Die Welt geht an ihrem pathologischen Sex zugrunde: Mit der ambivalenten Wirkungsmacht von Pornografie thematisieren die TV-Serie »Xanadu« und der Film »Shame« moderne Entfremdung. Gleichzeitig entwickeln sie die Filmwelt mit selbstverständlicher Intimität weiter.
»Mein Schwanz ist alles, was ich habe. Die einzige Art, mich mitzuteilen.« Es klingt furchtbar lächerlich, wenn Pornodarsteller Brendon Hardon diesen Satz sagt. Er ist Teil eines ganzen Ensembles an tragischen Figuren, die in der Arte-Serie »Xanadu« durchexerzieren, wie moderne Menschen daran scheitern, miteinander intim zu werden. Fern von Vertrauen, Liebe, Familie oder Kunst verwahrlost hier jeder für sich. Vor dem Hintergrund von Mainstream-Pornografie, Gonzo-Leistungsdruck und fetischisierter Gewalt führt Sex zu tödlicher Einsamkeit. Xanadu ist ein Familienunternehmen der Pornofilmindustrie Frankreichs: In den 70ern war es berühmt für anspruchsvolle Erotik und das Starlet Elise Jess, der mysteriös verstorbenen Mutter der Familie. Vaterpatriarch Alex Valadine leitet 2011 immer noch die Firma. Er ist mit der schwangeren Ex-Darstellerin Varvara verheiratet und schwört vergeblich auf die Strahlkraft seiner verstorbenen ersten Frau. Die Industrie ist gnadenlos. Ihr Konkurrenzkampf wird in Zeiten von Streaming Media im Netz ausgefochten. Thronfolger Laurent will seinen Papa mit neuen Geschäftsmodellen verdrängen, wird aber von seiner Schwester Sarah und dem Regisseur-Bruder Lapo verdrängt. Die Ehen sind zerrüttet, die Familien dysfunktional und intrigant. Die überspitzten Pornodarsteller, wie Brendon Hardon oder Vanessa Body, sind (gemäß der Namen) Geiseln ihrer Körper, die jahrelang kapitalisiert wurden.
Pathologie des Beischlafs
Regisseur Daniel Grou und Drehbuchautorin Séverine Bosschem inszenieren den Sex in »Xanadu« vor allem gewaltsam und roh. Gleichzeitig stilisieren sie Intimität als das fragilste und höchste Gut – als Oase, wo die selbstzerstörerischen Figuren Vertrauen spüren wollen. All das wird gerahmt von einer fatalistischen Gesellschaftsordnung, in der repressive Tabus und ein breiter Pornokonsum parallel stattfinden. Die Suche nach der Wahrheit bedeutet bei »Xanadu« eine bitterliche Suche nach Geborgenheit. Die verschachtelte Montage mit ihren Rück- und Vorausblenden, die surrealen Traumszenen und die unscharfe Kamera hüllen die Serie zusätzlich in einen geheimnisvollen Grauschleier. Mit dem flirrenden Soundtrack von Konstantin Gropper (Get Well Soon) wird »Xanadu« zum großen mysteriösen Familiendrama.
Stilistisch und thematisch sehr ähnlich pathologisiert Steve McQueen Sexualität als Trennungssystem in seinem neuen Film »Shame«. in der betongrauen Atmosphäre eines unterkühlten New York spielt Michael Fassbender einen emotional abgestumpften Sexsüchtigen, der von seiner hysterischen Schwester (grandios: Carey Mulligan) herausgefordert wird. Rastlos arbeitet sich Fassbender körperlich an seinen Begierden ab. Er ist ein sozial entfremdeter Prototyp, der Liebe braucht, sich aber zwischen Prüderie und Pornografie aufreibt.
Bei »Shame« wie bei »Xanadu« wird dem Publikum eine düstere Welt gezeigt, in der Sex zum System der Trennung und Beziehungen zu Misstrauensverhältnissen geworden sind. Gleichzeitig wählen Serie und Film eine vorbildliche sex-positive Erzählperspektive, bei der Sex unmittelbar dargestellt wird. Durch das analytische Spielen mit seinen Formalia wird hier auf den filmischen Mainstream eingewirkt. So kann und muss zeitgemäßer Film, als Kino oder Fernsehen, selbstverständlich intim sein. So wird diese Pathologie des Sex abgerüstet, die bei »Xanadu« und »Shame« so eindringlich unter die Haut fährt.
Die erste Staffel von »Xanadu« erscheint am 8. März auf DVD (Sunfilm Entertainment). »Shame« kommt am 9. März in die österreichischen Kinos (Filmladen).