Wenn das Grundgerüst hält, hat ein Spiel schon gewonnen. In »Sunset Overdrive« macht ein Energy-Drink Menschen zu Mutanten.
Im Wechselspiel von Brettspiel-Autoren und Verlagen ist es durchaus üblich, dass die Kreativlinge sich erst einmal nur ein Spielsystem ausdenken. Da muss geklärt werden, was die einzelnen Spielenden können und müssen, unter welchen Bedingungen das Spiel endet und wer es dann gewonnen hat. Und zu guter Letzt überlegt sich dann der Verlag, was für ein Thema man dem Ganzen überstülpen möchte – je nach Mode und Saison.
Jetzt sind Zombies und Mutanten natürlich keine Kinder ausufernder Kreativität, aber sie sind in Mode und haben scheinbar immer Saison. Und das Spielsystem, dass sich die Herrschaften von Insomniac ausgedacht haben, um letztendlich „Sunset Overdrive“ zu kreieren, hat tatsächlich seine Stärken. Da trifft nämlich „Tony Hawk“ auf „Serious Sam“ und wir grinden und bouncen was das Zeug hält, weil im Kampf gegen die Mutanten-Horden letztendlich nur der Style zählt.
Freilich hätten Insomniac und Microsoft der rasanten Spielidee ein etwas weniger abgedroschenes Mäntelchen überwerfen können, als das der Postapokalypse. Aber angesichts der enormen Entwicklungskosten, die in der Welt der digitalen Spiele zum Alltag geworden sind, ist Risikomanagement gefragt. Zu viel Innovation erfreut die Kritiker, versagt aber gerne an den Kassen.
Wenn ein missglückter Energy-Drink Menschen zu Mutanten macht und die stereotypischsten Haudegen der Stadt dem Weltuntergang den Kampf ansagen, fühlen sich Videospiel-Veteranen so heimisch wie im Café an der Ecke. Und dieser erste Moment der Vertrautheit tut auch gut, denn der Rest des Spiels ist ein irrwitziger Amoklauf in Neonfarben, der Autos zu Trampolinen, Teddybären zu Granaten und die ganze Stadt zum Geschicklichkeitsparcours werden lässt.
Für etwaige Logikfehler und andere Ungereimtheiten nimmt sich das Spiel schuldbewusst selbst auf den Arm. Hauptsache der Flow setzt irgendwann ein. Denn wenn die Steuerung einmal verinnerlicht ist und die Sohlen unserer virtuellen Flip-Flops seit Minuten keinen festen Boden mehr berührt haben, wird das Setting zu Nebensache. Dann entfaltet sich das System darunter und fesselt im Fall von „Sunset Overdrive“ vor allem die ehrgeizigen Trickser an die Konsolen. Frei nach Tony Hawk dürfen die Kombos niemals enden, auch wenn die Mutanten sich unter uns häufen und alle Teddys verschossen sind.
Geschichten zum weitererzählen werden in „Sunset Overdrive“ keine geboren. Und für lange Sessions ist das Spiel einen Tick zu monoton. Aber dafür gibt’s Spielhallen-Flair, wie es ihn in Spielhallen nie gab, weil das System Bekanntes und Neues zu einem tatsächlich innovativen Gesamtgefüge verbindet. Kein Dauerbrenner aber ein Spiel, das immer wieder auf’s Neue eine Runde lang Spaß macht.
»Sunset Overdrive« ist bereits für Xbox One erschienen.