Wie jedes Jahr bitten wir unsere MusikredakteurInnen zurückzuschauen. Dieses Mal gaben wir ihnen einige Kategorien zur Wahl, aus denen sie sich 5-8 aussuchen konnten. Lest hier, was Dominik gewählt hat.
Jahrescharts! Für jeden, der schon einmal über Musik gelesen oder geschrieben hat, ist das ein jährliches Highlight, ein Weihnachtsgeschenk derjenigen Journalisten, zu denen man den meisten Bezug hat. Jeder Leser der großen Magazine hat einen Musikjournalisten, dessen Jahrescharts Gebot und Pflicht zur Nachholung sind. Ein Jahr, gegossen in Listen (und andere Kategorien…), abseits jeglicher temporärer Hypes. Hier zeigt sich, wer es geschafft hat, über längere Dauer Relevanz zu behalten. Nichts ist so ehrlich wie eine Liste.
Mir, wenn man hier so persönlich sein darf, sind die Listen für Songs und Alben des Jahres Opium für die Seele. Mit dem ersten Album, das einem in einem Jahr gefällt, beginnt die Aufbereitung. Jedes Album, das gehört wird, wird mit anderen verglichen, dann an eine aktuelle Position verschoben. Ich kann jederzeit einen aktuellen Stand nennen, könnte auch bereits einen Status Quo für 2017 liefern. Dies sind meine Endstände, die Listen für 2016.
1. Die fünf besten Alben des Jahres, gereiht
1. Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen – »Rüttelt man am Käfig, die Affen sollen was machen!«
Gar nicht einmal so auf der Rechnung gehabt, entspringt die Liga mit ihrem dritten Album erstmal dem langen Schatten von Superpunk. Mit der allgemein sehr guten Mischung aus Northern Soul, Pop und, ja, sogar ein bisschen Garage, schaffen die Hamburger-Berliner ein Referenzwerk, das gekonnt innovativ ist und auch retro ist. Als Beispiel sei dieses Video angeführt – im Intro erkennt man die Referenz an Frank Wilsons Northern Soul Smashhit »Do I Love You«.
2. Voodoo Jürgens – »Ansa Woar«
In den Genuss gekommen, weite Teile des Albums schon Monate im Vorhinein hören zu können, überraschte der direkte Einsteig auf Chartposition 1 doch. Aber kein Wunder: Der Hype war groß genug, »Ansa Woar« wurde ihm gerecht. Ein Album für österreichische Ewigkeit, das »Ollas Leiwaund« der Zehnerjahre, mit euphorischen Popsongs und tieftraurig und wahrhaftigen Hymnen.
3. Die Heiterkeit – »Pop & Tod I+II«
Stella Sommer setzt ihrer Band ein endgültiges Denkmal, erklimmt mit dem als Doppelalbum getarnten Monolithen ungeahnte Höhen. Strukturen in Sound und Band geändert, stellt sich das einstige Single-Hit-Produktsmittel Die Heiterkeit in den Dienste eines Albums, stimmt alles aufeinander ab und sichert sich ihren Platz in Herzen und Listen.
4. Messer – „Jalousie“
Wie in fast jedem Jahr, das uns bislang einen Messer-Release geschenkt hat, sind die Münsteraner die Must-Hear-Band des schönen Genre Post-Punk. Zur textlich gewählten Isolation, dem Versperren hinter den titelgebenden Jalousien, die nur wenig Licht zum Atmen lassen, kommt neben der charismatischen Welt-Stimme Otrembas ein aufgehübschtes Klangbild.
5. Stabil Elite – »Spumante«
Die vielleicht hingebungsvollste Verehrung dieses Jahr richtet sich 2016 nach Düsseldorf, Stabil Elite erzeugen mit »Spumante« – der Titelsong begegnet uns noch weiter unten – das beste, hörbarste und erhabenste Album, das im weitesten Sinne als »elektronisch« gelten soll.
2. Die sieben besten Songs des Jahres, gereiht
1. Paul Plut – »Lärche«
Man bleibt atemlos zurück, weiß nicht, wie einem geschieht, so verzaubert lässt einem »Lärche« zurück. Paul Pluts Solo-Debüt ist der ausdrucksstärkste, dunkelste und hypnotischste österreichische Song seit sehr, sehr vielen Jahren, vielleicht sogar seit immer. Eine süße, zarte Todesmelodie.
2. Stabil Elite – »Spumante / Alles wird gut«
Auf dem Album getrennt, im Video vereint, deshalb auch hier gemeinsam genannt. Die Highlights des an Highlights reichen zweiten Stabil Elite Albums sind des Pops größte Kunst: Tanzbar, verträumt, wahr und wahrhaftig.
3. Der Nino aus Wien – »Praterlied«
Ein ungewohnt mitreißender Upbeat-Song, eine Bestandsaufnahme aus dem Leben des wichtigsten Wiener Künstlers, dem man jede Zeile abkauft. Jetzt schon live höchst beliebt, im Frühjahr kommt dann das neue Album.
4. Golf und Dagobert – »Laterne«
Golf könnten mit ihrem Debütalbum »Playa Holz« auch in obiger Liste stehen, ihren Song-Höhepunkt erreichen sie mit einem Feature von Mann des Jahres 2015, Dagobert, der der soften Elektro-Pop-Ballade den Touch gibt, der sie so einzigartig schön macht.
5. Duscher & Gratzer – »Nadine«
Klar, man braucht ein gutes Original, damit ein Cover brauchbar ist. Was Duscher & Gratzer mit »Jolene«, an dem sich schon so viele probiert haben, machen, ist ikonisch, atemberaubend und mit seiner Botschaft der am besten zu Österreich passende Song des Jahres.
6. Andreas Spechtl – »Colorado«
Musikalisch ist es nicht das stärkste Spechtl-Jahr, die Ausflüge ins psychedelische Italien stießen auf, positiv formuliert, gemischte Reaktionen. Stark ist dagegen sein Beitrag zum Staatsakt-»Fussical« »Der Spielmacher«, seine Ode an Promi-Sportarzt Dr. Steadman.
7. Klez.e – »Mauern«
Ein Sog aus Melancholia, Dystopia und Synthesizern, ganz dem Vorbild des »Desintegration« genannten, im Januar erscheinenden Albums gerecht. Nach Jahren der Isolation hinter den Produktionsreglern für andere, zeigt Tobias Siebert, dass er von seinem Songwriter-Talent nichts eingebüßt hat.
3. I can’t even
Bilderbuch. Oder die Fähigkeit, mit jedem weiteren Song noch beschissener zu werden. Und ja, das zieht sich schon seit »Plansch« so.
4. Österreich
Noch vor drei Jahren wäre ein Jahr wie heuer als das vielleicht ereignisreichste im heimischen Pop seit Ewigkeiten gewesen, nach dem großen Hype von 2014 und 2015, erscheint 2016 beinahe relativ banal-normal. Neue Helden, die sich schon im Vorjahr zu zeigen wagten, wurden zu nationalen Stars (Voodoo Jürgens), die großen Namen der Hype-Jahre schlachteten ihre Bekanntheit weiterhin aus, fuhren auf Kreuzfahrt und verabschiedeten sich endgültig aus der Wahrnehmung des Auskennerszene (Wanda) oder produzierten neuen Schrott (Bilderbuch). Ewige Superstars des Underground wurden teilweise Exponenten der Hochkultur (Der Nino aus Wien). Während sich die Szene in Wien selbstbeweihräuchert werden ihre Haus- und Hofevents immer uninspirierter und trauen sich weniger Neues zu (Popfest, Waves, alles von FM4). Um wirklich noch neue, aufregende Künstler zu entdecken, die abseits der sich doch wieder zu verfestigen drohenden Strukturen bewegen, muss man weder Events noch Radiosender aufsuchen. Man muss diggen, sich neue Künstler von Relevanz in mühevoller Kleinstarbeit auf YouTube und vor allem auf Konzerten zusammensuchen. Von oben kommt da nix.
5. Traurigster Moment
Sigi Maron stirbt. Mit dem sozialen und revolutionären Gewissen des österreichischen Pop stirbt auch dieser zu einem großen Teil. Es gibt so viele Lieder, die hier stehen könnten, die für sein Œvre stünden, für sein Vermächtnis, das er uns Unwürdigen hinterlassen hat. »Dowitschenja Jugoslawija« soll hier stellvertretend stehen, für das große Gespür für Menschlichkeit, das Sigi Maron immer wieder bewiesen hat.