Utopie
Heute steht er am Set seines Films, auch ohne des Praktikums, dafür mit seinem Kollegen Anton Noori. Ein weiterer Nachtdreh: Auf einem langen Gang eines Gemeindebaus in Rudolfsheim-Fünfhaus steht der Schauspieler in WEGA-Uniform mit Kevlar-Helm und -Weste. Er wischt sich mit Kleenex Kunstblut von der Schläfe und dem Vollbart.
Über Arash findet er sehr persönliche Worte: »In den vergangenen dreißig Jahren hat sich Arash kaum verändert – er schaut sogar so aus wie damals, als ob die Zeit stehen geblieben wäre. Er ist vielleicht noch ruhiger geworden, als er es schon war. Er war immer schon sehr fokussiert auf das, was er sich vornimmt. Wofür ich ihn wirklich bewundere: Obwohl Arash geschätzte 25 Stunden am Tag erreichbar ist und arbeitet, strahlt er immer eine sehr angenehme und umgängliche Gelassenheit aus.« Wie Arash stammt auch Anton aus dem Iran.
Ob als Regisseur oder Produzent, ein großer Teil von Arashs Filmen ist mit seiner Biografie verknüpft. Ein wesentliches Motiv dabei: die Flucht. Oder umgekehrt: die Freiheit, und wie man sie erlangt. Was Freiheit für ihn bedeutet, verbindet er mit einem Erlebnis, das sich kurz nach dem Sturz des Shahs ereignet hat: »Meine Familie hat die verbotenen Bücher aus den Wänden geholt. Sie waren eingemauert. Ich kann mich noch genau an den speziellen Geruch des alten Papiers erinnern: das ist für mich der Geruch von Freiheit.«
Das war in Isfahan, auf dem Anwesen seiner Großmutter, bei der er aufgewachsen ist. »Ich habe eine tiefe Sehnsucht nach den Orten meiner Kindheit. Und wenn man es genau nimmt: Ich trauere einer Utopie nach, einem Was-hätte-sein-Können nach dem Sturz des Shahs. Aber es wurde einfach eine Diktatur von der nächsten abgelöst«, beschreibt Arash seine Gefühle für die alte Heimat. Er erinnert sich auch an Besuche bei seinem Vater, einem Lehrer, der aus politischen Motiven in Teheran im Gefängnis war. »Als politischer Häftling wurde er gefoltert. Noch Jahre später hatte er davon Magenblutungen und andere posttraumatische Störungen.«
Als Arash neun Jahre alt ist, fliehen seine Eltern mit ihm aus dem Iran. Die jüngeren Geschwister müssen sie dabei für einige Zeit im Iran zurücklassen – von deren späterer Flucht handelt sein Spielfilmdebüt »Ein Augenblick Freiheit«. 2008 erregte der Film Aufmerksamkeit, wird international mehrfach prämiert – in Österreich mit dem »Wiener Filmpreis«.
»Ich möchte einfach keine Filme machen, die distanziert sind«, bringt Arash seine Arbeit auf den Punkt. » Ich will die Menschen im Herzen und im Kopf berühren. Gänsehaut, sie sollen mit Gänsehaut im Kino sitzen und damit rausgehen.« In ihrer Dokumentation »Everyday Rebellion« gingen Arash und sein Bruder Arman noch einen Schritt weiter: Sie sammelten Beispiele und Handlungsanleitungen des politischen und zivilgesellschaftlichen Widerstands, begleiteten dazu unter anderem »Femen«, »Occupy Wallstreet« und »The Yes Man!«.