Junge Menschen, junge Medienformate – Der journalistische Wandel auf Social Media

Sowohl in der Coronakrise als auch in der Berichterstattung sind sie der blinde Fleck: junge Menschen. Konventionelle Medien scheinen diese umgekehrt auch nicht zu interessieren, lieber hängen sie auf Instagram und Tiktok ab oder schauen Youtube-Videos. Die Chefredaktion will genau da den Bezug wiederherstellen. Warum Journalismus auf Social Media so wichtig für Jugendliche und den Wandel der Medienwelt ist.

© Adobe Stock / Fotomontage

»Mir war, seitdem ich im Journalismus bin, immer klar, dass es zwei Gruppen gibt, die wir nicht erreichen: Junge und Menschen mit Migrationshintergrund. Ich habe mich immer gefragt, wie man das ändern kann. Ich bin draufgekommen, dass es in den bestehenden Strukturen als einzelne Journalistin einfach schwierig ist. Mein Traum war es eigentlich immer, ein Medium für junge Menschen leiten zu dürfen, das Angebot war jedoch nie da.« Melisa Erkurt zählt zu den bekanntesten Journalist*innen des Landes und hat mit ihrem Buch »Generation haram«, das im August des Vorjahres erschienen ist, medial für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Im Jänner 2021 erfuhren wir von dem nächsten großen Projekt. Zusammen mit dem Biber-Magazin gründet Erkurt Die Chefredaktion und revolutioniert damit die österreichische Medienwelt.

Die Chefredaktion ist das erste professionelle österreichische Medium, das es nur auf Instagram und Tiktok gibt – also auf Plattformen, die von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verwendet werden. Die Redakteur*innen produzieren für die gängigen Social-Media-Formate Content zu gesellschaftspolitischen Themen – aus dem Blickwinkel von Teenagern unterschiedlicher Hintergründe. Und das mit Erfolg: Eine Woche nach Launch wird Die Chefredaktion bereits von 10.000 Menschen auf Instagram gefolgt. »Die Nachfrage ist einfach groß«, so Erkurt.

Zuhören, wo andere weghören

»Ich finde es mega cool, dass die Journa­list*innen von Die Chefredaktion so unterschiedlich sind. Man merkt, dass der Fokus auf Diversität liegt, und dadurch kriegt man in manchen Themen, vor allem wenn man sich selbst auch mit den Redakteur*innen identifizieren kann, einen näheren Bezug«, erklärt Ayah. Sie ist 22 Jahre alt, hat gerade ihren Bachelorabschluss in internationaler Betriebswirtschaftslehre auf der WU Wien gemacht und ist eine der mittlerweile 17.000 Follower*innen des Medienaccounts. Aufmerksam darauf wurde die Wienerin durch Melisa Erkurt, der sie schon davor auf Instagram gefolgt ist. Besonders schätzt sie an Die Chefredaktion, dass Themen beleuchtet werden, die in Massenmedien kaum erwähnt werden. Themen wie Rassismus, die Lage von Geflüchteten und Studierenden in Zeiten der Coronakrise. Junge Menschen informieren sich zum Großteil über soziale Medien, das sollten vor allem öffentlich-rechtliche Medien erkennen, um dahingehend attraktiver zu werden. Ayah: »Ich würde mir wünschen, dass traditionelle Medien auch über ähnliche gesellschaftspolitische Themen berichten, wie Die Chefredaktion. Es ist wichtig für unsere Gesellschaft Jugendliche weiterzubilden.«

Gründete Die Chefredaktion: Melisa Erkurt (Foto: Vedran Pilipović)

Bevor Melisa Erkurt Die Chefredaktion gegründet hat, hat sie sich Tipps geholt – von unseren deutschen Nachbar*innen. Social-Media-Journalismus für junge Zuseher*innen ist dort nämlich bereits etablierter. Das ARD- und ZDF-Content-Netzwerk Funk produziert eine Vielzahl an Youtube-Dokus und Tiktoks für junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren. Youtube-Känale oder Instagram-Accounts, die Teil des Funk-Netzwerks sind, werden durch den Rundfunkbeitrag finanziert und bleiben somit für möglichst viele Menschen zugänglich. Förderungen – wie jene von der MEGA Bildungsstiftung und der Wiener Medieninitiative – haben es Melisa Erkurt erst möglich gemacht, Die Chefredaktion, die Teil des Biber-Netzwerks ist, zu starten. Noch sind bei dem Medienprojekt die Redakteur*innen als freie Dienstnehmer*innen dabei oder arbeiten geringfügig, ab Herbst soll eine geförderte Vollzeitstelle besetzt werden.

Niederschwellig, kostenlos

Die Chefredaktion plant, immer niedrigschwellig zugänglich und damit kostenlos zu bleiben. An neuen Finanzierungsmöglichkeiten wird bereits gearbeitet.

Ob sich klassische Medienhäuser der neuen Welle des Onlinejournalismus auf sinnvolle Art anschließen werden, ist noch offen – die ersten Möglichkeiten wurden allerdings bereits verschlafen. Erkurt erkennt einen Trend: »Klassische Redaktionen sehnen sich gerade nach jungen Menschen, die wissen, wie man Tiktoks macht. Eigentlich sollte sich hier der Journalismus selbst weiterbilden.« Und dass der klassische Journalismus jetzt versucht mitzuhalten, sieht man: beispielsweise an jüngeren Projekten wie Dein Standard von Der Standard oder k.at vom Kurier.

Die Chefredaktion findet sich auf Instagram und Tiktok unter dem Handle @die_chefredaktion.

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