Die Realität als Psychose »How to Be Normal and the Oddness of the Other World« von Florian Pochlatko

Was ist normal – und wer bestimmt das? In »How to Be Normal and the Oddness of the Other World« dekonstruiert Florian Pochlatko Realität und psychische Gesundheit mit popkulturellen Referenzen, surrealen Bildern sowie schwarzem Humor. Ein Film, der kein Erklärstück ist, sondern sich am eigenen Wahnsinn berauscht.

© Golden Girls Film

Pia steht vor dem Spiegel. Ihr Blick ist starr, fast analytisch. Sie nimmt eine Tablette, dann die nächste. Während sie die Blister öffnet, hört man ihren inneren Monolog: »Your world is on fire? Dissoziativ.« Ihre Stimme bleibt ruhig, dabei haben die Worte eine fast absurde Klarheit. »Generalisierte Angststörung? 25 Milligramm Cipralex.« Das ganze Leben – reduziert auf eine medizinische Diagnose. »Sometimes happy, sometimes sad? Fünfzig Milligramm Risperidon.« Die eigene Realität als chemische Formel, zurechtgerückt für eine unbegreifliche Welt. Pia schluckt die Tabletten. Ihr Blick bleibt auf das Spiegelbild gerichtet, als würde sie erwarten, dass sich etwas verändert. Doch nichts passiert.

Diese Szene ist einer der vielen eindringliche Momente in Florian Pochlatkos »How to Be Normal and the Oddness of the Other World«, einem Film, der unsere Realität radikal hinterfragt und das vermeintlich »Normale« auf den Kopf stellt. Was Normalität bedeutet, wird hier nicht abstrakt untersucht, sondern aus der Perspektive einer Figur erzählt, die sich – ob aufgrund ihrer Diagnose oder gesellschaftlicher Marginalisierung – ohnehin schon an der Grenze zur Realität bewegt. Ist Pia krank? Oder ist sie nur eine von vielen, die mit einer Welt ringen, die selbst brüchig geworden ist? Pochlatko stellt hier allgemeine Zweifel an einer Welt dar, in der zwischen Ideologien und Realitätsnormierungen zunehmend unklar wird, bei wem die Deutungshoheit liegt. Oder, wie er es ausdrückt: »Wer ist in unserer Welt in der Position zu definieren, was Realität und Normalität sind?« Eine fundamentale Fragestellung gleich zur Eröffnung der diesjährigen Diagonale.

»Menschen, die in psychotischer Wahrnehmung leben, haben oft ein Detachment von der Realität. Und wenn eine manische Phase beginnt, fühlen sich viele wie in einem Film«, so Pochlatko – eine Feststellung, die er zum Programm macht. Der Film funktioniert nämlich wie Pias Wahrnehmung: eine scheinbar instabile Realität, die sich aus hyperrealen Elementen, Erinnerungsfragmenten und wörtlich genommenen »Wahnvorstellungen« zusammensetzt. Wer hier allerdings wahnsinnig ist, bleibt bis zuletzt offen, wie auch Luisa-Céline Gaffron, die Darstellerin von Pia, erklärt: »Gerade in einer Zeit, in der die Welt da draußen so klingt wie ein absolut unrealistisches dystopisches Drehbuch, kommt dieser innere Crash dessen, was wir jeweils ›normal‹ nennen, vielen von uns wohl bekannt vor.«

Florian Pochlatko (Bild: Apollonia T. Bitzan)

Wieder »normal«?

Diese Unsicherheit zieht sich wie ein roter Faden durch »How to Be Normal and the Oddness of the Other World«. Nach einem längeren Aufenthalt in der Psychiatrie kehrt Pia in ihr Elternhaus zurück – doch mit der Außenwelt verbindet sie wenig. Ihre Mutter klammert sich an die Hoffnung, dass alles wieder gut wird. Dabei wird ihre Angst, dass Pias Zustand erneut kippen könnte, zur eigenen Zerreißprobe. Ihr Vater organisiert einen kleinen Job in seiner Firma, überzeugt davon, dass ein geordneter Alltag der Schlüssel zur »Normalität« sei. Ihr Ex-Freund Joni hat längst ohne sie weitergemacht. Und Pia steckt nach wie vor in einer Realität fest, die sich zunehmend auflöst. Nur das Nachbarskind scheint noch irgendwie mit Pias hyperrealem Erleben verknüpft zu sein. Doch was, wenn nicht Pia das Problem ist, sondern die Welt um sie herum?

Florian Pochlatko setzt die individuelle Wahrnehmung von Menschen mit psychotischen Verzerrungen in seinem Film unmittelbar um: Popkulturelle, literarische und mediale Bezüge werden zum Ausdruck einer permanenten Reinszenierung von Dingen, die Pia schon einmal irgendwo gesehen hat: »Fast jede Szene enthält ein Zitat – entweder eines Memes, eines Songs oder eines anderen Films«, so der Regisseur. Die wichtigsten Bezugspunkte waren Filme wie »The Matrix«, aber auch Thomas Melles literarisches Zeugnis einer brüchigen Realität in »Die Welt im Rücken« sowie Musiker Daniel Johnstons ganz eigene bipolare »Mythologie«, aus der er bis zu seinem Tod musikalisch wie künstlerisch schöpfte.

Über körperliche Betätigungen wie Tanz und Sport fand Luisa-Céline Gaffron Zugang zur Figur Pia.

Fühlen, nicht verstehen

Man muss die Referenzen allerdings nicht alle erkennen, um mit Pias Erleben mitzufühlen. Um ihre Welt »zu verteidigen und ernst zu nehmen«, so Luisa-Céline Gaffron, müsse man nicht immer alles »rational kapieren«. Denn: »Das ist ja die Schönheit des Kinos – manchmal kommt das Verständnis für eine Welt über den Bauch und nicht über den Kopf.« Dieses Verstehen wird erleichtert, indem viele der surrealen Szenen ungezwungen, selbstironisch und dadurch lustig erscheinen. Eine Gesellschaft, die ständig mit Betroffenheit oder Angst auf Themen wie psychische Erkrankungen reagiert, braucht eben einen Gegenpol, der das eigene Verrücktsein ausgleicht. »Mein Tool ist nicht Betroffenheit oder Horror«, sagt deswegen auch Pochlatko. Natürlich sei der Zustand seiner Protagonistin in der Realität ein Horror – die Hölle auf Erden –, »aber Humor bietet eine Möglichkeit, das Thema anders zu erzählen. Deswegen war es mir wichtig, dem Ganzen ein popkulturelles Element entgegenzusetzen, das auch Licht hineinbringt.«

Doch Pia ist eine extreme Figur – ihr Zustand schwankt zwischen emotionaler Klarheit, Verzweiflung und Euphorie. Umso wichtiger war es für Pochlatko und sein Team, in ihrer Darstellung weder in Klischees noch Überzeichnungen zu verfallen. »Die psychiatrische Welt ist mithilfe vieler Ärzt*innen und Patient*innen entstanden«, so der Regisseur. Er beruft sich dabei auf zahlreiche Geschichten, die er aus erster Hand von Betroffenen gehört habe. Während des Drehs sei zudem darauf geachtet worden, die Darsteller*innen aufzufangen: »Ich wollte, dass es eine Person gibt, die für Luisa da ist, wenn es ihr privat oder persönlich nicht gut geht. Während und nach den Drehtagen.« Schließlich sei der Film – aufgrund der Materie – durchaus heftig zu drehen gewesen. Pochlatko selbst, der drei Jahre in dieser Welt verbrachte, erzählt, wie er dabei auch seinen »eigenen Dämonen« begegnete.

Auf die Frage, was »Normalität« bedeutet, gibt der Film bewusst keine abschließende Antwort. (Bild: Golden Girls Film)

Körperlicher Zugang

»Am herausforderndsten war für mich auf jeden Fall, mich in die Logik einer Person mit der Diagnose ›bipolar‹ hineinzufinden«, sagt Luisa-Céline Gaffron. So sei es für sie kein Zustand gewesen, den man über psychologisches Analysieren einer Biografie begreifen könne. Tatsächlich zeigt der Film nicht nur, wie psychische Zustände empfunden werden, sondern auch, wie sie in Körper und Bewegung eingeschrieben sind. Genau deshalb war für Gaffron der körperliche Zugang der Schlüssel zur Figur Pia: »Ich habe in der Vorbereitung viel getanzt, verschiedene Sportarten gemacht und konnte mich mit der Performerin und Choreografin Valerie Oberleithner vorbereiten.«

Die Darstellung psychischer Zustände bleibt allerdings immer eine Gratwanderung: Wo endet die individuelle Erfahrung – und wo beginnt das gesellschaftliche Konstrukt? »Einerseits muss man Persönlichkeitsstörungen und psychische Erkrankungen total ernst nehmen. Andererseits muss man genau hinsehen: Wo wird einem etwas attestiert? Wo ist es psychologische Kriegsführung? Wo ist es repressiv?«, meint Pochlatko. Genau diese Ambivalenz verhandelt der Film.

Der Unfall der Welt

Untermalt und abgerundet wird Pias fragmentiertes Erleben dabei durch den Soundtrack, der eine zentrale Rolle einnimmt. Immer wieder grätscht der von Rosa Anschütz geschriebene Score dramatisch, fast überspitzt in Pias Innenleben hinein. Darüber hinaus setzt Pochlatko ausschließlich auf österreichische Musik – von Georg Danzer bis hin zu jungen Acts wie Jeansboy oder Efeu. Mal dröhnend, mal melancholisch verstärkt die Musik, wie sehr hier die Grenzen zwischen Milieustudie und Groteske verschwimmen.

Doch wer legt fest, welche Melodie eine Realität begleitet? So wie Pias Wahrnehmung aus Versatzstücken der Popkultur, aus Zitaten und Brüchen besteht, so lässt sich auch die Frage nach Normalität nicht mit einer einzigen Tonart beantworten. Der Film zeigt, dass Realität kein starres Konzept ist, sondern etwas, das in jedem Moment neu verhandelt wird – manchmal disharmonisch, manchmal überzeichnet, aber immer subjektiv. Am Ende gibt »How to Be Normal and the Oddness of the Other World« also keine Erklärung für den allgemeinen Zweifel an der »Realität«. Aber Pia selbst findet vielleicht die treffendste Beschreibung: Es ist »der Unfall von der ganzen Welt«. Ein Zusammenbruch, der sich nicht aufhalten lässt.

»How to Be Normal and the Oddness of the Other World« von Florian Pochlatko feiert seine Österreichpremiere als Eröffnungsfilm der Diagonale am 27. März um 19:30 Uhr in der Helmut List Halle. Er läuft zudem am 27. März um 20:30 Uhr im Annenhof Kino 6 sowie am 29. März um 13:30 Uhr im KIZ Royal Kino 1.

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