Die Langeweile einer verschlafenen Kleinstadt hat seinen Ehrgeiz geweckt: Aus dem Punk wurde ein Musikmanager, aus dem Jugendradio-Moderator ein Castingshow-Juror. Bemerkenswerte Stationen für einen, der mit 20 Jahren totgeglaubt war. Heute feiert Hannes Eder seinen 50. Geburtstag – und beschenkt sich mit der Gründung seines Labels Phat Penguin.
Eder hat sich fertig umgezogen, ein plötzlicher Wolkenbruch zwingt zum Verweilen im trockenen Teil des unwirtlichen Gebäudes. Er nutzt die Zeit, um Ordnung in die Segeltasche zu bringen, zeigt noch weitere Outfits her, die er vorbereitet hat. Was seinen persönlichen Musikgeschmack betrifft, musste sich Eder bei »Starmania« weniger überwinden als anzunehmen. »Ich hab in Wahrheit immer schon alles gehört – bis auf Schlager, Musical, und wenn der Jazz zu kopflastig wird. Deep House, Minimal-Techno, diese Genres sind für mich seelenlos.«
Ein Rest Anarchie
Für den Musikkonsum bevorzugt er Vinyl, er besitzt mehrere tausend Singles und Langspielplatten. »Eine LP aufzulegen ist wie eine Teezeremonie. Wie ich die großen Covers öffne, die Platte behutsam auf den Teller lege.« Letzte Spuren von Anarchie lässt Eder in seiner Plattensammlung zu: »Ich habe keine Ordnung, kein System. So unternehme ich musikalische Reisen durch die Scheiben, die immer Überraschungen bringen.« Diese Erfahrung kann ihm ein Streaming-Dienst nicht bieten. »Die Empfehlungen, also ›selected by machines‹, funktioniert für mich überhaupt nicht. Kein Computer kann meine ›Mood‹ richtig einschätzen.«
Welche Ironie: Eder selbst hat den Streaming-Anbieter Spotify nach Österreich geholt – automatisch generierte Playlists anhand des analysierten Musikgeschmacks sind eine Kernfunktion der Spotify-App. Ein Treffen in der Schweiz mit einem Spotify-Manager mit kolportiert einigen weißen Spritzern haben den Weg für den Markteintritt in Österreich geebnet.
Während Eder auf einem Bein balancierend schwarz-weiße Sneakers anzieht, kommt er leicht aus dem Gleichgewicht und tritt barfuß in eine undefinierbare graue Masse. »Na geh, wäh. Aber genau so war Wiener Neustadt. Die Stadt war schwarz-weiß, hat uns nichts geboten. Uns ist nur das Rebellieren geblieben. In eine Glockenhosenprinzen-Disco für die provinzielle Hautevolee haben sie uns nicht reingelassen. In einem Elektroladen am Hauptplatz durften wir Schallplatten hören, zwischen Staubsaugern und Stehlampen.« Unter dem Einfluss der Punkmusik begannen sie die Musik nachzuspielen und immer tiefer im nihilistischen Lifestyle zu versinken.
Legales und Illegales
Die Punkbands Dr. Steiff, Dämmerattacke, X-Beliebig und vor allem The Bates, mit Eder am Bass, bekamen über die Landesgrenzen hinaus Applaus. »Unsere treibende Kraft im Wiener Neustadt der 80er war die Langeweile. Uns ist viel eingefallen, Legales und Illegales. Unsere Graffitis waren jedenfalls systemkritisch«, erzählt er schmunzelnd. »Rückblickend war es vielleicht zu frech ›Mehr Anarchie in A‹ auf das Polizeirevier am Hauptplatz zu sprühen. Darf ich das überhaupt erzählen, ist das eh schon verjährt?«, und er ist sich sicher, das ist heute Schnee von gestern.
Die Graffitis haben im Gegensatz zum Schnee von gestern niemanden getötet. Wobei es weniger Kokain war, sondern Heroin, Alkohol und Suizide. »Mit 20 war ich auf neun Begräbnissen von Freunden, mit 14 das erste Mal – Selbstmorde und drogenbedingte Todesfälle. Das Paradoxe war: Mit jedem Exit, bei dem ich nicht dabei war, habe ich mich stärker gefühlt, unbesiegbarer.« Und er fügt hinzu: »Glücklicherweise habe ich das Zeug selber nie angerührt. Sonst wäre ich meinen Weg nicht gegangen.«
Eder geht im Bahnhofshaus neugierig von einem Raum zum nächsten, probiert Posen, wechselt die Positionen für die Kamera. Er wirkt dabei nachdenklich. Seit seinem Exit von Universal vor einem Jahr hat Hannes Eder gezielt die Langeweile gesucht. Ein Jahr Sabbatical hat er sich dazu genommen. Was er in diesem Jahr gemacht hat, wird er oft gefragt: »Viele wollen das wissen, um zu hören, dass es mir schlecht gegangen ist. Ich antworte: in dem Jahr habe ich mehr erlebt als die meisten, die 15 Jahre nur am Schreibtisch gesessen sind«, und damit meint er »alles, was Spaß macht: ein paar alte Vespas kaufen, in Brasilien surfen, an einem Film mitarbeiten, ein Album herausbringen und wieder Bassgitarre spielen«.
Auf seiner Suche wieder gefunden hat er den Punk. Zumindest die Musik, den Widerstand gegen Besitz und Konsum hat er vor Jahrzehnten unwiederbringlich aufgegeben. Die Bassgitarre liegt im Kofferraum von Eders Land Rover. Nach 17 Jahren spielt er sie wieder in einer Band, die den bezeichnenden Namen Totgeglaubt trägt. Das waren ihre sieben Mitglieder schließlich alle, sie sind lebende Überreste dieser legendenbildenden Punkszene Wiener Neustadts. Aus dadaistischen Originaltexten mit hohem Schüttelreimanteil ist 2016 das Album »Neubeginn« entstanden. Produzent und Regisseur Arash T. Riahi porträtierte die Band und die Szene von damals in seinem Dokumentarfilm »Und es fängt von Neuem an«.
Musikalischer Mehrwert
Jetzt ist die Zeit für einen beruflichen Neubeginn gekommen: Der Punk führt Eder wieder zurück ins Musikbusiness. Nicht zum Jugendradio, sondern zum eigenen Artist-&-Rights-Management mit angeschlossenem Labelbetrieb: Phat Penguin startet im Oktober. Der Fokus liegt auf jungen Talenten, die ganz am Anfang einer möglichen Karriere stehen, und die jedenfalls musikalischen Mehrwert zu bieten haben. »Uns interessiert nicht der schnelle kommerzielle Erfolg, wir wollen langfristigen Künstleraufbau betreiben – und zwar ausschließlich mit Musik, die für sich selber steht. Das ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Major-Labels heutzutage tun.« Die ersten Künstler? »Mit Felix Kramer haben wir einen wunderbaren Geschichtenerzähler aus Wien entdeckt, der auch musikalisch in keine Schublade passt. Und was das Dream-Pop-Duo Anger aus Südtirol drauf hat, das konnte man sich am Wochenende am Festival Waves Vienna anschauen – da gaben sie ihr Wiendebüt.«
Als Management-Partner baut Eder außerdem altersgerecht das Start-up .nunc auf. Es spezialisiert sich auf Streaming-Angebote von Opernübertragungen. Frei nach Mozart: »Neue Freuden, neue Schmerzen.«