US-Rap ist schwuler Pop, knallbunte Fassade, voller Rätsel und kommt trotzdem von der Straße. Willkommen in der sich emanzipierenden Welt von Nicki Minaj, der besseren Lady Gaga.
Die Hosen von etablierten US-Rappern hängen derzeit tiefer als üblich, denn sie haben sie gestrichen voll. Eine populäre neue Figur behauptet sich als bunte Alternative, macht ihnen den heiß umkämpften Markt streitig und ist noch dazu eine Frau: Nicki Minaj (sprich cirka: Minaasch). 1984 in Trinidad geboren, wuchs sie im New Yorker Stadtteil Queens gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem drogensüchtigen Vater auf. Sie lernte Schauspiel an der Performing Arts High School La Guardia, ehe sie beschloss, Rapstar zu werden. 2007 nahm sie Superstar Lil Wayne kurz nach ihrem Track »Click Clack« unter Vertrag. Seitdem ist sie das weibliche Aushängeschild seines Unternehmens Young Money Entertainment. »Ich habe das 12-Schritte-HipHop-Programm komplett mitgemacht: die Mixtapes, die DVDs, die Low-Budget Videos, kleine Shows – ich bin jetzt bereit“, sagt sie, und es hat sich ausgezahlt. Ohne offizielles Album, allein mit drei Mixtapes (eines pro Jahr seit 2007) und unzähligen, prominenten Kollaborationen (Lil Wayne, Drake, Usher, Mariah Carey, Ludacris etc.), konnte Nicki Minaj bereits weit über vier Millionen Tonträger anbringen, Tendenz – selbstverständlich – stark steigend.
Am 22. November wird endlich ihr Debüt »Pink Friday« veröffentlicht (zeitgleich mit Kanye Wests neuem Album und einer Hits-Collection von Jay-Z). Im von Kanye West produzierten, gemeinsamen Track »Monster« richtet Minaj ihren Kollegen schon mal aus, »Yeah I’m in that tonka, color of Willy Wonka, you could be the king but watch the queen conquer“ und: »Ok first things first I’ll eat your brains, Then I’m a start rocking gold teeth and fangs cause that’s what a muthafucking monster do.« Nicki Minaj hat Rappen als Kunstform studiert und das künstliche Business rundherum gleich dazu. Sie weiß was sie kann, was sie will und was sie tun muss, um als Individum kommerziell erfolgreich sein zu können.
Lady Gaga des Rap
Dieses Individuum zu fassen ist schwierig. Minaj gefällt sich als knallbunte Kunstfigur, die lustvoll bis lüstern unterschiedliche Rollen spielt. Ihr Rap-Repertoire umfasst nicht nur verschiedene Dialekte und Stile, sondern auch gleich mehrere Charaktere in vielfältigen Kostümen und Perücken – Nicki Lewinski, Nicki the Ninja, Nicki the Boss, Nicki the Harajuku Barbie und den schwulen Roman Zolanski. Musikalisch bewegt sie sich meist zwischen Southern Rap, Electro-Pop und R’n’B. Die selbstsichere Sexualisierung leiht sie dabei von Lil Kim, den Humor von Missy Elliott und den spielerischen Identitätenwechsel von Lady Gaga. Authentizität ist das hohe Gut einer bierernsten Rap-Szene, mit dem sie wunderbar jongliert. Zumindest wusste sie ihre Mixtapes samt Videoclips als Spielwiesen zu nutzen. „Ich muss den Leuten beibringen, wieder eine weibliche Rapperin zu akzeptieren, meinen Style und all das – danach wird das Album kommen“, stellte sie damals fest. Theatralisch und effektvoll mutierte sie dann mehrfach zur drag-queen-haften Gallionsfigur eines äußerlich emanzipatorischen Pop-Rap: „Ich kann kreativer als ein männlicher Rapper sein. Und ich kann meine Titten herzeigen.“
Exploitation, Entertainment oder doch Empowerment?
Ob sie als FeMC letztlich auch gläserne Decken durchbrechen wird, ist bei feministischen Medien hingegen umstritten. Denn vom Mainstream-HipHop wird nicht nur Talent, sondern auch ein sexy Körper verlangt. Einerseits gebe sie sich verbaler Aggression und der sexuellen Objektivierung kritiklos hin, andererseits wird sie als wichtige Türöffnerin für nachkommende FeMCs sehr hoch geschätzt. Für viele Fans dient sie als Role Model. Sie selbst will sich weder vereinnahmen noch reduzieren lassen. Wissend um die Geschlechterverhältnisse im HipHop, spricht sich Nicki Minaj in Interviews dagegen aus, dass FeMCs entweder street oder sexy sein müssten: »Die weiblichen Rapperinnen meiner Tage haben viel über Sex geredet und ich dachte, um ihren Erfolg zu haben, müsste ich dasselbe Ding wiedergeben, obwohl ich das eben genau nicht muss.«
Nicki Minaj repräsentiert einen Feminismus Light, bei dem es zunächst vor allem darum geht, individuelle Entscheidungen treffen zu können. Sie will Entertainer sein, innerhalb des Systems. Normen werden durch eine selbstbewusste Performance und durch eine lyrisch verspielte Sprache umwandert. Inhaltliche Auseinandersetzungen bleiben hintergründig. Ihr wird vorgeworfen, was sich Foxy Brown und andere selbstbestimmte Bitches schon in den 90ern anhören mussten. Minaj entgegnet: »Ich hatte immer dieses weibliche Selbstermächtigungsding im Hinterkopf, weil ich wollte, dass mein Mutter stärker ist, als sie es sein konnte. Ich dachte, wenn ich erfolgreich bin, kann ich auch ihr Leben verändern.« Zuerst die Arbeit, dann die Emanzipation.
Darüber hinaus sind zahlreiche ihrer Songs voll mit homosexuellen Inhalten, sie selbst präsentiert sich als zumindest bisexuell. Sie spricht sich öffentlich gegen Homophobie aus und versucht ihren vielen queeren Fans Mut zu machen. Anstatt sich selbst zu outen, verweist sie stets kryptisch auf ihre Songs. Und dennoch: Noch nie zuvor war Homosexualität in amerikanischem HipHop so präsent wie seit Nicki Minaj, noch nie war US-Rap so nah an Diversität. Sie weiß es: »Es gab schon viele schwule Rapper, sie sind nur noch nicht aus dem Kasten gekommen, haben sich nicht dazu bekannt.« Geht es nach Nicki Minaj, ist die Zukunft des Rap sehr pink und aufregend. Vorausgesetzt, ihr Debüt hält den Abwechslungsreichtum, den ihre bisheriges Tun versprochen hat.
Am 23. November erscheint hierzulande »Pink Friday« von Nicki Minaj und wird via Young Money Entertainment (Universal Motown) erhältich sein.