Wenn die Untoten aufmarschieren, schrumpft die Dorfgemeinschaft. Der Rest verbarrikadiert sich, schießt auf alles was sich bewegt und wird trotzdem immer weniger. Als einziger Ausweg in der Aussichtslosigkeit bleibt da nur noch ein bombensicheres Grab. Ein Bericht von Marlene Geselle.
Urnen aus Stahl
Respekt hatte ich schon immer. Nie diese Angst, die lähmt, auch jetzt nicht. Das ist gut so, denn dieser Tag dürfte mein letzter sein. Wörtlich, nicht bildlich, da mache ich mir nichts vor.
Als die ersten Berichte in den Medien erschienen, haben wir alle nur die Köpfe geschüttelt. Innenminister aus dem Schwäbischen sind bekanntlich eine Sorte für sich. Webcams gegen Terroristen, Rasterfahndung per Internet gegen Wirtschaftskriminalität – und jetzt auch noch Kasernierung verdächtiger Personen, um die Ausbreitung der Zombie-Seuche zu verhindern. An jeder Landstraße, die sich in ein anderes Bundesland schlängelte, an jedem ehemaligen Zollhäuschen Richtung EU oder Schweiz sollten die Kontroll-Container aufgestellt werden. Wehe dem, der beim Anzünden eines Streichhölzchens die falschen Gesten machte oder unerwünschte Laute von sich gab! Die ersten Toten gab es bereits nach wenigen Stunden. Gegen die Beamten wurde ermittelt. Zu mehr als dem Anlegen einer Ermittlungsakte kam es nie. Aus verschiedenen Gründen.
Wanderer, der du ins Laucherttal kommst und darauf hoffst, dass sich diese Idylle als das neue Paradies erweist, lass dich warnen!
Brave Bürger tun, was ihnen gesagt wird, machen sich zusätzlich schlau und gehen mit schwäbischem Fleiß und preußischer Gründlichkeit ans Werk. Die Bundesstraße abzusperren war eine Kleinigkeit. Die beiden Straßen, die von Ost nach West den Ort durchquerten, waren auch kein Problem. Es war Herbst, die Speisekammern und Vorratsscheunen waren randvoll. Mit der Außenwelt betrieben wir Tauschhandel wie anno dazumal, als die Pest die Stadt heimgesucht hatte. Waren auf die Straße legen, zwanzig Schritt zurückgehen. Dann wurden die Güter entgegengenommen, das Geld auf die Straße gelegt. Rückzug wie gehabt. Wanderer, der du zu uns kommst, misstraue einfachen Lösungen.
Sie kamen nicht des Nachts, wenn die meisten schliefen und etliche Männer und Frauen für unsere Sicherheit sorgten. Die ersten Eindringlinge kamen an einem Dienstagvormittag. Fünf alte Weiblein, die die Lauchert entlang gingen, um den Kirchweg abzukürzen, waren ihre ersten Opfer. Was man von ihnen fand, passte bequem in einen einzigen Sarg. Die Kleiderfetzen, von unserem Dorfsheriff nach bestem Wissen und Gewissen untersucht, wiesen auf sechs Zombies hin: drei verschiedene Männerschuhe, zwei unterschiedliche Blusenknöpfe, ziemlich altmodisch. Reste einer Mädchenjacke, mehrere Jahre alt, wie sich anhand alter Versandhauskataloge herausstellte. Bemerkt hatte niemand etwas. Die Berufstätigen waren außer Haus, die Kinder in Schule oder Kita, die wenigen Hausfrauen daheim, wo sich von diesem Tag an jedermann einschloss.
Wanderer, wenn du den Fluss siehst, wohin die Spuren der Täter führten, vergiss die Sache mit der reinigenden und erlösenden Kraft des Wassers.
Von außen bekamen wir nur noch von den Medien Hilfe. Will sagen, wir waren auf uns alleine gestellt. Entgegen allen Berichten erwiesen sich die Zombies als durchaus wasserfest und zeigten keine Scheu, den Fluss als Straßenersatz zu akzeptieren. Diejenigen unter uns, die vor wenigen Jahren erst Fantasiepreise für die Baugrundstücke an der Lauchert bezahlt hatten, errichteten nun Zäune und Mauern. Schwerbewaffnete zogen durch die Straßen und schossen auf jeden, den sie nicht kannten. Wir nahmen es sportlich. Nicht eine Strafanzeige gab es, obwohl der dicke Messhart oder die alte Wöringer durchaus Grund gehabt hätten, den Schwiegersohn oder den streitsüchtigen Nachbarn von unserem Dorfsheriff in den provisorischen Knast stecken zu lassen. Wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel und hofften, dass die Gefahr bald gebannt sein würde. Die Chefs der einflussreichsten Clans in unserer beschaulichen Stadt gelobten dem Allmächtigen, für die vierzehn Nothelfer – die bis dahin von den frommen Leuten unserer Stadt schmählich vernachlässigt worden waren – eine eigene kleine Kirche zu bauen, wenn wir von weiteren Überfällen der Untoten verschont bleiben würden.
Wanderer, ob du ein Navi benutzt oder eine Straßenkarte, folge nicht blindlings jedem Weg, der dir eine Abkürzung verspricht.
Flüsterasphalt auf verschlungenen Kleinstadtstraßen ist eine Wohltat. Für jeden. Bis dahin hatten wir praktisch nichts gelernt. Von den außergewöhnlichen Sinnesleistungen der Zombies beim Riechen und Hören hatten wir zwar gehört, aber wir konnten sie uns nicht vorstellen. Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht nur nicht, er ignoriert es. Bis zu jenem Mittwochabend, als die drei jüngsten Messhart-Männer Patrouillendienst hatten. Ansgar hörte plötzlich schlurfende Schritte, konnte aber im Gewirr der Gässchen zwischen Lauchert und Sägewerk keinen Fremden ausmachen. Torben schrie um Hilfe und rannte Richtung Holzlager, den scheinbar kürzesten Weg in die Sicherheit. Seine Brüder folgten ihm. Die Menschen hinter den verschlossenen Fenstern mussten mit ansehen, wie eine Prozession von schweigenden, schlurfenden Untoten den Fliehenden folgte. Einige Beherzte griffen zu ihren Jagdgewehren, trafen sogar. Leider nicht die Gehirne! Aber die Zombies ignorierten die Treffer und trieben ihre Opfer weiter Richtung Holzlager.
Die Arbeiter im Sägewerk hatten es gerade noch geschafft, sich in der Sägemühle zu verbarrikadieren. Von ihnen erfuhren wir anderen später, wie ein zweiter Trupp Zombies, vom Bahndamm kommend, den Messhart-Männern entgegenschlurfte. Schlurfen, Grunzen, Schreien. Ein Knäuel von Leibern. Was von den Toten übrigblieb, hätte nur noch von Ameisen weiter abgenagt werden können. Keine Ahnung, wie Dorfsheriff und Heilpraktiker es geschafft haben, die Knochen so auseinander zu sortieren, dass man sie einigermaßen ordentlich bestatten konnte. Wir verbrannten die Toten hinter dem Sägewerk. Die Urnen aus Stahl wurden verschweißt. Hatten wir die ersten Opfer noch ganz normal auf dem Friedhof begraben, landeten diese Toten in einem drei Meter tiefen Schacht, der mit Beton ausgegossen wurde.
Wanderer, wenn du zu uns kommst, schlucke deinen Zorn hinunter, egal wie brennend er ist und wie gerecht.
Wir hatten einfach nicht mehr die Kraft, unseren eigenen Leuten die Ehre zu erweisen, die man selbst seinen Feinden erweist. Wir entsorgten unsere Freunde und Verwandten wie gefährlichen Müll. Spätestens jetzt waren wir nicht mehr die, die wir einmal gekannt hatten. Baulärm übertönt Schlurfen, besonders wenn der Feind schweigt. Eigentlich logisch, aber genau das hatten wir nicht bedacht. Es ging Schlag auf Schlag. Eine kleine Gruppe von höchstens sieben Zombies reichte aus, die Freiwilligen, die einen doppelt mannshohen Zaun entlang des Bahndamms ziehen sollten, zu überfallen und durch Bisse zu verletzen. Allen gelang die Flucht nach Hause. Kein Glück gehabt. Binnen zwölf Stunden war ein Drittel der Bevölkerung infiziert und machte sich ebenfalls daran, weitere Opfer aufzuspüren. Meine Schwester, mein Schwager, die beiden kleinen Mädchen … Ich lockte sie in den alten Werkstattraum, kletterte durchs Fenster. Mein Bruder, bis dahin gut versteckt hinter einem Mauervorsprung, schloss unsere untoten Familienmitglieder ein, warf eine brennende Fackel in den Raum. Hackschnitzel für die Heizung, Waschbenzin und Lackreste tun auch dann ihre Pflicht, wenn die Leiber bereits seelenlos sind. Schreie vor Zorn, nicht nur von den Untoten. Gelöscht wurde das Haus, in dem die Hälfte meiner Familie geboren wurde, nicht. Wir ließen es brennen.
Wanderer, wenn du siehst, wie die Überbleibsel deiner Feinde den Fluss hinuntertreiben, sei auf alles gefasst.
Sie kamen Punkt zwölf Uhr. Wie eine Schlange aus eisernen Urweltmonstern kamen sie aus Ost und West, aus Nord und Süd. Sie hatten uns nicht vorgewarnt. Und wenn ich ehrlich bin, hätte ich das auch nicht getan. Es macht keinen Unterschied, ob man friendly fire in seinen Bericht schreibt oder Kollateralschäden bedauert. Für niemand.
Panzer, bestückt mit Flammenwerfern, durchkämmen jetzt die Gassen, schießen in Brand, was sie nicht niederwalzen. Flucht? Das Tal ist sehr schmal, die Felswände ragen viel zu steil auf, um sich als Bergsteiger zu versuchen. Der Fluss ist um diese Jahreszeit viel zu seicht, um etwas anderes als das halbe Dutzend Kanus zu benutzen, die die einzige Attraktion für unsere wenigen Touristen darstellen.
Ich bin allein. Wer von meiner Familie und meinen Freunden noch nicht verbrannt ist, der ist bei den Untoten. Ich wohne im kleinsten Haus unserer Straße, am Rande der Stadt. Hier findet nicht einmal das Navi hin. Das will ich ausnutzen. Wie lange ich noch bei Verstand sein und mein Tun lenken können werde, weiß ich nicht. Bei einigen dauerte es nur wenige Minuten, andere funktionierten noch etliche Stunden, ehe sie nicht mehr die waren, die wir kannten. Meine Papiere und den wenigen Schmuck, den ich besitze, packe ich schon jetzt in die feuerfeste Kiste. Ein heißes Schaumbad will ich mir noch gönnen, wenn ich hier fertig bin, und eine Flasche von dem Rotwein, der uns allen immer so gut geschmeckt hat.
Wanderer, wenn du in den Resten meines Hauses wühlst, vergrabe meine Asche unter dem Holunderstrauch und bete für mich.
Zum Buch
Zombies sind schwer umzubringen. Auf Leinwänden und Mattscheiben, in Computerspielen und Büchern erfreuen sich die Untoten vor allem in Krisen- und Postkrisen-Zeiten großer Beliebtheit. Das nutzten die Macher der Netzzeitschrift »evolver.at« und riefen zu einem Zombie-Kurzgeschichten-Wettbewerb auf. Aus 249 Einsendungen filterte eine Jury 21 Storys, die Thomas Fröhlich und Peter Hiess nun als »Das Buch der lebenden Toten« (Evolver Books) als Anthologie (auch zum Downloaden) herausgeben.
Darin zu finden: Einfallsreiche, stilistisch vielfältige Geschichten von Autoren (meist engagierte Hobby-Literaten) aller Altersklassen. Beiträge, die zu fesseln vermögen, aber auch mit einer kräftigen Portion Trash aufwarten können. Blutig, appetitverderbend oder schockierend staubtrocken, wie die hier abgedruckte von der 53-jährigen Marlene Geselle.