Für die Grazer Autorin Valerie Fritsch läuft es momentan rund. Ihr Roman »Winters Garten« geht in die zweite Auflage und beim Wettlesen um den Bachmannpreis in Klagenfurt konnte sie einen Sonderpreis abgestaubt. Anbei eine Kurzgeschichte, die ihre Vorliebe unterstreicht, Scheinidyllen zu zerstören.
Die Geigen
Der Geigenladen lag neben einem Südfrüchtegeschäft und einem schmalen Wohngebäude in einer kleinen Straße voll von großen Häusern. Die Tanzmeistergeigen hingen mit langen Hälsen an den Wänden und die Cellos lehnten aufgespießt und einbeinig in den Ecken. Die Violinen lagen stumm in ihren Etuis, als wären es Särge und im Sommer saßen die Fliegen auf den Saiten der Harfen, bis man sie anschlug. An den Fensterscheiben drückten sich die Kinder die Nasen platt und die Jungen spähten hinein nach den Formen der Instrumentenkörper, weil sie sie an die Taillen jener Mädchen erinnerten, die nie mit ihnen sprachen. Draußen tobte die Welt vorbei, aber im Inneren des Geigenladens war es zu jeder Tages- und Nachtzeit die Ruhe eines warmen Sonntagnachmittages, die über den Instrumenten lag und nicht aufhörte damit.
Laura Aich rauchte strohhalmdünne Zigaretten zwischen den zum Verkauf aufgespannten Saiten und berührte die mit Silberdraht umsponnenen Därme als spiele sie mit kleinen Katzen. Es war still in den Räumen. Die Gedanken waren so präzise, dass sie durch die Mitte des Stundenglases passten. Die Melodien saßen als Mobiliar im Kopf. Die Besitzerin des Geigengeschäftes schritt behäbig die Violinreihen auf und ab und die Kontrabässe schrumpften neben ihrem aufgedunsenem Leib zu Spielzeugfideln. Der fette Körper platzte aus allen Nähten und die Haut blähte sich feist um die weit aufgerissenen Äuglein.Zwischen den hölzernen Torsos und den furchterregend roten Blüten der Gladiolen, die neben der Kasse standen, machten die Kunden einen Bogen um die dicke Frau. Sie schien zu schlafen mit aufgeschlagenen Lidern und die Welt vergessen zu haben, oder: nie gekannt. Ihre Bewegungen waren langsam und ungenau. Auf ihren Schlüsselbeinen waren Violinschlüssel tätowiert, die auf dem Knochen saßen, als wären sie ein Schwarm Vögel. Jene, die sie sahen, sahen einen aus dem Fleisch berstenden Menschen mit Augen wie zerbrechenden Glasscheiben, und jene, die mit ihr sprachen, waren überrascht von der klangvollen Stimme, mit der sie alle Fragen beantwortete. Sie sah aus den Fenstern, um nicht in ihre Gesichter zu sehen. Sie fürchtete die Entgleisungen der Gesichtszüge und die Disharmonie ihres Tonfalles. Sie zog die Musik der menschlichen Stimme vor und fürchtete die Kluft, die zwischen den Worten und den Wirklichkeiten, in die man sie umdeuten musste, lag. Sie reichte den Käufern die Cellos und Violinen träge und beobachtete argwöhnisch, wie die Frauen die Instrumente mit spitzen Fingern anfassten, wie ihr vorkam, und schloss die Augen, wenn es ihr zu grausam schien. Manches Mal versteckte sie sich regungslos im Hinterzimmer und hielt sich die Ohren zu, bis die Kunden ratlos wieder gegangen waren und die Türe hinter ihnen ins Schloss fiel.
Draußen schwangen die heiligen Narren die Zepter und jagten die Straßen hinunter in wilder Hetze, aber drinnen regierten die Rümpfe der Geigen. Sie war gierig nach den hölzernen Herzen der Instrumente und neidisch auf die schmalen Taillen der Violinen. Die Männer die kamen, hoben die Geigen aus ihren Kästen, so vorsichtig, als trügen sie Mädchen zu Bett und legten sie an die Brust, als wären sie Geliebte. Sie strichen die Saiten wie Haut. Sie bewunderten die Formen atemlos. Waren sie von ihren Frauen verlassen worden, schliefen die Geigen im Bett. Es roch nach Fichtenholz und Kolofonium. Alle erlagen sie dem Zauber. Laura Aich stand eifersüchtig neben den Kunden und konnte sich nicht erinnern, wann ein Mann sie das letzte Mal so berührt hatte, wie sie es mit den Instrumenten taten.