Am dritten Tag der Diagonale gibt es in Graz vor allem Dokus, Dokus, Dokus – und feinsten Austro-Trash mit Rainhard Fendrich.
„Secondo Me“ von Pavel Cuzuioc begleitet drei Garderobiers an der Wiener Staatsoper, der Oper in Odessa und der Mailänder Scala durch ihren Alltag. Wer sich jedoch nur Szenen erwartet, die zwischen Kleiderbügeln und Garderobentickets spielen, vermutet falsch; diese gibt es zwar auch, jedoch wollte Pavel Cuzioc dezidiert keinen Film über die Oper per se machen; die verschiedenen Opernhäuser dienen lediglich als Location. Und so zeigt er seine drei ProtagonistInnen (Roland Zwanziger, Nadezhda Sokhatskaya, Flavio Fornasa) in allen möglichen Szenarien, ist dabei, wenn Nadezhda mit ihrem Enkelsohn skypt, lässt sich von Flavio einiges über italienische Politik und Geschichte erklären und begleitet Robert im Fitnessstudio oder bei seinem Hauptjob in der Bibliothek der Universität Wien. „Secondo Me“ ist ein Film, der seine ProtagonistInnen ernst nimmt und daran erinnert, dass jeder Mensch eine Geschichte zu erzählen hat.
Glück und Unglück
Grafikdesigner-Darling Stefan Sagmeister ist in seinem Langzeitprojekt „The Happy Film“ seinem eigenen Weg zum Glück auf der Spur. Sein Befinden, das laut Sagmeister eben noch besser sein könnte, soll in einem Selbstversuch durch Meditation, Therapie und Psychopharmaka gepuscht werden. „The Happy Film“ ist natürlich optisch ein Genuss, der Film selbst gibt jedoch keine Handlungsanleitungen. Sagmeister kehrt sein Innerstes nach außen, ist auch – vor allem gegen Ende des Films – selbstkritisch. Selbst oder gerade weil er keine direkten Antworten, keinen fixen Weg zum Glück präsentieren kann, verleitet „The Happy Film“ zur Reflexion des eigenen Lebens; wem nicht so nach Reflexion ist, der/die kann sich noch immer an den wirklich aufwendig und gut gemachten Bildern erfreuen.
Mit Glück hat „Sühnhaus“ (Regie: Maya McKechneay) genau nichts zu tun, sondern viel eher mit dem Gegenteil. Die Dokumentation erzählt die Geschichte einer Adresse, die vom Unglück verfolgt zu sein scheint: Schottenring 7-9. Wer dort heute mit der Bim entlang fährt, bekommt das Gebäude der Polizeidirektion Wien, ein unspektakulärer Bau aus den 1970ern, zu sehen. Dieses trägt jedoch viel Geschichte in sich: Am 8.12.1881 brannte hier das Ringtheater ab und 384 Menschen kamen qualvoll zu Tode. Doch das ist nicht der einzige Unglücksfall dieser Adresse, wie im Film – ohne hier allzu viel verraten zu wollen – nach und nach gezeigt wird. „Sühnhaus“ wird zum Film über das Erinnern, fragt, was es für die Gesellschaft bedeutet, worüber sie sich erinnert, und macht damit zugleich ein Statement darüber, wie sehr Klassenstrukturen eine Gesellschaft ausmachen und wie sich die Macht der Oberschicht im Fall dieser Unglücksadresse widerspiegelt.
Tiere und andere menschlichen Entscheidungen
Weniger brutal geht es in „Tiere und andere Menschen“ von Flavio Marchetti zu. Wem Tiervideos auf YouTube nicht genug sind, der kommt hier auf seine Kosten. Marchetti holt die Mitarbeiter und tierischen Bewohner des Wiener Tierschutzhauses vor die Kamera und präsentiert deren Alltag; da bekommt eine Schlange eine Spritze, wird ein Affe operiert und ein Schwan eingeschläfert, werden Hunde weitervermittelt und Katzen untersucht. Marchetti zeigt Tierliebe, erinnert aber auch daran, wie verantwortungslos manche mit Tieren umgehen.
In „Die Dritte Option“ (Regie: Thomas Fürhapter) wird schlussendlich anhand des Themas Pränataldiagnostik ein Diskurs über Körper und Biopolitik im Neoliberalismus geführt. Fürhapter zeigt, dass die Pränataldiagnostik die Eltern (und damit in erster Linie die Frauen) in eine Zwangsentscheidung drückt. Für „Die Dritte Option“ hat Fürhapter mit vielen medizinischen ExpertInnen und Betroffenen gesprochen, ihre Statements werden im Zuge des Films von SprecherInnen gelesen, dazu zeigt Fürhapter Bilder, die meist die Themen Konstruktion, wie etwa die Herstellung von Playmobil-Figuren, oder Körperkult (Stichwort: Fitnessstudio) aufgreifen. Ein zum Diskussionen anregender Film.
Es lebe der Trash
Nach all diesen facettenreichen Dokumentationen hat sich das Gehirn eine Auszeit verdient und kaum ein österreichischer Film wäre hierfür besser geeignet als „Coconuts“ – präsentiert von The Gap – von Franz Novotny mit u.a. Rainhard Fendrich. Hat dieser Film doch alles, was gutes Trash-Kino ausmacht: Explosionen, nackte Haut, Dialoge mit Fremdschäm-Faktor, fragwürdige Mode, einen eigensinnigen Plot und sogar Rainhard-Die Föhnfrisur-sitzt-Fendrich.
Eindrücke vom ersten und vom zweiten Tag haben wir natürlich auch für euch. „Coconuts“ ist demnächst auch im Filmarchiv zu sehen.