Eva Sangiorgi über die erste Viennale unter ihrer Leitung, ihre bisherigen Erfahrungen und die immerwährende Leidenschaft für den Film.
Sie haben davon gesprochen, dass die Viennale unter Ihrer Leitung ein jüngeres Publikum ansprechen soll. Wie?
Wir arbeiten an verschiedenen Projekten. Es wird spezielle Screenings für SchülerInnen geben, die wir mit anderen Partnern durchführen werden. Weiters haben wir einige Kollaborationen mit Universitäten geplant und es wird ein neues spezielles Ticket für Studierende geben: Reduzierte Tickets um € 6,50 werden für diese verfügbar sein, wenn sie am Tag der Vorführung gekauft werden.
Wie sehen Sie das Kino als kulturellen sowie sozialen Ort, vor allem in Zeiten der Streamingdienste?
Trotz neuer Medien und anderer Unterhaltungsmöglichkeiten ist das Kino weiterhin bedeutend und mächtig – besonders zu Festivalzeiten. Ins Kino zu gehen und einen Film mit anderen Menschen zu sehen, das ist noch immer ein Ritual und eine komplett andere Erfahrung. Ich denke, es ist Ziel eines Festivals, diese Funktion zu erhalten. Natürlich verändern sich die Zeiten und das will niemand unterbinden, aber audiovisuelle Erziehung braucht das Kino als Institution. Was ich damit sagen will: Wir werden falsch informiert, indem wir mit visuellen Informationen bombardiert werden und uns berieseln lassen. Natürlich ist es auch möglich, einen Film zuhause oder auf dem Smartphone zu sehen, aber es ist nicht dasselbe wie im Kino. Das Kino bedient sich einer Sprache, die komplexer ist, da es sowohl Bilder als auch Sound benötigt.
Sie haben das FICUNAM Festival in Mexiko gegründet und geleitet. Können Sie uns etwas über die Unterschiede zwischen diesem Festival und der Viennale erzählen?
FICUNAM war an einer Universität mit mehr als 300.000 Studierenden untergebracht und wurde auch von dieser beworben, aber es war kein Uni-Filmfestival. Es war ein junges Projekt, das ich vor acht Jahren startete. Es hatte daher ein sehr junges Publikum, das Programm war international. Es gab immer viele Diskussionen und Masterclasses und wir hatten viele Begegnungen mit KritikerInnen, da das Festival ein internationales Filmkritikforum beinhaltete. Es war zudem ein Festival mit Wettbewerb. Um zurück zur Viennale zu kommen: Ich mag, dass diese keinen Wettbewerb beinhaltet, sondern eine Auswahl der besten Filme des Jahres zeigt und dadurch ein sehr kuratiertes Festival ist. Ich kann mich entscheiden, für welche Art von Kino ich stehen will.
Nach Veronika Haschka, die dem Festival von 1988 bis 1990 gemeinsam mit Helmuth Dimko vorstand, sind sie die zweite Frau, die die Viennale leitet, und die erste, die diesen Job alleine ausfüllt. Was ist Ihre Position in Bezug auf Gender und die Kulturindustrie?
Es war und ist ein Problem in vielen verschiedenen Bereichen. Ich denke, es ist wichtig, über Gender und Gleichberechtigung zu sprechen. Es ist wichtig, für gleiche Rechte und Möglichkeiten zu kämpfen. Ich hatte immer Glück und war nie in einer komplizierten Situation, aber ich hoffe natürlich, dass Männer und Frauen gleichberechtigt werden. Man sollte für Gleichberechtigung kämpfen, aber im Kulturbereich ist mir Qualität natürlich ebenso wichtig. Und Qualität hat nichts mit Geschlecht zu tun. Bei der Viennale versuchen wir nicht, eine bestimmte Quote zu erfüllen oder in Kategorien zu denken – denn ich bin nicht an Kategorien interessiert.
Was fasziniert Sie am Medium Film?
Filme sind aus der Zeit gemacht, das mag ich sehr. Bei Büchern ist das ähnlich, aber Filme haben eine größere Kontinuität. Sie erfordern deine Zeit, und zudem ähnelt ein Kinobesuch einem Ritual: Du sitzt im Saal, es gibt einen Anfang und ein Ende. Das bedeutet, dass du alle anderen Aktivitäten währenddessen beendest, du fokussierst dich auf diesen Kanal, der zugleich nicht nur ein einzelner Kanal ist, da der Film aus Bildern sowie aus Sound besteht.
Welche Filme haben Sie bisher besonders geprägt?
Es gibt viele Filme, die mich beeinflusst haben. Als ich ein Mädchen war, mochte ich Schwarz-Weiß-Filme und ich mochte es besonders, diese tagsüber zu sehen. Ich sah sowohl Filme mit Shirley Temple als auch komplexere wie solche des Neorealismus. Wenn ich an meine liebsten italienischen RegisseurInnen denke, dann fällt mir Michelangelo Antonioni ein, aber es gibt viele weitere. Besonders gefallen mir die Studiofilme der 1950er- und 1960er-Jahre, aber nur die der unabhängigen Szene oder Filme von und mit John Cassavetes. Ich mag Filme, die existenzielle Fragen sowie innere Konflikte und Gedanken thematisieren.
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