Der Kulturinfarkt

Vier Vertreter des etablierten Kulturbetriebs beschweren sich über den etablierten Kulturbetrieb. Teilweise zurecht, teilweise ziehen sie die falschen Schlüsse.

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Die Autoren des neuesten Aufregerbuches fühlten sich bereits vor seinem Erscheinen so missverstanden, dass sie sogar mit gerichtlichen Schritten drohten: Weil der Deutsche Kulturrat ihnen fälschlich unterstellt hatte, dass sie die Hälfte der Kulturförderung streichen wollten, verlangten sie einen Widerruf. „Sorry, die Kulturinfarktautoren wollen doch nur die Hälfte der Kultureinrichtungen schließen“, musste die Interessensvertretung deutscher Kulturinstitutionen richtigstellen und soll nun 2000 Euro Anwaltskosten berappen. Und das ist nur der geringste Teil der Aufregung um den „Kulturinfarkt“. Dabei wissen wir doch, dass sich Infarktgefährdete nicht aufregen sollen!

Einen Infarkt nennt man in der Medizin das Absterben eines Gewebes infolge einer Sauerstoffunterversorgung. Nichtsdestotrotz diagnostizieren die Autoren nicht zuwenig, sondern zuviel Versorgung: „Von allem zu viel und überall das gleiche“ orten sie in der deutschsprachigen Kulturlandschaft. Sie verurteilen staatliche Kulturförderung als konzeptlos und innovationshemmend und schlagen provokant vor, dass man auf die Hälfte aller Theater, Museen, Bibliotheken und Orchester verzichten könnte. Also: Nicht die Hälfte der Subventionen einsparen, sondern umschichten – hin zu innovativeren, individuelleren, aber auch marktgängigeren Projekten.

Falsche Versprechen

Dabei treffen sie mit zahlreichen Punkten ihrer Analyse einen wunden Punkt: In der Tat fehlt es der Kulturpolitik vieler Länder und Kommunen an Konzepten und Visionen. Die allerorten und seit Jahrzehnten von kulturpolitischen Think-tanks ausgespuckte Proklamation „Kultur für alle!“ ist ein leeres Versprechen geblieben, wie die Autoren anhand zahlreicher Beispiele nachweisen: Trotz teilweise zweistelliger Wachstumsraten der öffentlichen Kulturbudgets – zumindest bis zur nun durchschlagenden Wirtschaftskrise – stagniert der Anteil jener, die die öffentlich subventionierten Kulturangebote in Anspruch nehmen auf allerniedrigstem Niveau. „Alle Kulturpolitik dient dazu die Ekstase zu bremsen“, attestieren die Autoren ketzerisch. „Was gefällt, hat verloren“. Auf deutsch: Um sich der herrschenden Kulturelite zugehörig fühlen zu können, muss man langatmige Opern und fade Ausstellungen über sich ergehen lassen. Hat was.

Aufgeblasene Kultur-Tanker

Mit Millionenbeträgen wurden dafür vor allem große Kulturtanker aufgepäppelt, die dank Inflationsanpassung und steigenden Personal- und Pensionskosten immer gefräßiger und dabei gleichzeitig immer träger werden. Kleine, innovative, gesellschaftskritische Initiativen, neue Kulturgenres (etwa im Bereich der digitalen Kunst), migrantische und andere marginalisierte Gruppen müssen sich mit beschämend geringen Förderbeträgen begnügen.


Beschämend sind übrigens auch viele Leitungsgehälter der großen Tanker: so hoch, dass sich die Bezieherinnen und Bezieher sogar schämen ihre Höhe zu verraten. Und überall, von den kleinen bis zu den großen, herrscht das große Jammern. "Das System steht vor dem finanziellen Zusammenbruch“, analysieren die Autoren. Das meiste Geld fließt in verkrustete Infrastrukturen, die meisten Kulturschaffenden und -einrichtungen haben zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel, obwohl, wie die Autoren mit militärischer Metaphorik vermerken, in den letzten Jahren „eine systematische kulturelle Aufrüstung“ stattgefunden habe.

Diese habe lediglich dazu geführt, dass die Kunstproduktion heute „gnadenlos“ angepasst und den Mächtigen dienlich sei: „Wir beklagen die Nähe zu Staat, Macht und Geld“. Statt dem Staat, der vorbei an der Nachfrage der potenziellen Kulturkonsumentinnen und -konsumenten subventioniere (und dem sie deshalb sowas wie Lustfeindlichkeit vorwerfen), würden sie die Kulturförderung lieber den Kräften des Marktes anvertrauen. Als ob die „unsichtbare Hand des Marktes“ nicht die gleiche, abhängig machende Nähe zu Macht und Geld erzeugen würde!

Ein Buch ohne Visionen

Der Ruf nach „mehr privat, weniger Staat“ – und das ausgerechnet jetzt, nach dem katastrophalen Scheitern der neoliberalen Ideologie – ist die große Schwäche des Buches. Die vier Autoren – die im übrigen selbst zum Teil von staatlichen Geldern leben – verzichten leider weitgehend darauf, sich Gedanken über innovative Modelle partizipativer oder demokratischer Finanzierungsmodelle zu machen und setzen stattdessen z.B. auf „Fonds zur Kapitalbeschaffung“, wie sie für die Kreativwirtschaft geeignet sein mögen, aber für widerspenstige, sperrige und ökonomischen Gesetzen nicht gehorchende Formen völlig ungeeignet sind. Best practice Modelle, also praktikable Beispiele innovativer Kulturförderung sucht man in dem Buch leider vergebens.

Statt Kulturpolitik rufen die Autoren nach kompetitiver Kulturindustrie: „Eine Kulturindustrie, welche den Namen verdient, würde sich nach außen öffnen und in Produkten denken, welche sich verkaufen mit Blick auf kulturelle Vielfalt und fremde Kontexte. Sie beschäftigte viele Menschen, sie wäre, da hoch kompetitiv, evolutiv.“ Konkurrenz, Wettbewerb, sich verkaufen. Als ob wir davon nicht schon genug hätten, als ob Kunst und Kultur sich nicht genau gegen diesen Wahnsinn der Ökonomisierung aller Lebensbereiche stellen sollten!

"Der Kulturinfarkt – Von Allem zu viel und überall das Gleiche" ist soeben erschienen.

Klaus Werner-Lobo ist Kultur- und Wissenschaftssprecher der Grünen Wien.

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