Die Musikerin und Medientheoretikerin Kristina Pia Hofer alias Ana Threat kuratiert heuer gemeinsam mit Ö3-Urgestein Eberhard Forcher das Popfest Wien. Über ihre Vergangenheit in einer Anarcho-Punkband, Political Awareness und den Unterschied zwischen eigener Blase und großem Festivalbetrieb.
Knallroter Lidstrich unter den Augen, ein Lockenwickler, der sich hinter der Ponytolle versteckt, ein illustres Bandshirt und eine Ansteckbrosche an der Jacke – so sitzt Kristina Pia Hofer bei einer Tasse Tee im Wiener Lokal Schikaneder. Bereit, sich von Fragen durchlöchern zu lassen. Kunstfigur, Mythos, Musikerin, Produzentin, Medientheoretikerin und jetzt auch noch Popfest-Kuratorin – all das steckt hinter Hofer und ihrem Alter Ego Ana Threat.
Ihr Studium der Soziologie absolvierte Hofer in Linz. Sie war bei der Gründung der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung mit von der Partie und für ihre Dissertation wurde ihr 2015 vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft ein Award of Excellence verliehen. Sie publiziert zu Medientheorie, Amateurpornografie und Exploitation-Kino und spricht auf Grund eines vierjährigen Aufenthalts in China und Taiwan sogar Chinesisch. Assets, mit denen manch einer hausieren gehen würde, nicht aber Hofer. Details wie diese erwähnt sie in unserem Gespräch, wenn überhaupt, nur am Rande.
Immer wieder unterrichtet sie in Wien und Linz, nicht immer ohne Gegenwind – wie etwa bei einer »Einführung in die Gender Studies für Wirtschaftswissenschaften«. »Das war eine total wahnsinnige Vorlesung für 200 Personen, die für die Teilnehmenden verpflichtend war, und in der ich von 70% der Anwesenden gehasst wurde. Wo dann nach der Prüfung der Ring Freiheitlicher Studenten draußen vor der Türe steht und Zettel verteilt – grad als die Leute sauer rausgehen, weil sie den Multiple-Choice-Test verschissen haben.«
Eine Frau mit dicker Hose
Mit der Musik begann Ana Threat schon früh. Mit 15 ging sie als Frontfrau einer Anarcho-Punkband in Linz gegen das System vor. Zur Gitarre griff sie damals noch nicht. Die Rollen waren in der ansonsten rein männlich besetzten Band klar aufgeteilt. »Ich habe daheim Gitarre gespielt, wie das Mädchen eben so machen – mit der Akustischen im Bett habe ich Balladen geschrieben«. In der Band wächst sie schließlich immer mehr in die Paraderolle der rotzigen Punksängerin hinein. Sie lernt, auf der Bühne ihre Frau zu stehen, Emanzipationsversprechen zu predigen. Eine Zeit, die sie sehr geprägt hat: »Du stehst als 15-Jährige vorne und musst die dicke Hose markieren. Und dann kommt eine Situation, wo so eine Hose echt vonnöten wäre – man wird angestrudelt, angespuckt oder sonst was –, da ist deine dicke Hose schnell weg.«
Jahre später zeichnet Threat eine sattelfeste Attitüde aus, die gefärbt ist vom DIY-Spirit ihrer frühen Punkerinnentage. Heute Abend proben, morgen erstes Konzert und nächsten Monat dann auf Tour – es ist dieser nicht unnostalgische Zeitgeist der 90er Jahre, der sie zu ihrem nächsten musikalischen Projekt führen sollte: »Wir haben uns im April 2009 bei einer Garagenpunk-Party kennengelernt«, erzählt Al Bird Dirt (auch bekannt als Al Bird Gore, Al Bird Sputnik und Trash-Rock-Archivar), »ein paar Wochen später haben wir in Wien mit The Happy Kids eine Punkband und einen DJ-Club gegründet. Bis 2012 haben wir dann sehr viel live gespielt und gemeinsam ein paar Platten gemacht. Eine coole Zeit war das.«
Während sich Al Bird Dirt und Ana Threat als The Happy Kids durch die österreichische Garagenpunkszene spielten, zeichnete sich mit Kristy And The Kraks bereits das nächste Zweierprojekt am Horizont ab: Gemeinsam mit Kate Kristal (Rabe, Dot Dash) scheppert sich Threat seitdem mit Gitarre und Schlagzeug als kleinste All-Female-Supergroup durch die österreichische Musikszene.
Ende letzten Jahres veröffentlichte Ana Threat schließlich ihr erstes Soloalbum »Cold Lve« bei Cut Surface, dem Quasi-Nachfolge-Label von Totally Wired Records. »Kristinas authentische und kompromisslose Attitüde – und das mein’ ich in scharfer Abgrenzung zu Borniertheit, mehr im Sinne von unheimlich konsequent –, ihr Blick fürs Detail, ihre Fähigkeit, Ideen auch im Experiment exakt auf den Punkt zu bringen, und überhaupt ihre Hingabe und Begeisterung für die Sache – das alles in Kombination macht die Infektion mit dem Threat-Fieber für mich aus«, erklärt Cut-Surface-Mitgründerin Anna Pühringer.
Standen bei Threats Soloprojekt anfangs vermehrt logistische Fragen, was die Live-Realisierung angeht, im Vordergrund, geht es ihr heute viel um rhythmische Aspekte. »Die größte Herausforderung war immer, wie ich meine vier Extremitäten effektiv einsetze. Und dann musste ich auch noch schauen, wie ich es auf der Bühne schaffe, mit Fußpedalen zu spielen, wenn ich 12 cm hohe Bleistift-Heels anhabe.«
Artifizielle Inszenierung und die Frage, was auf der Bühne alles passieren kann, ziehen sich durch die gesamte musikalische Karriere der Linzerin. Ana Threat als Solo-Act stellt sich ganz bewusst gegen das konforme Popmusikverständnis. Dass Musik eine Masse bespaßen soll oder überhaupt irgendjemandem gefallen muss, steht im krassen Gegensatz zum Verständnis ihrer Auftritte als Performance für sich, quasi l’art pour l’art. »Dadurch kriegt das ganze einfach eine andere Dynamik – bei mir ist das zumindest so.« Wer ihre Soloshows kennt, weiß, dass sie vor Inszenierung nur so strotzen und dass Ana Threat ihr Ding durchzieht, komme was wolle. Inklusive dicker Hose.
Political Awareness für alle?
Und nun also das Popfest. Zum achten Mal wird der Karlsplatz zum Mekka der österreichischen Popmusik – für Threat natürlich kein Neuland. Immerhin bespielte sie es bereits solo, mit den Happy Kids und mit Kristy And The Kraks – »mit irgendeinem Schas war ich immer dabei«, wie sie selbstironisch kommentiert. Doch so einen eingesessenen Festivalbetrieb abseits der Künstlerinnenperspektive kennenzulernen, ist wieder eine andere Geschichte. Ob sie das Popfest schon immer einmal kuratieren wollte? Fünfmalige Verneinung, Kopfschütteln und ein kurzes Auflachen. »Es ist eher eine Pflicht, die einem in den Schoß fällt und zu der man berufen wird.«
Mit dem Annehmen dieser Pflicht und Berufung tritt sie gemeinsam mit Co-Kurator und Ö3-Urgestein Eberhard Forcher in gleichgesinnte Fußstapfen: Nach Robert Rotifer (von 2010 bis 2012) und Patrick Pulsinger (2013) wurden mit Violetta Parisini und Wolfgang Schlögl, Susanne Kirchmayr (Electric Indigo) und Stefan Trischler (Trishes) sowie Ankathie Koi und Gerhard Stöger stets gemischte Kuratorenduos bestellt. Kirchmayer und Trischler sorgten 2015 mit knapp 40% für den höchsten Frauenanteil, den das Festival je hatte. Ein Wert, der weit über dem liegt, was man aus der heimischen Festivallandschaft leider gewohnt ist. Auch im Gespräch mit Ana Threat fallen uralte Reizworte: Von intersektionalen Bemühungen, die bisher leider immer noch reine Bemühungen geblieben sind, ist da etwa die Rede. Es komme zwar langsam etwas in Bewegung, aber natürlich sei dieser Kontext wie alle anderen auch von den üblichen Strukturproblemen durchzogen. »Ich bin ja eigentlich immer gegen historische Teleologie, aber in diesem Fall wünsch’ ich mir einfach schon sehr eine progressive Entwicklung, und hoffe in Zukunft auf mehr Privilegiencheck. Aber was weiß ich, was nach den nächsten Wahlen passiert.«
Das Popfest stellt Threat aber auch noch vor ganz andere Herausforderungen. Für eine Nischenkünstlerin, wie sie es ist, sei es ein Balanceakt, die ganzen verschiedenen Musikwelten unter einen Festivalhut zu bringen und die vielen aus ganz verschiedenen Ecken an das Fest herangetragenen Wünsche und Erwartungen abzuwägen, und im Idealfall produktiv mit den eigenen Anliegen zu verbinden. Nicht immer einfach: »Ich soll und muss mich mit diesem Festival an ein viel, viel breiteres Publikum richten. Das heißt für mich, dass ich im Moment sehr viel lerne. Aber mit Freude. Das Ziel ist es, diese Welten zusammenzubringen und trotzdem ein Programm zu gestalten, wo man vielleicht nicht sofort errät, welcher Act wem von uns Kuratoren hauptsächlich am Herzen gelegen ist.«
Engagement, Überzeugung, Haltung
Auch wenn sie ihn als alten Punker beschreibt, so kommen Threat und ihr Co-Kurator Eberhard Forcher doch aus unterschiedlichen Ecken – 35 Jahre Ö3 schreien nicht gerade nach Underground. Trotzdem scheint die Zusammenarbeit harmonisch verlaufen zu sein: Berührungsängste, die sich schnell zerstreut hätten, Bands, über die man sich rasch einig war, eigene Handschriften, die trotz all der Einigkeit noch durchschimmern können. »Abgesehen davon, dass ich Kristina als extrem liebenswerten Menschen kennenlernen durfte, hat mich ihr Engagement, ihre Überzeugung, ihre politische Haltung und ihre Bereitschaft, für ihre Anliegen zu kämpfen, sehr beeindruckt«, streut Forcher seiner Kollegin Rosen.
Der politische Anspruch, dem Ana Threat mit ihrer Arbeit am Popfest trotz Massen-Pleasing gerecht zu werden versucht, lockt sie aus ihrer vertrauten Komfortzone, aus der punkigen Blase zwischen Rhiz und AU, Solokünstlerin und Garagenduo: »Es ist sehr leicht, in seinem eigenen Umfeld alle möglichen Ideale hochzuhalten, auf Diversität und korrekte Abläufe zu achten. Alles, was größer und breiter ist, wird auf eine andere Art politisch. Auch repräsentationspolitisch. Das ist dann fast ein bisschen wie im Parlament zu sitzen – und das wollte ich sicher nie.« Stichwort Konsensprinzip.
Und auf was freut sich Ana Threat abseits politischer und musikalischer Aspekte am Popfest ganz besonders? »Nicht mehr bei der Karlskirche für die Zählkarten anstehen zu müssen.«
Auch die achte Ausgabe des Popfests Wien widmet sich dem facettenreichen österreichischen Musikschaffen. Es findet vom 27. bis 30. Juli 2017 am und rund um den Karlsplatz statt. Außerdem freuen wir uns, Ana Threat bei unserer Geburtstagsfeier am 16. Juni im Fluc als Act ankündigen zu dürfen.