Die Langeweile einer verschlafenen Kleinstadt hat seinen Ehrgeiz geweckt: Aus dem Punk wurde ein Musikmanager, aus dem Jugendradio-Moderator ein Castingshow-Juror. Bemerkenswerte Stationen für einen, der mit 20 Jahren totgeglaubt war. Heute feiert Hannes Eder seinen 50. Geburtstag – und beschenkt sich mit der Gründung seines Labels Phat Penguin.
Es ist die vertraute Stimme eines Freundes, den man noch nie getroffen hat. Die Stimme ist die gleiche, der Freund ist gealtert. »Der 50er stresst mich nicht«, Hannes Eder schüttelt zuerst den Kopf, nickt dann aber unbewusst und spricht mit seiner Moderatorenstimme, wie einst im Jugendradio: »Die 30er habe ich durchgerockt wie mit 20. Aber seit dem 40er – aus jedem kleinen Wehwehchen kann ein Operationstermin werden.« Er deutet auf seine Schulter, zeigt dabei die Bewegung eines Schnitts. »Und diese Brille, werde ich mich jemals daran gewöhnen?«, die stechende Sonne hat seine selbsttönende Gleitsichtbrille dunkelbraun gefärbt. Sein Blick ist konzentriert auf den Boden gerichtet. Ein schmaler Pfad mit vielen Stolperfallen führt über verwucherte Gleisanlagen durch die Gstätten der Stadtwildnis am Wiener Nordbahnhof.
Mit seiner Stimme war Hannes Eder vielen ein Freund, die er gar nicht kannte – gerade in der Generation der heute 30- bis 40-Jährigen. Wöchentlich, teils täglich, war er zu Gast in ihren Wohnzimmern: zuerst als Moderator und Chefredakteur der Radiosendung »Treffpunkt Ö3« und später bei FM4, zu dessen Gründungsvätern er zählt. »Die Gründung von FM4 war lange vorbereitet und kam dann plötzlich«, erinnert er sich. Zwei Jahre lang lag ein Konzept für die vierte ORF-Sendefrequenz in einer Schublade der Chefetage. »Niemand hat so ein Konzept verlangt, wir haben es einfach gemacht.« Ausgearbeitet hat es Eder mit seiner Kollegenschaft aus den Ö3-Jugendkultursendungen »Treffpunkt«, »Zickzack« und »Musicbox«. »Ich war im Herbst 1994 gerade in Hawai surfen, da erreicht mich ›Treffpunkt‹-Kollegin Angelika Lang am Telefon: ›Komm sofort nach Hause, in zwei Monaten starten wir FM4.‹«
Nirgends willkommen
Ein aufgelassenes Bahnhofshaus dient als Location für ein Fotoshooting. Die weißen Schindeln der Fassade wurden mit Steinen zerschossen, die Wände innen und außen zieren Graffitis, die Böden sind mit Unrat bedeckt. Es stinkt beißend nach Ratten und Urin. »Genau solche Orte haben wir früher gesucht. Wir waren ja nirgends willkommen.« Früher, das war in den 80er-Jahren. Die Orte waren in Wiener Neustadt, einer Kleinstadt 50 km südlich von Wien. Das Wir war eine Hundertschaft jugendlicher Punks, eine Gemeinschaft junger Menschen, die »anders« sein wollte.
Die Fotos sollen ihn wieder als Punk zeigen. In einer Segeltasche hat Eder mehrere Outfits mitgebracht. »Schaut das punkig aus?«, er holt eine weiße Leinenhose und ein blau-weiß gestreiftes Polohemd heraus. »Nein, gar nicht. Das schaut ja aus wie im Yachtclub«, beantwortet er seine Frage selbst. Die Wahl fällt auf eine abgetragene graue Jeans und ein tief ausgeschnittenes schwarzes Shirt.
Das Outfit harmoniert mit Eders Tattoos. Ein verschlungener, chinesischer Drache, andere Fabelwesen und Ornamente räkeln sich auf Brust, Schultern und Oberarmen. »Meine Tattoos sind für mich Schmuck, ohne übergeordnete Symbolik. Ich suche die Artists nach ihrem Stil aus und bespreche dann, was ich gerne hätte. Wir tauschen Skizzen aus – das geht dank Internet auch mit Brooklyn.« Es ist wieder die Kombination aus Tonfall und Klang, die ihn so vertraut wirken lässt.
Leidenschaft für den Schmerz
Besonders vertraut war Eder einer Subkultur, deren Leidenschaft für das Leiden er in seiner Sendung »House Of Pain« ein Zuhause gab. Jeden Mittwoch nach 22 Uhr begann auf FM4 für jene vom Schmerz erfüllten Seelen die dunkle Stunde, die in Goth, Hardcore, Heavy und Death Metal ihr Heil suchten. Anmoderiert von seiner sanften Stimme ließ Eder zu brachial gehämmerten Gitarrenriffs möglichst bedrohliche Vocals brüllen. Bands wie Rage Against The Machine skandierten acht Mal hintereinander ein mehrdeutiges »Burn, burn, yes, ya gonna burn«. Für seine Hörerschaft wurde er zum Sprachrohr, vom Moderator zur Identifikationsfigur.
Doch nach acht Jahren fühlte sich Eder nicht mehr gefordert: »Mit dem 24-Stunden-Airplay von FM4 war ich fertig mit Radio. Es wird mir nichts Besseres passieren, als ›nation-wide‹ den alternativen Jugendsender zu gestalten. Das ist nicht zu toppen, nicht als Erlebnisfaktor für mich.« Eder verließ FM4.
Eingesteckt und ausgeteilt
Tief traf das FM4-Publikum der Verrat, dessen es ihn in Folge bezichtigte. Das Schlimme: Er machte steile Karriere. Zuerst hat er den Anruf eines Headhunters aus der Schweiz nicht beantwortet. »Wer ruft schon um 8.30 Uhr an?«, nach zögerlichem Rückruf und zwei Bewerbungsrunden wurde er 2003 CEO von Universal Music Austria. Noch schlimmer: Eder tauschte die Sounds der Finsternis gegen den Glanz der Primetime-Castingshow »Starmania«. Am schlimmsten: Er entdeckte in »Starmania« Christina Stürmer. »Dabei kann ich gar nichts dafür: Es war mit dem ORF schon lange vor mir ausgemacht, dass der Universal-Chef Juror der Show wird. Als ich beim ORF war, habe ich mich immer gegen das Fernsehen gewehrt, ich wollte nie vor die Kamera«, rechtfertigt sich Eder. »Und ganz ehrlich: Ich habe sogar mit mehr Bashing gerechnet. Gerettet hat mich, dass mein Feedback in der Show nicht ausschließlich nett war, dass ich ordentlich ausgeteilt habe.«
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