Neue industrielle Revolution, ausgedruckte Waffen und ausgedruckte Schnitzel – Zwischen Skandalstorys, harmloser Spielerei für Geeks sowie Konsum- und Erlöserfantasien ist jede Menge Platz für Spekulation über die Zukunft des 3D-Drucks. Aber was bleibt vom Hype unterm Strich übrig?
Statt selbst gebrannten CDs bald selbst designte Kerzenhalter
Vorreiter beim Rapid Prototyping waren in den 90ern Designer wie Ron Arad, die Dinge in Kleinauflage produzieren ließen, die so nie auf den Markt gekommen wären, oft auch im Grenzbereich zwischen Kunst und Design. Eine Spritzgussform für einen Entwurf herzustellen, kostet eben tausende Euro, während ein Prototyp heute schon ab einigen hundert Euro entstehen kann. Damit wurde die Schwelle zum Selbermachen deutlich gesenkt: eine große Erleichterung für Designer, aber auch für Firmen. Der österreichische Prothesenhersteller Otto Bock, ein Paradeunternehmen mit technologischen Skills und einem Gespür für Design, nutzt das schon seit vielen Jahren für Testzwecke. Doch dass Designer auch selbst zu Hersteller wurden und ihre Entwürfe nicht nur anlieferten, war bislang die Ausnahme. Mit billigen 3D-Druckern wird es, so Anderson, bald möglich sein, selbst Ausgedachtes auch gleich selbst schnell wie vom Fließband aus dem Drucker laufen zu lassen. Dafür bräuchte es in Zukunft nur noch einen Computer und eine Kreditkarte.
Das mag zwar plausibel klingen, aber für die Kreditkarte braucht man immerhin Geld – und das ist genau das, was vielen Kreativen fehlt. Vielleicht können sich es ja immerhin einige nebenberufliche Hobbykreative in Zukunft eher leisten. Sehr wahrscheinlich also, dass wir – ähnlich der explosionsartigen Steigerung durch die digitale Fotografie – schon bald selbstdesignte Butterdosen oder Handtuchhalter als Geburtstagsgeschenke erhalten werden. Schöner wird unsere Umwelt deswegen allerdings nicht werden.
Revolution für die Transportwege
Manchen Branchen werden deshalb radikale Änderungen prophezeit, allen voran der Logistikbranche. Denn wenn man in Zukunft dezentral produzieren kann, könnten viele Lieferwege wegfallen. Bei der österreichischen Post sieht man die Sache gelassen: »Wir erwarten in den kommenden Jahren keine grundlegenden Veränderungen und schon gar keine Einbrüche bei den Stückzahlen«, so ein Sprecher.
Anders hört es sich schon bei der Deutschen Post DHL an. Pressesprecherin Sabine Hartmann meinte auf Anfrage: »Wir spielen einige Szenarien durch, was die neue Technologie für uns bedeuten könnte. Aber dass dadurch die Logistikbranche überflüssig sein wird, ist sicher sehr überspitzt.« Vielmehr könnten sich neue Geschäftsfelder auftun: »Wir überlegen etwa, wie die Rohstoffe zu den Druckern kommen. Außerdem könnte man sich auch als Plattform für Intellectual Properties positionieren. Aber wir marschieren noch nicht in die eine oder in die andere Richtung.«
Unterdessen marschiert die Technik weiter, und österreichische Forscher und Unternehmer sind mit vorne dabei. Zum Beispiel die Firma Lithoz, die sich auf die Entwicklung und Herstellung von 3D-Druckern und Materialien für keramische Bauteile spezialisiert hat. In einem gemeinsamen Projekt mit der TU Wien und der Medizin-Uni Wien entwickelte man kürzlich eine neue Herzpumpe. An der TU Wien wurde außerdem jüngst ein 3D-Drucker mit Nano-Präzision vorgestellt, der ebenfalls im medizinischen Bereich eingesetzt werden soll.
Wie 3D-Druck alles verändert
Mittlerweile wird 3D-Druck nicht nur zum bedeutenden Wirtschaftszweig, sondern auch zum Prestigeprojekt, etwa für die EU. Sie förderte etwa das belgische Spin-Off-Unternehmen Materialise, das heute über die größte 3D-Druckkapazität in Europa verfügt und bereits 900 Leute beschäftigt. Mit ausgefallenen Formen, die sich mit herkömmlichen Techniken nicht verwirklichen lassen, schafft man es regelmäßig in die Medien – jüngst sogar auf das Titelblatt der ersten Zeitschrift, die sich ausschließlich dem 3D-Druck verschrieben hat. In Print Shift, einer Kooperation zwischen dem Design-Onlinemagazin Dezeen und dem Print-on-demand-Anbieter blurb, widmet man sich auf knapp 60 Seiten realen Anwendungsmöglichkeiten von heute wie utopischen Entwürfen bis hin zum Burger aus dem Drucker. »How 3D printing is changing everything«, so der Untertitel der Publikation, die nicht nur interessante Storys zu bieten hat, sondern gleich die Ambivalenz der neuen Technologie in sich trägt. Erst auf Bestellung wird das »persönliche Exemplar« gedruckt, man freut sich darüber, dass die Umwelt geschont wird (weil es eben keinen sonst üblichen, unnötigen Mehrdruck gibt). Wenige Tage später landet das Heft dann in der Post, gedruckt auf einem derart penetrant beschichteten Papier, dass man es nach der Lektüre als Sondermüll entsorgen muss. Ganz egal also, ob zwei- oder dreidimensional: Bei manchen Dingen wäre es jedenfalls besser, es würde sie nur digital geben.
»Makers – Makers. The New Industrial Revolution« von Chris Anderson ist bereits bei Crown Business erschienen. »Print Shift« ist online, dort kann ebenfalls die eigens angefertigte Printkopie bestellt werden: www.dezeen.com/printshift/
Das Festival Vienna Open bietet der Makers- und Open Design-Generation eine Plattform. Bei einem Wettbewerb sind auch Re-Makes, ältere Projekte oder weiterentwickelte Designs erwünscht. Die Entwürfe werden unter Creative Commons-Lizenzen veröffentlicht. Gewinnerprojekte werden in Kleinserie produziert und im Rahmen des Festivals in Wien und in Amsterdam präsentiert: viennaopen.net
Fragen und Antworten zu 3D-Druck
3D – The Making of: Technik, Funktionen und Anwendungen
Außerdem: TU-Forscher zu Bioprinting und das HappyLab in Wien im i>Interview