Unser Autor ist der größte Fan der Italo-Schlager-Legenden aus Augsburg und muss sich dafür häufig rechtfertigen. Er erzählt uns, was die Faszination Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys ausmacht.
Like, wer’s kennt: Es gibt diese seltenen Momente im Leben, dieses eine Lied, das dir nicht mehr aus dem Kopf gehen will, diese eine Band, die für dich alles richtig macht. Jeder neue Release wird mit Jubelschreien bedacht, du kennst jede Sekunde jedes Songs, du liebst diese Musik. Alle, die sich auf Websites von Musikmagazinen verirren, einen Blick in die weniger gewordenen Printausgaben in der Trafik oder im Kaffeehaus des Vertrauens werfen, wissen, was Sache ist.
Aber – und das ist das Schöne und gleichzeitig auch das Dings – die bedingungslose Rechtfertigung, das Rechtfertigen-Müssen für diese eine Band, kennst du vermutlich nicht. Wage ich zu behaupten. Wenn es nicht stimmt und es dir genauso geht, schreib es in die Kommentare. Aber halt! Guilty Pleasure, sagst du. Ich sage: Es ist etwas anderes. Ich fühle mich nicht schuldig, ich bin einfach froh, es zu erleben.
Wer die Fotos etwas oberhalb dieser Zeilen und oder auf Social Media, weshalb du wohl hier gelandet bist, gesehen hat, wird sich schon denken können, um welche Gruppe es geht: Um die Augsburger Italo-Schlager-Helden, was sag‘ ich, -Götter, Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys. Schockverliebt seit dem ersten Promo-Mail, als der Sänger noch Roberto Bianco hieß, seit den ersten Takten des zweiten Stückes des ersten Albums »Greatest Hits« aus dem Seuchenjahr 2020, das da »Baci« hieß. Seitdem: Bei jedem neuen Song die selbe Leier, erster Durchlauf: »Hm, ganz okay, aber nicht so gut wie die alten Stücke« (Indie-Boy halt), zweiter Durchlauf: »Okay, doch ziemlich geil«, dritter Durchlauf: Jede Zeile sitzt, »was kostet Amoooore? Quanto costa die Liebe zu dir?«, Song des Jahres, jeder Song. Die Liebsten dagegen: Instant genervt, fragende Blicke von Wien nach Palermo, »das ist nicht dein Ernst?«, »meinen die das ernst?«, »Dominik, du wirst mit dem Alter immer komischer«, »das ist Schlager«, »bist deppert?!«, »wer das geil findet, findet auch Gabalier geil«, nörgel, sorgenvoller Blick, Griff aufs Hirn. Aber so ist es nun einmal in der Liebe, die Widerstände sind dir egal. Der nächste Hit: »In Miamiii Beeeeeaach, in Miami Beeeeeeach«, wieder von vorne.
Normalerweise sind Sell-Outs ja nicht so mein Ding (Indie-Boy halt), aber wenn Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys Werbung für einen deutschen Discounter machen (wo bleibt der Cannes Lion?) und ihren Song umtexten, wonach alle Wege zu ihr nicht mehr in der Città Eterna führen, sondern in der Tiefkühlabteilung, wird stündlich der View-Count bei YouTube gecheckt, um ja hautnah den Erfolg miterleben zu dürfen.
Wenn du die Gruppe bislang noch nicht gekannt hast – wehe dir! – oder aber schon einmal einen Song gehört hast oder schon einmal meine Würdigungen in Jahrescharts – hier und hier und hier – gelesen hast, oder auf einen der Links oben geklickt hast, fragst du dich, wenn du kein Herz hast, vermutlich auch ein dezentes »Bist deppert?!«, aber, Antwort: Ganz und gar nicht. Weil – und das erklär ich dir jetzt. Das ist hier schließlich immer noch Musikjournalismus (auch wenn es gerade nicht danach aussieht).
Die Positionierung
Weil Punkt 1, logo, was predigen wir hier seit Jahren?: Du brauchst eine Corporate Identity als Band, damit du es zu etwas bringst. Der Voodoo Jürgens ist der Strizzi, der Paul Plut schaut in den Abgrund deiner Seele, der Nino aus Wien war am Anfang der ein bisschen Zugedröhnte, die Soap&Skin die Depressive, die Bilderbuchis sind artsy und was weiß ich noch, Übertreibung möglich. Wir verbinden mit Musiker*innen Lebensgefühle – und nichts anderes strahlen Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys aus. Die Vermarktung einer Gruppe ist hier eine wichtige Frage, das neue Label Electrola, auf dem das zweite Album »Mille Grazie« dieser Tage erscheint, ist da ganz unverhohlen und spielt geübtes Bullshit-Bingo: »Keine Band schafft es so gut das Lebensgefühl des Italo-Schlagers mit der Authentizität und Selbstverständlichkeit einer Indie-Band in Einklang zu bringen – ihre Positionierung am Markt ist dadurch einzigartig«, sagt Leonard Prashun, Senior Manager und A&R bei Electrola in einer Aussendung. Da hast du natürlich recht. Natürlich gibt es so etwas wie »ironischen Schlager«, wie man das auch nennen könnte, wenn man möchte, denke dabei an Schabernack wie Christian Steiffen oder ernste Künstler wie Dagobert, wobei, der hört das wahrscheinlich nicht so gerne. Aber: Du hast es nie in Verbindung mit einer eigentlichen Indie-Band, wo man merkt, dass das keine Marionetten eines außerweltlichen Musik-Moguls sind, Grüße gehen raus an Michael Jürgens.
Narrativ und Community
Positionierung hin und her, Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys haben ein Narrativ erfunden, das weit über das eines Strizzis hinausgeht. Dass die Legende besagt, die Gruppe hätte sich bereits 1982 gegründet – Happy 40th! – und sich dann nach Jahren der großen Erfolge in den Achtzigern und frühen Neunzigern 1996 aufgelöst, nur um sich 2016 wieder zu finden, mag zwar für manche als hausgemachter Schwachsinn erscheinen – ist es auch, zumindest hausgemacht –, ist für eine immer größer werdende Community aber durchaus Anlass zum Weiterspinnen der Idee: Nicht selten finden sich unter den YouTube-Videos – dazu später – von offensichtlich jüngeren Menschen Kommentare, die das Narrativ aufgreifen und von schönen Nächten im Napoli der 80er Jahre erzählen, wozu die Gruppe den Soundtrack geschrieben hatte oder von romantischen Stunden im 1er Golf Cabrio auf dem Weg zum Lido mit ausgeleierten, weil zu oft gehörten Kassetten. Da kannst du als Marketing-Mensch nur klatschen, weil du weißt: Jeder liebt Geschichten. Auch deshalb ist das Konzert in Wien zweimal hochverlegt worden, vom Chelsea ins Flex und schließlich in die Arena. Ein paar Tickets gibt’s noch.
Übrigens: Das Narrativ ist so erfolgreich, sogar das Leben und Streben des Richie Bravo aus dem neuen Seidl-Film »Rimini«, hat – zumindest für die Promotion der Begleit-CD – eine nicht unähnliche Backstory.
Corporate Design und Musikvideos
Um das Narrativ fachmännisch bedienen zu können, benötigst du auch den Look des Ganzen. Wenn du ein modernes Unternehmen sein willst, nimmst du ja auch kein Logo aus den 30ern. Wenn du eine Gruppe verkörperst, die aus den 80ern entspringt, benötigst du auch den Look dazu. Das eine sind die Klamotten, picobello Auswahl, uniformiert ohne Uniform zu sein. Was bei The Hives oder Kraftklub vermutlich zu militant wirkt, ist bei Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys stets Ausdruck eines Dolce Vita, La Grande Bellezza, wenn du so willst. Dazu kommt auch ein visuell eindrucksvolles und vorallem durchgängiges Design von Platten und Merchandise. Dass einer der Gruppe ein Design-Studio in Augsburg leitet, ist definitiv believable (und auch verbrieft). Das Studio zeichnet sich auch für die passend zum Corporate Identity gefilmten Musikvideos verantwortlich, die vornehmlich – natürlich – in Italien spielen: In Roma, Napoli, Palermo, in der Toscana und überall, wo deine Träume wohnen.
Bella Italia
Apropos Italia, dem Metathema der Band und auch dem großen Sehnsuchts-Metathema des österreichischen Pops, wie wir auch schon einmal ausgeführt hatten, kurz: Italien ist das Land, über das alle österreichischen und deutschen Gruppen früher oder später in ihrem Leben singen werden: »Strada del Sole«, »Die Pest im Piemont«, »Amore« sowieso, »Venedig geht unter«, you name it. Nach Jahrzehnten geht das in Fleisch und Blut über, da geht das Thema quasi runter wie Olivenöl. Und weil wir schon bei Österreich sind: Die Band kommt bekanntlich aus Augsburg, hinter den Reglern sitzen mit Zebo Adam, Alex Tomann und Martin Scheer aber Leute, die in Österreich weltberühmt sind.
Außerdem: Die Gruppe war natürlich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, ohne dem geht es nicht mehr. Die Reisebeschränkungen, die unmittelbar vor Release des ersten Albums eingetreten waren, öffneten Tür und Tor für sehnsuchtsvolle Stücke und Träume an die Adria, an den Lido und den Lago.
La Musica
Wenn du dir jetzt denkst, »na Oida, der Dominik fällt auf jeden Marketing-Trick rein, Inuit und Kühlschränke und was weiß ich«. Jein. Natürlich: Ein gutes Konzept ist immer geil. Positionierung, Narrativ, Look & Feel und das richtige Sujet sind selbstredend wichtig für den Erfolg einer Band, er steht und fällt aber natürlich mit der Musik, den Songs, den Texten, den Instrumenten, Melodien, Harmonien und was auch immer benötigt wird, um aus einer Idee – die eben aber auch gut sein muss – Hits zu machen. Und davon gibt es eben reichlich, auch auf dem zweiten Album, das erste sowieso 12/10 und das zweite ist zumindest 11,5/10, sag ich. Die ganz großen Hits sind alle schon bekannt, wurden tröpfchenweise veröffentlicht. »Giro« etwa, das mit seinen gar elektronisch klingenden Beats und der wunderbarer Trompete von einer romantischen Rad-Rundreise von Trieste nach Syrakus erzählt und mit seinem überlebensgroßen Refrain in Italienisch-Deutsch die volle Pracht der Gruppe zeigt. Oder dem schwungvollen »Quanto costa?«, das den großen Italo-Pop-Sensationen wie »Più Bella Cosa« in nichts nachsteht, oder dem Slide-Gitarren-Scheidungs-Hit »Miami Beach«, der zwar thematisch über dem großen Lago spielt, aber trotzdem wie die Faust aufs Auge zum Narrativ passt. Oder »Bella Napoli« oder »Brennerautobahn« oder »Cosenza bei Nacht« oder »Sprizz« oder oder oder. Wie sagten es Sum 41 so treffend – ihr steht ja alle wieder auf die frühen Nuller, ihr müsst das wissen –: »All Killer, No Filler«.
Also bitte, können wir jetzt bitte alle die größten Fans sein? Nein? Okay, ich wollt’s nur gesagt haben. Selber schuld.
»Mille Grazie« von Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys erscheint am 8. April 2022 via Electrola. Konzerttermine in Österreich: 23.4. Arena Wien, 2.9. Posthof Linz. Kann man überall kaufen, tu der Band etwas Gutes und kaufe das Album im offiziellen Onlineshop.